Impf-Skepsis: Wie soll die Politik reagieren?
Europa verzeichnet inzwischen mit die höchsten Impfquoten weltweit. Zuletzt hat jedoch das Tempo der Impfungen vielerorts etwas abgenommen: Termine werden nicht wahrgenommen, der Sommer und niedrige Infektionszahlen lassen Menschen zögern, wenn sie nicht gar Impfgegner sind. Die Politik versucht mit teils drastischen Maßnahmen gegenzusteuern - was in den Kommentarspalten gleichermaßen Beifall und Entsetzen auslöst.
Unsere Demokratie ist am Ende
In Lettland hat die Regierung diese Woche beschlossen, dass für einige Berufsgruppen wie Lehrer, Sozialarbeiter und Ärzte die Corona-Impfung zur Pflicht wird. Zudem können Arbeitgeber ihren Mitarbeitern kündigen, wenn sie bis 15. September nicht geimpft sind. Neatkarīgā ist entsetzt:
.„Es gibt demokratische und autoritäre Länder. Ein autoritärer Führer kann erklären, dass es kein Covid gibt und ein Jahr später ein Gesetz verabschieden, wonach die Impfung für alle Pflicht ist. In den demokratischen Ländern ist es anders. Lettland ist ein EU-Mitgliedstaat und der Trend in Europa ist, dass unter keinen Umständen die nicht geimpften Personen diskriminiert werden sollten. ... Demokratie ist besser als Autoritarismus. ... Doch die Realität ist eindeutig und wir werden bald eine Zwangsimpfung haben. Gut, dass die Polizei noch nicht auf den Straßen nach ungeimpften Personen sucht“
Nichts kapiert
Den Eindruck, dass die slowakische Politik derzeit aus der Reihe tanzt, teilt Új Szó - und findet das nicht gut:
„In den meisten europäischen Ländern haben die Politiker verstanden, was hier auf dem Spiel steht. Sowohl die Regierungs-, als auch die Oppositionspolitiker versuchen eher, die Bürger von der Impfung zu überzeugen ... In der Slowakei hingegen machen die Vorsitzenden von Regierungs- und Oppositionsparteien damit Kampagne, dass keine Diskriminierung stattfinden darf: Auch wenn jemand die kostenlose Impfung nicht annehmen will, soll seine Freiheit nicht eingeschränkt werden.“
Menschliches Leben hat oberste Priorität
In Griechenland wird über eine Impfpflicht in bestimmten Branchen wie zum Beispiel dem Gesundheitssektor diskutiert. Dies wäre eine gute Maßnahme, findet Ta Nea:
„In vielen anderen Ländern, wie Italien, wo 98 Prozent der Beschäftigten im Gesundheitswesen geimpft sind, hat die Maßnahme positive und spürbare Ergebnisse gebracht. Auch eine obligatorische Impfung von Beschäftigten in Altenheimen muss geprüft werden. In diesen Arbeitsumfeldern sind Solidarität und der kollektive Schutz der öffentlichen Gesundheit dringend erforderlich. Das Hausieren mit Verschwörungstheorien und Negativismus ist inakzeptabel in einer Zeit, in der Griechenland mit der ganzen Welt darum kämpft, zur Normalität zurückzukehren und das menschliche Leben zur obersten Priorität zu machen.“
Wir müssen alle immer wieder Freiheit aufgeben
Für einen Impfzwang spricht sich in Le Figaro Olivier Babeau aus, Vorsitzender des Think-Tanks Institut Sapiens, das laut Recherchen der Zeitung Libération Verbindungen zur Pharmaindustrie hat. Er will das Argument, ein Impfzwang sei ein Angriff auf die Freiheit, nicht gelten lassen:
