Covid-Pass: Segen oder Fluch?
Trotz der Massenproteste hat Frankreichs Regierung die Einführung des Gesundheitspasses fortgeführt. Seit vergangener Woche ist der Pass Sanitaire nun auch Pflicht, wenn man in Restaurants und einige Einkaufszentren gehen oder Flugzeuge und Fernzüge nutzen will. Einige Staaten wie Italien waren diesen Schritt schon zuvor gegangen, andere zögern noch. Und auch nicht alle Medien sind von seiner Richtigkeit überzeugt.
Das Ende der Freiheit
Für Contrepoints sind mit dem Pass Sanitaire Grundsätze der französischen Republik verletzt:
„Dieser Pass gehört zu einem Land, in dem Rechte nicht für die Menschen, sondern für die Geimpften gelten. Unter den Worten, die die Menschen derzeit beschäftigen, taucht das Wort Freiheit immer wieder auf, während die Wörter Gleichheit - zumindest in Bezug auf das Recht - und Brüderlichkeit längst aufgegeben wurden.“
Testen ist wichtiger als Impfpass
Der Anstieg der Impfdurchbrüche und die Ansteckungsgefahr, die auch von doppelt Geimpften ausgeht, machen die Diskussion um Impfpässe zur Farce, findet The Daily Telegraph:
„Eine Kombination neuer Varianten und nachlassender Immunität hat die frühen Hoffnungen auf 95-prozentigen Schutz zerstört. Wie Professor Neil Ferguson [vom Imperial College London] gestern sagte: '92 Prozent der Erwachsenen mögen Antikörper haben, aber nur die Hälfte von ihnen ist vor einer Infektion geschützt. Deshalb gibt es auch unter Geimpften viele Übertragungen'. ... Das entzieht den Argumenten für Impfpässe jegliche Grundlage. Was wäre wohl denjenigen lieber, die Angst haben, sich bei einer Veranstaltung mit Covid anzustecken: dass man einen Schnelltest an der Tür macht oder alle nur ihre Impfausweise vorlegen?“
Mehrheit nicht der Minderheit unterordnen
Expressen kritisiert den Weg des schwedischen Chef-Epidemiologen Anders Tegnell, der vorerst keine Erleichterungen für Geimpfte will:
„Es ist höchste Zeit, zwischen denen zu unterscheiden, die Verantwortung übernehmen und sich impfen lassen, und denen, die das verweigern. Nutzen Sie Impfpässe nicht nur für Auslandsreisen, sondern im Alltag! Impfausweis vorzeigen und an der Bar ein Bier trinken. Doch Anders Tegnell steht dieser Strategie bisher kritisch gegenüber. Es gebe 'ethische Probleme', sagt er. ... Natürlich, mit der Forderung, nur nach Impfung in die Kneipe zu gehen, ist die Spritze nicht freiwillig. Aber die gleichen Einschränkungen für alle aufrecht zu erhalten, obwohl fast die gesamte erwachsene Bevölkerung vor einer schweren Erkrankung geschützt ist, birgt auch große ethische Fragen.“
Wirksam und gar nicht so unbeliebt
In Frankreich zeigt sich, dass die positiven Konsequenzen des Covid-Passes und der Impfpflicht überwiegen, meint Krytyka Polityczna:
„Während bei den Demonstrationen gegen den Impfpass mehr als 100.000 Menschen auftauchten, meldeten sich eine Woche nach Macrons Botschaft knapp vier Millionen zum Impfen an. Es wird sich zeigen, wie der Pass im Alltag funktionieren wird und ob der angekündigte Boykott wachsen wird, aber wir können bereits sehen, dass der Impfpass erfolgreich war, was die Förderung der Impfbereitschaft betrifft. Und das war einer der Hauptgründe für seine Einführung.“
Der Kampf gegen Pandemie wird so nicht gewonnen
Weder die Einführung eines Corona-Passes noch eine Impfpflicht werden das Virus bekämpfen können, glaubt hingegen Neatkarīgā:
„Wir müssen von unserer politischen Macht langfristige Lösungen verlangen - eine Strategie, um mit dieser Seuche zu leben. 'Zusammenleben' ist das Stichwort, denn 'gewinnen' wird nicht so schnell gelingen. Daher ist ein übermäßiger Druck oder noch schlimmer die Teilung in 'richtige - geimpfte Menschen' und 'falsche - nicht geimpfte Menschen' völlig sinnlos. Mit der Zwangsimpfung für Ärzte, Lehrer und Sozialarbeiter bis zum 1.Oktober könnte auch einiges schieflaufen. Weil dies nicht alle schaffen werden. Vielleicht sollten wir schon jetzt nach einem weiteren Impfstoff suchen, der wirksamer gegen alle Varianten ist.“
Impfen ist zur Religion geworden
Die Debatte hat sich in eine Art Glaubenskrieg verwandelt, in dem Gegner wie Ketzer behandelt werden, klagt der Philosoph Giorgio Agamben in La Stampa:
„Was bei den Diskussionen über den grünen Pass und den Impfstoff am meisten auffällt, ist, dass die als konträr empfundenen Gründe nicht nur in keiner Weise ernst genommen, sondern vorschnell zurückgewiesen werden, wenn sie nicht schlicht und einfach Gegenstand von Sarkasmus und Beleidigungen werden. Man könnte sagen, dass der Impfstoff zu einem religiösen Symbol geworden ist, das wie jedes Glaubensbekenntnis als Trennlinie zwischen Freund und Feind, den Geretteten und den Verdammten fungiert. Wie kann eine These, wenn sie auf die Prüfung abweichender Thesen verzichtet, für sich das Adjektiv wissenschaftlich beanspruchen?“
Staatsapparate übergriffig wie nach 9/11
Die Pandemiebekämpfung darf nicht als Argument dafür dienen, einen allmächtigen Staat zu kreieren, mahnt Azonnali:
„Die Pandemiewellen Anfang 2020 und im Winter 2021, die die Krankenhäuser auf die Probe gestellt haben, sind Realität. Dass die Staatsapparate deswegen aber zu allen bekannten Mitteln des 'Krieges' gegen den Terror zurückgreifen, nur um die Pandemie schnell und völlig zu besiegen, und dass sie diese Mittel heute sogar noch invasiver einsetzen - gegen Impfskeptiker oder diejenigen, die aus irgendwelchen Gründen einfach noch nicht geimpft wurden - kann nicht akzeptiert werden.“