Sitzt Nawalny am längeren Hebel?
Alexej Nawalny ist nach seiner Ankunft in Moskau zu 30 Tagen Haft verurteilt worden. Das Gerichtsverfahren wurde direkt im Polizeirevier abgehalten, der Vorwurf lautete Verstoß gegen Meldeauflagen. Auf Youtube rief der Kreml-Kritiker seine Unterstützer zu Protesten auf: "Nicht für mich, sondern für euch, für eure Zukunft." Kommentatoren diskutieren, wie sehr der Kreml durch Nawalny unter Druck steht.
Seine Videos erreichen die Massen
Eine schleichende Abkehr bisher politisch gleichgültiger Massen von Putin hält Projekt für möglich:
„Nawalnys Publikum ist in diesen Monaten gewachsen und das ist für den Kreml potentiell gefährlicher als eine Radikalisierung des Kerns seiner Anhänger. ... Von der Vergiftung wissen in Umfragen drei von vier Leuten. Die Videos mit den Nachforschungen zur Vergiftung und sein Gespräch mit einem daran beteiligten FSB-Mann haben schon über 20 Millionen Leute gesehen. ... Das ist jeder sechste Wähler in Russland. Diese Menschen könnten nun das Auftreten einer Alternative zum bisher alternativlosen Anführer bemerken, was schon dramatisch ist. Das ist zwar ein stiller Protest, aber der Ausdruck von Unzufriedenheit nimmt ohnehin mehr und mehr die Form eines Partisanenkriegs an.“
Der künftige Präsident
Nawalny steht eine große politische Karriere bevor, prophezeit der russische Oppositionspolitiker Leonid Gozman in gordonua.com:
„Natürlich wird er bei Wahlen nicht gewinnen - solche Wahlen wird es nicht geben. ... Aber er hat alle Chancen, der Kopf von so etwas wie einem Komitee der nationalen Rettung zu werden, das auf den Ruinen des Regimes gebildet wird. Und dann gewählt zu werden. … Es gibt zwei gute Nachrichten über Nawalny als zukünftigen Führer des Landes. … Erstens wird er von sehr intelligenten und professionellen Menschen unterstützt. … Zweitens wird er eine Alternative zu Putin sein. Und deswegen muss er auch eine andere Politik machen, eine Politik, die nicht autoritär, sondern demokratisch ist. Er wird nicht die Freiheit unterdrücken, sondern sie fördern, er wird nicht seine alten Recken bedienen, sondern er wird die Korruption bekämpfen.“
Kämpfer gegen Angst und Zynismus
Nawalnys Mut, trotz drohender Inhaftierung nach Russland zurückzukehren, ist von internationaler Relevanz, lobt Le Temps:
„Die Geste des russischen Oppositionellen erfolgt in einem sehr speziellen Kontext, hat aber zugleich eine universelle Tragweite. Seine mutige Entscheidung ist ein starkes Gegenmittel gegen die Übel unserer Zeit: Angst, Zynismus und Hoffnungslosigkeit. Er zeigt, welche Macht eine Einzelperson hat, die bereit ist, ihre Überzeugungen auf friedliche Weise zu verteidigen. … Zudem stellt er die zentrale Rolle der Demokratien für Oppositionelle und Verfechter der Menschenrechte weltweit heraus.“
EU braucht entschlossene Strategie
Die EU muss härter gegen Putin durchgreifen, drängt La Libre Belgique:
„Die empörten europäischen Kommuniqués, die zu Nawalnys Freilassung auffordern, sind wichtig. Doch sie genügen nicht. Ebenso wenig wie die quasi automatische Verlängerung der Sanktionen gegen Russland. Die Verabschiedung zusätzlicher Maßnahmen kann ein erster Schritt sein, dem weitere folgen müssen - beispielsweise der Kampf gegen russische Geldwäsche in einigen Mitgliedsstaaten. ... Die Europäer können sich vor einer tiefgreifenden Debatte über ihre Beziehung zu Russland unter Präsident Putin nicht länger drücken - selbst wenn es wehtut und ihre Divergenzen dabei offen hervortreten. Eine klare Strategie ist nicht nur dringend nötig, sondern auch unerlässlich.“