„Zunächst einmal wird dabei vergessen, dass wir bereits mit vielen, sehr viel weitreichenderen Einschränkungen leben: Das war beim Lockdown der Fall, der uns die Bewegungsfreiheit nahm, das ist auch bei Tempolimits der Fall oder sogar bei der Pflicht, sich anzuschnallen. ... Warum sollte diese neue Verpflichtung als nachteiliger für die Freiheit empfunden werden als diejenigen, die wir schon lange hinnehmen, ohne gleich zur Revolution aufzurufen? Der Gesellschaftsvertrag basiert auf der Idee, dass wir alle einen Teil unserer Freiheit aufgeben müssen, um in einer freien Gesellschaft leben zu können.“
Verantwortungsbewusstsein belohnen
Auch Deník legt bei dem Thema die Samthandschuhe zur Seite:
„Es gibt die Meinung, dass eine Impfpflicht totalitär anmute. Wir lebten in Freiheit, jeder könne frei entscheiden. Freiheit ist aber nur dann Freiheit, wenn der Bürger auch Verantwortung trägt. … Das rückläufige Interesse an Impfungen deutet darauf hin, dass sich ein Großteil unserer Gesellschaft nicht verantwortungsbewusst verhält. Hier ist der demokratische Staat gefordert, Verantwortungsbewusste zu begünstigen und Unverantwortliche zu benachteiligen. Die Slowakei gibt da derzeit ein Beispiel: Sie schickt jeden Ungeimpften, der in das Land einreist, in Quarantäne. Und zudem muss der auch noch jeden erforderlichen Test selbst bezahlen.“
Kein russisches Roulette spielen
Die möglichen langfristigen Folgen einer Corona-Infektion werden immer noch unterschätzt, mahnt Julius Kalibatas, Vorsitzender des Verbandes der litauischen Hausärzte, auf Lrytas:
„Es ist leider so, dass ein Viertel der Patienten nach überstandener Infektion Beschwerden hat und unter dem sogenannten Long Covid-Syndrom leidet. ... Vieles wissen wir noch nicht über Covid-19 und die Langzeitfolgen für den menschlichen Organismus, darüber, welche Symptome uns lange Zeit oder sogar lebenslänglich begleiten werden. Aber wir wissen ganz genau, dass das einzige Mittel, das uns vor der Corona-Infektion schützen oder sogar unser Leben retten kann, die Impfung ist. ... Lasst uns kein russisches Roulette spielen mit unserem Leben und dem Leben der anderen.“
Freiheit und Lebensfreude sind es wert
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung fordert von der Politik, jetzt ein Zeichen zu setzen:
„Eine kleine Entscheidungshilfe für Impfmuffel könnte die klare Festlegung sein, dass in diesem Herbst und Winter erst einmal nur Geimpfte, Genesene oder Getestete die Innenräume von Restaurants betreten, Kino- und Theatervorstellungen besuchen dürfen. Jedem steht es frei, die Impfung abzulehnen. Nur muss diese Freiheit in einer solchen Krise einen Preis haben. Weil die Zahl der Teststellen bald wieder abnehmen dürfte, steigen die Hürden für Ungeimpfte ganz automatisch. Wem also Fernsehen statt Oper, Lieferdienst statt Restaurant und Kühlschrankbier statt frisch Gezapftem ein zu großes Opfer ist, weiß ja, was zu tun ist.“
Erpressung ist der falsche Weg
In Griechenland können Gastronomen, Kultur- und Freizeitbetriebe ab dem 15. Juli entscheiden, ob sie hauptsächlich Geimpfte zulassen, oder aber 'gemischte Räumlichkeiten' anbieten und entsprechend weniger Gäste aufnehmen dürfen. Efimerida ton Syntakton kritisiert die Regierung:
„Sie nutzt spaltende Methoden, Erpressung und Bestrafung, um die Zahl der Geimpften zu erhöhen. Geschenkgutscheine für Jugendliche, Trennung in Restaurants und Kulturstätten, Drohungen, dass Ungeimpfte in Zukunft keine finanzielle Unterstützung erhalten. ... Tag für Tag verlässt sich die Regierung mehr und mehr auf einen Automatismus, der die eine Bevölkerungsschicht gegen die andere aufbringt. Aber die Spaltung der Gesellschaft hat nie positive Ergebnisse gebracht.“
