Gasstreit: EU zu zahm gegenüber der Türkei?
Sanktionen gegen Belarus sollen kommen, gegen die Türkei aber nicht - das ist das Ergebnis des EU-Sondergipfels der vergangenen Woche. Die Staats- und Regierungschefs drohen lediglich weiterhin mit Strafmaßnahmen und wollen Ankara mit Handelserleichterungen dazu verlocken, seine Gaserkundungen im Mittelmeer zu stoppen. In den Kommentarspalten herrscht Enttäuschung und Empörung.
Die nächste Katastrophe ist programmiert
Mit seiner unausgegorenen Zuckerbrot-und-Peitsche-Strategie verschiebt Brüssel das Problem nur, beobachtet Duvar English:
„Die EU entscheidet sich für den Dialog mit der Türkei und ist bereit, dafür etwas zu geben: das Zuckerbrot, konkret die Erneuerung der Zollunion und den Ausbaus des Handels und der Zusammenarbeit in der Flüchtlingsfrage. ... Doch auch Peitschen geistern durch die Luft. Im Gipfelbeschluss klingt das so: 'Die EU wird alle ihr zur Verfügung stehenden Instrumente und Optionen nutzen, um ihre Interessen und die ihrer Mitgliedstaaten zu verteidigen. ... Der Europäische Rat wird spätestens auf seiner Dezember-Sitzung gegebenenfalls Entscheidungen treffen.' ... Wenn aber die Zypernfrage weiterhin in die Mitte der Beziehungen zwischen der Türkei und der EU gestellt wird, klingt dies eher nach einem Rezept für eine Katastrophe, die kurz vor Weihnachten eintreffen dürfte.“
Merkel pfeift auf europäische Solidarität
Anders als Athen hat die Kanzlerin ihre nationalen Interessen durchgesetzt, applaudiert Kolumnistin Kyra Adam in Dromos tis Aristeras ironisch:
„Sie sicherte die wertvollen wirtschaftlichen Beziehungen ihres Landes zur Türkei - über die EU - und hat die türkische Dauerdrohung in der Flüchtlingsfrage vorerst 'neutralisiert'. Sie tat dies unter Missachtung der europäischen Solidarität mit zwei EU-Mitgliedstaaten (Griechenland und Zypern), deren nationale Souveränität und Rechte bedroht sind. … Die griechische Regierung hat ihre Arbeit nicht getan, denn sie vermochte nicht einmal dafür zu sorgen, dass [im Abschlussdokument des Gipfels] von 'Sanktionen' gegen die Türkei die Rede ist. … Im Gegenteil, Athen hat sich zur Verbesserung der Beziehungen zwischen der EU und der Türkei verpflichtet.“
Nichts als rhetorische Beschwörungsformeln
Der Standard ist enttäuscht vom EU-Gipfel:
„Selten haben die 27 Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten der EU so auffällig vorgeführt, was der Rest der Welt von ihrer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zu halten hat: ... von Entschlossenheit oder machtvollem Eingreifen bei Krisen und Kriegen in der Nachbarschaft keine Rede. Menschenrechtsverletzer und Demokratieverächter selbst in engen EU-Partnerländern müssen kaum mit Konsequenzen aus Brüssel rechnen. Außer immer neu formulierten rhetorischen Beschwörungsformeln kommt nicht viel. Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel setzte die 'Drohung' eines 'konstruktiven Dialogs' mit der Türkei durch. Na bumm!“
Sanktionen brächten Zypern nichts
Cyprus Mail kritisiert die Fixierung der zyprischen Regierung auf Strafmaßnahmen gegen Ankara:
„Sanktionen gegen die Türkei sind zu einer fixen Idee der Regierung Anastasiades geworden. … Doch sind sie Teil einer Strategie, die dazu beiträgt, ein konkretes Ziel zu erreichen, das dem Land zugutekommt? … Sanktionen würden die rechtswidrigen Handlungen der Türkei nicht stoppen - wenn überhaupt könnten die Provokationen noch stärker werden. Sie würden die Aussichten auf eine Einigung in der Zypern-Frage nicht verbessern und die Türkei-Interessen vieler unserer EU-Partner bedrohen, die sich gegen Zypern einsetzen würden. Möglicherweise würde die Regierung einen kleinen moralischen Sieg über die Türkei erringen, der aber keinen praktischen Nutzen für Zypern hätte.“
Schluss mit dem Theater!
Dass die Sanktionen gegen Belarus erst nach langem Ringen und dem Verzicht von Nikosia auf sein Veto erreicht wurden, ist für NRC Handelsblad nicht länger hinnehmbar:
„Für die Handlungsfähigkeit ist es besser, auf das Veto zu verzichten. Selbst wenn es um Außenpolitik geht, die traditionell als Kronjuwel der nationalen Souveränität gilt. Die Abschaffung des Vetos bedeutet für kleine Mitgliedsstaaten sicher einen Machtverlust. Demgegenüber steht aber der Gewinn für das Kollektiv. Die Abschaffung müsste auch nicht gleich für alle Bereiche gelten. Zum Beispiel könnte man das Vetorecht aufgeben, wenn es um Menschenrechte, Sanktionen oder schnelle diplomatische Interventionen geht. ... Ein Sanktionstheater wie in den vergangenen Wochen kann sich die EU jedenfalls nicht mehr leisten.“