Wenn das Virus mitreist
Zum Höhepunkt der Urlaubssaison ist in vielen Ländern die Zahl der Corona-Infizierten wieder stark angestiegen. Reisewarnungen werden ausgesprochen, Urlaubsregionen wieder zu Risikogebieten erklärt. Mit umfangreichen Tests der Reiserückkehrer versuchen einige Länder, die Kontrolle über das Infektionsgeschehen zu behalten. Kommentatoren sehen einige der Maßnahmen kritisch.
Reisewarnung aus Eigennutz
Nach einem Anstieg an Neuinfektionen durch Reiserückkehrer aus Kroatien haben Italien und Österreich Reisewarnungen verhängt, Slowenien prüft dies noch. Novi list vermutet egoistische Interessen dahinter:
„Gerade als es schien, dass die Tourismussaison besser wird als erwartet, fingen die Zahlen der Neuinfektionen wieder an zu steigen. ... In so einer Situation schauen alle europäischen Länder auf ihre eigenen Interessen. Jeder Bürger, der den Sommer statt an der kroatischen Adria im eigenen Land verbringt, trägt immerhin zur Füllung des eigenen Haushalts bei, den die Corona-Krise im Frühling geleert hat. Deshalb kann man leider davon ausgehen, dass Wien oder Ljubljana es lieber sehen, wenn die Menschen während der heißen Sommermonate die Alpen besuchen, statt die Euro in kroatischen Appartements, Hotels und Restaurants lassen.“
Tests müssen leicht zugänglich sein
Népszava kritisiert Ungarns Teststrategie:
„In Dänemark ist der Corona-Test für die Einreisenden kostenlos. Er ist zwar keine Pflicht, aber empfohlen. ... Wie sieht es hingegen in Ungarn aus? Für die Heimkehrenden gilt Testpflicht und diesen Test müssen sie aus eigener Tasche bezahlen. ... Dazu kommt noch die Quarantänepflicht, ohne Recht auf Krankengeld in dieser Zeit. ... Auch ein halbes Jahr nach Ausbruch der Pandemie ist es eventuell angebracht, sich in Erinnerung zu rufen, dass das umfangreiche, leicht verfügbare Testen sich bisher als die effektivste Maßnahme gegen die Ausbreitung der Pandemie herausgestellt hat - neben dem Maskentragen.“
Null-Risiko-Strategie ist gefährlich
Die Einschränkungen zur Eindämmung der Pandemie setzen die Gesellschaft einem anderen Risiko aus, mahnen Anthropologe Olivier Servais und Politologe François Gemenne in Le Soir:
„[D]em eines langfristigen gesellschaftlichen Zusammenbruchs infolge eines fehlenden Fundaments oder Sinns. Ohne politische Perspektive und sozialen Konsens, welche die Entscheidungen lenken, übernimmt die Null-Risiko-Gesellschaft die biologische oder soziale Keimfreiheit, die sich im Covid-19-Management breitmacht. ... Man reduziert zwar das Risiko des biologischen Tods durch das Virus, aber man geht das tödliche Risiko einer entstehenden Unmenschlichkeit ein. Denn ohne Sterberisiko gibt es keine Menschlichkeit: Es verleiht uns nämlich unsere Freiheit und bedingt die Ausübung unseres freien Willens.“
Fernweh ist unpopulär geworden
Das Reisen hat sich verändert, beobachtet Kolumnistin Xenia Kounalaki in Kathimerini:
„In den riesigen leeren Flughafenhallen mit schwach beleuchteten Läden eilen Passagiere mit Masken im Gesicht umher, um die Reise, die zu einem notwendigen Übel geworden ist, schnell abzuschließen. Sie möchten keine einzige zusätzliche Minute dort verweilen, wo sie sich mit potenziellen (asymptomatischen?) Trägern des Coronavirus auf engem Raum drängeln. Und wer von ihnen kann es dann kaum erwarten, am Samstagnachmittag in der Oxford Street zu sein, an einem Sommermorgen in einer Schlange von Touristen außerhalb des Louvre, am Pride-Wochenende in San Francisco oder auf einem überfüllten Markt in Peking? Wird die Pandemie die Reiselust töten? Oder werden diejenigen [von Touristenmassen] vertrieben, die bisher gerne in der harmlosen Natur spazieren gingen?“