Belarus-Sanktionen: Woher rührt die Blockade?
Die EU streitet angesichts der Menschenrechtsverletzungen in Belarus weiter über Sanktionen gegen Minsk. Zwar gibt es inzwischen eine Liste von 40 Personen, die mit Einreiseverboten und Kontensperrungen belegt werden sollen. Doch Zypern blockiert den nötigen einstimmigen Beschluss. Beobachter spekulieren über die Hintergründe dieses Vetos, aber auch der laxen Reaktion von Berlin und Brüssel.
Moskaus Tentakel reichen weit
Dass Russland seine Finger im Spiel haben könnte, glaubt Lietuvos rytas:
„Lukaschenka, der entzückt in die Arme Russlands fiel, demonstriert dem Westen, dass er sowohl die friedlichen Rücktrittsforderungen als auch die Sanktionsdrohungen nicht ernst nimmt. Und dafür hat der Diktator gute Gründe. ... Brüssel kann nicht mal die paar Dutzend Regime-Vertreter bestrafen, indem man ihnen die Einreise in die EU verbietet und ihr Geld hier einfriert. Formeller Grund sei Zypern, das mit der euphorischen Unterstützung von Griechenland - das mit der Türkei verfeindet ist - ein Veto einlegt, solange die EU nichts gegen Ankara unternimmt. Es ist nicht auszuschließen, dass Russland Griechenland und besonders Zypern unter Druck setzt, die Sanktionen gegen Belarus zu blockieren.“
Feiges Deutschland
Gazeta Wyborcza kritisiert Berlins Passivität:
„Deutschland, das seit Juli die EU-Ratspräsidentschaft innehat, und damit die Möglichkeit, Gipfeltreffen einzuberufen und die Tagesordnung festzulegen, trägt zur vorteilhaften Situation Russlands bei. ... Hochrangige Vertreter der russischen Regierung behaupten, dass Nawalny außerhalb Russlands vergiftet worden sein könnte. Und laut Le Monde soll der französische Präsident Emmanuel Macron von Putin gesagt bekommen haben, dass Nawalny vielleicht selbst Nowitschok genommen habe. Und Deutschland? Reagiert nicht darauf. Ebenso unverständlich ist, warum Deutschland das winzige Zypern nicht davon überzeugen konnte, symbolische Sanktionen gegen Lukaschenkas Leute zu akzeptieren. ... Es sei denn, diese Blockade spielt Berlin in die Karten.“
Wollen Sie nichts sehen?
Der Kolumnist Şener Levent wendet sich in Politis direkt an die EU und deren Hohen Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik Josep Borrell:
„In der Türkei gibt es keine Demokratie mehr. Das ganze Land wird vollständig von Erdoğan kontrolliert. Sowohl die Macht der Justiz als auch die der Medien wurde vernichtet. Die Gefängnisse sind zum Brechen voll. Abgeordnete und Bürgermeister der HDP, die durch Wahlen in ihr Amt gelangten, sitzen seit Jahren im Gefängnis. Schriftsteller, Akademiker, Journalisten, Künstler und Anwälte befinden sich ebenfalls in den Kerkern. Sehen Sie die Lage in Belarus und nicht in der Türkei? Sehen Sie auch Bashar al-Assad? Und sehen Sie nicht, dass Erdoğan Assad mit seiner Diktatur weit übertroffen hat?“
EU misst mit zweierlei Maß
Phileleftheros verteidigt die Haltung Nikosias und kritisiert den Rest der EU-Länder:
„Die Glaubwürdigkeit der EU steht angeblich auf dem Spiel, wenn sie keine Maßnahmen gegen das Drittland Belarus ergreift. Sie steht jedoch nicht auf dem Spiel, wenn keine Maßnahmen gegen die Türkei ergriffen werden, die ein Beitrittsland ist und militärisch in einem Mitgliedstaat interveniert. Niemand spricht darüber, dass die Mehrheit der Mitgliedstaaten versucht, Sanktionen gegen die Türkei zu blockieren. ... Zypern billigt im Wesentlichen die Sanktionen gegen Belarus, spricht aber auch das Offensichtliche aus: Wenn Sanktionen gegen Belarus verhängt werden, müssen sie auch gegen die Türkei verhängt werden.“
Zypern schadet auch eigenen Interessen
Das Verhalten Zyperns ist dumm, schimpft die Frankfurter Allgemeine Zeitung:
„[D]ie zyprische Regierung ... erweckt ... den Eindruck, die EU sei außenpolitisch blockiert. Das wird die Türkei als Ermutigung verstehen, im Erdgaskonflikt noch rabiater aufzutreten. Schließlich hat das kleine Zypern nur dann eine Chance, seine Interessen gegenüber der vielfach größeren Türkei zu wahren, wenn es eine wirklich handlungsfähige EU an seiner Seite hat. Oder hat der zyprische Widerstand doch direkt mit Belarus zu tun? Die Mittelmeerinsel macht seit vielen Jahren Geschäfte damit, dass sie als Umschlagplatz für allerlei aus trüben Quellen stammende Vermögen postsowjetischer Oligarchen und Politiker dient. Lagert dort etwa auch Geld belarussischer Funktionäre, die auf der EU-Sanktionsliste stehen?“
Genau deshalb hat von der Leyen recht
Das ist Erpressung, schimpft La Stampa:
„Swetlana Tichanowskaja traf Montagmorgen in Brüssel ein, um die EU um mehr Unterstützung gegen das Regime von Alexander Lukaschenka zu bitten. … Doch die 27 Außenminister waren nicht in der Lage, die nötige Einstimmigkeit zu erzielen, um die angekündigten Sanktionen gegen diejenigen umzusetzen, die an den Folterungen und der Organisation der Wahlen vom 9. August beteiligt waren. Zypern, das gegen das Ausbleiben von Sanktionen gegen die Türkei protestiert, hält die Liste der 40 Persönlichkeiten, die ins Visier genommen werden sollen, als Geisel. Eine Art Erpressung, die nur wenige Tage nach dem Appell von Ursula von der Leyen kommt, die Einstimmigkeit bei außenpolitischen Entscheidungen beim Thema Sanktionen abzuschaffen.“