Nato-Russland-Rat: Klare Fronten, keine Einigung
Kurz nach dem Treffen zwischen den USA und Russland in Genf haben sich am Mittwoch zum ersten Mal seit zwei Jahren hochrangige Vertreter Russlands und der Nato getroffen. Von einem Durchbruch bei den Themen Ukraine und Nato-Osterweiterung kann aber nicht die Rede sein: Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sprach von "erheblichen Meinungsverschiedenheiten". Wie wird sich Europa positionieren?
Erste Annäherung ist da
Ganz ergebnislos war das Russland-Nato-Treffen wohl kaum, meint Radio Kommersant FM:
„Außenminister Lawrow sagte danach wörtlich: 'Uns wurde eine schriftliche Reaktion versprochen, die warten wir ab, dann klären wir unsere weiteren Schritte.' Frage: Wenn man sich über nichts hat einigen können, wozu dann die Reaktion schriftlich? Man wird ja wohl kaum in Moskau auf eine schriftliche Ablehnung mit Bidens oder Stoltenbergs Unterschrift und Aktenzeichen warten. Das heißt, es gibt Absprachen und zwar durchaus konkrete: Der Westen ist bereit, Kontrollmechanismen für die grenznahe Aufstellung von Raketensystemen zu erörtern und Regeln für die Abhaltung von Manövern aufzustellen, um Zusammenstöße zu vermeiden. Ja, auch dabei ist man sich nicht überall einig, aber darüber kann man reden.“
Europa muss neue Sicherheitsstruktur entwerfen
Die Logik des Kalten Krieges behindert Europa bis heute, meint Dnevnik:
„Die Frage nach dieser Woche intensiver Weltdiplomatie bleibt also, wann, wo und wie die Eskalationsspirale gestoppt werden kann. Die Frage bleibt, ob man in Europa 30 Jahre nach dem offiziellen Ende des Kalten Krieges eine neue Sicherheitsarchitektur erlangen kann, die weder von Russland diktiert wird noch allein auf der US-Sicht der Dinge beruht, sondern in erster Linie dem europäischen Interesse dient. Eine grundsätzliche Einigung darauf, dass die Bemühungen und Gelder vom Wettrüsten auf die Rettung des Planeten verlagert werden müssen, wäre ein guter Anfang.“
Einheitliche Position der EU ist schwierig
Ob sich die EU-Länder angesichts ihrer unterschiedlichen nationalen Interessen auf eine gemeinsame Position in dem Konflikt einigen können, fragt sich Milliyet:
„Wird die EU (insbesondere Frankreich) Ja sagen zu - wie auch immer gearteten - kriegerischen Aktivitäten der USA gegenüber Russland? Deutschland ist ein anderer Fall: Merkel hätte einem solchen Krieg niemals zugestimmt, doch es sieht so aus, als würde die jetzt ins Amt berufene, zusammengeflickte Patchwork-Koalition dies tun. Deutschland hatte während des anhaltenden Ukraine-Konflikts die Pipeline Nordstream 2, deren Bau beendet ist und über die es Erdgas aus Russland beziehen wollte, bis auf Weiteres gestoppt.“
Moskau sieht Gefahr einer Ukraine als US-Satellit
Der Amerikanist Maxim Sutschkow begründet in Wedomosti die russische Position:
„Moskau spricht von einer 'aktiven militärischen Erschließung' der Ukraine und meint damit die Aufstockung des Militärpotenzials des Nachbarn durch die USA, die Infiltration von Schlüsselinstanzen der dortigen Regierung durch US-Geheimdienste und die Aufstellung eigener Militärinfrastruktur. Auf diese Weise ist in gefährlicher Grenznähe zu Russland eine militärpolitische Bedrohung entstanden, verstärkt durch die aggressive Politik Kiews gegenüber dem Donbass. ... 'Russland wird an die Wand gedrückt' ist keine von Putins Metaphern, sondern ein realistischer Ausdruck dafür, wie Russlands Führung die gegebene Lage sieht.“
Bündnisfreiheit ist für Europa existenziell
Warum gerade Europa Russlands Forderungen ablehnen muss, erklärt La Repubblica:
„Die Idee einer Rückkehr zu Einflusssphären, als ob der Warschauer Pakt noch existierte, kann von der westlichen Welt und insbesondere von Europa nicht akzeptiert werden. Diese Absichten würden nämlich gerade dem Alten Kontinent Grenzen setzen. Grenzen im politischen Handeln, in den freien Entscheidungen der einzelnen Länder und in der militärischen Präsenz. Der Gedanke, dass eine Nation ihre Bündnisse nicht eigenständig festlegen kann, muss schlicht abgelehnt werden. Und sie wird von den Staaten, die sich für den Beitritt zum Atlantikpakt entschieden haben, angefangen mit Polen, als drohende Gefahr empfunden.“
Will Russland wirklich Entspannung?
Wenn Russland wirklich Frieden wollte, würde es nicht rund 100.000 Soldaten an der ukrainischen Grenze halten, meint Eesti Päevaleht:
„Es ist wohl Putins bewusste Taktik, den Westen zu verwirren, um am längeren Hebel zu bleiben. Einerseits bestätigt Moskau, dass es die Ukraine nicht angreifen will. Gleichzeitig kann man aber ein so großes Kontingent nicht einfach so rumhängen lassen. Die Soldaten werden überdrüssig, die Motivation sinkt und die Technik muss überholt werden - die Basen sind aber weit weg. Truppen muss man nutzen oder nach Hause schicken. ... Es scheint, dass Putin eigentlich die Akzeptanz seines Machtsystems im sogenannten 'nahen Ausland' will. Hier muss die Allianz eine rote Linie ziehen: Wir dürfen Länder auf Demokratiekurs nicht aufgeben.“
Kreml-Bedenken nichts als Kalkül
Der Politologe Wolodymyr Fessenko warnt in NV:
„Wenn Russland zustimmt, die Verhandlungen mit den USA und der Nato fortzusetzen, bedeutet dies, dass alle Ultimaten, die ganzen Frechheiten bei den Verhandlungen und die Militärmanöver in der Nähe unserer Grenzen aggressive Verhandlungstaktiken des Kremls sind, eine Art 'psychologischer Angriff' auf den Westen und zum Teil auch auf uns. Gleichzeitig hofft Russland auf Teilzugeständnisse seitens der USA und der Nato und ist zu Verhandlungen bereit. ... Wir jedenfalls dürfen nicht lockerlassen. Wenn Putin und die russische Führung Schwäche spüren, könnten sie zu militärischen Abenteuern gegen die Ukraine übergehen.“
Putin versteht den Wandel einfach nicht
Rzeczpospolita glaubt, dass Russland mit falschen Vorstellungen in die Verhandlungen gegangen ist:
„Woher kommt dieser Dialog der Tauben? Möglicherweise liegt es daran, dass der Kreml und Wladimir Putin persönlich die Funktionsweise des Westens gründlich missverstehen. Schließlich nimmt der russische Staatschef gegenüber der Ukraine und anderen postsowjetischen Ländern, die den Aufbruch in die Demokratie gewagt haben, eine ähnliche Haltung ein. Er scheint davon überzeugt zu sein, dass die so genannten 'farbigen Revolutionen' das Werk amerikanischer Manipulation sind und nicht der Ausdruck einer gereiften Zivilgesellschaft.“