Ob mit oder ohne Verschwörung: Wir werden krank
Die Haltung von Impfgegnern und Verschwörungstheoretikern entbehrt jeglicher Logik, schimpft Karar:
„Selbst wenn einschließlich der Krankheit selbst alles nur eine Verschwörung, alles eine Erfindung globaler Mächte wäre - was ändert das für uns? Wir werden krank und sterben. Schützt uns der Glaube an eine Theorie davor, intubiert zu werden oder zu sterben? Außerdem haben wir uns durch unsere Technologie-Besessenheit ohnehin für jegliche Nachverfolgung transparent gemacht. Sie können über die Telefone in unseren Taschen in unsere Köpfe blicken.“
Die perfekte Waffe auch nutzen
Für Polityka sind die Argumente glasklar:
„Nur Massenimpfungen, falls erforderlich verstärkt durch eine dritte Dosis, werden Tausende weiterer Todesfälle und im Laufe der Zeit weitere Lockdowns vermeiden. Das Coronavirus wird uns wahrscheinlich weiter begleiten, aber wir können seine Fatalität deutlich reduzieren. Wir haben eine perfekte Waffe in unseren Händen. Es wäre wirklich dumm, sie jetzt nicht zu benutzen.“
Dummheit tolerieren gehört zur Demokratie
Zyperns Regierung erhöht den Druck auf die Unentschlossenen. Unter anderem sollen ab August keine kostenlosen Schnelltests mehr angeboten werden. Für Cyprus Mail ist das der falsche Weg:
„Respekt vor der Meinung anderer, auch wenn sie falsch oder dumm erscheint, war immer ein Eckpfeiler der Demokratie. Was wir jetzt sehen, ähnelt eher der zentralen Planung, die immer mit totalitären Regimen in Verbindung gebracht wurde. Unsere Regierung scheint – wie die meisten anderen, muss man fairerweise sagen – eine Zero-Covid-Politik zu verfolgen, über die niemand abgestimmt hat, während sie Spaltung sät, um die Impfzögerer entweder zum Konvertieren zu zwingen oder sie zu Sündenböcken zu machen.“
Interrailpässe für die Jungen!
Eine Reise durch Europa soll der Jugend als Ansporn für die Impfung dienen, schlägt die NZZ am Sonntag vor:
„Mit einem Interrail-Pass lässt sich Europa per Zug entdecken. Ein solcher Pass wäre das richtige Geschenk für Jugendliche und junge Erwachsene, die sich gegen Corona impfen lassen und wieder reisen können. Als Anreiz fürs Impfen – aber vielmehr noch als Dank und Anerkennung: Die Jungen haben während der Gesundheitskrise zugunsten der älteren, stärker gefährdeten Generationen grosse Solidarität und Rücksichtnahme an den Tag gelegt. Die meisten von ihnen nahmen die Einschränkung ihrer Freiheiten klaglos auf sich. … Gemessen an ihrem Beitrag zur Eindämmung der Pandemie haben die Jungen das verdient.“
Vertrauen ist wichtiger als Information
Index.hr hat seine Zweifel, ob ein häufig genannter Grund für Impfskepsis wirklich den Kern des Problems ausmacht:
„Ein Mangel an Interesse an Impfungen wird in der Öffentlichkeit oft als Problem der schlechten Informiertheit oder Mangel an Bildung dargestellt. Obwohl das bei einem gewissen Anteil der Bevölkerung stimmt, ist das Nicht-Impfen meist auf einen Mangel an Vertrauen zurückzuführen. Wenn Vertrauen in eine Person oder Institution existiert, die einen Vorschlag macht, können Menschen ihn annehmen, selbst wenn sie ihn nicht verstehen. Dies gilt jedoch auch umgekehrt - selbst wenn sie einen Vorschlag oder ein Argument verstehen, können Menschen es ablehnen, wenn kein Vertrauen in denjenigen besteht, der es vorbringt. Informiert sein ist weder eine notwendige noch eine hinreichende Voraussetzung zum Handeln.“