Ungarn: Wieder Zweidrittelmehrheit für Orbán
Bei der ungarischen Parlamentswahl hat die Fidesz-Partei des seit 2010 regierenden Premiers Viktor Orbán erneut eine Zweidrittelmehrheit errungen. Das breite Oppositionsbündnis hinter Gegenkandidat Péter Márki-Zay konnte keinen Durchbruch erzielen. Kommentatoren betrachten das Ergebnis im europäischen Kontext.
Umgang mit Budapest bleibt kompliziert
Ungarns Abstieg von der Demokratie wird sich fortsetzen, fürchtet Denník N:
„Von nun an gibt es kein Argument mehr dafür, innerhalb der Visegrádstaaten überdurchschnittliche Beziehungen zu Ungarn aufrechtzuerhalten, abgesehen von den grundlegenden Angelegenheiten, die für das friedliche Zusammenleben mit einem Nachbarstaat erforderlich sind. Dasselbe gilt für die Europäische Union. So wie europäische Politiker Putin jahrelang übersehen haben und dadurch den Ukraine-Krieg zuließen, so tolerierten sie auch Orbán. Doch selbst wenn wir jetzt den Mut haben, ihm die europäischen Gelder zu kürzen, die seine einzige Motivation für einen Verbleib in der Union sind: Er hat ein enormes Erpressungspotenzial und das Vetorecht, beispielsweise bei der Genehmigung von Sanktionen gegen den Kreml.“
Ungarn isolieren
Der Wahlsieg von Viktor Orbán ist ernüchternd für die EU, klagt De Morgen:
„Der Krieg in der Ukraine lehrt europäische Politiker, dass sie nicht naiv sein sollten, wenn es um die Verteidigung ihrer und unserer demokratischen Werte geht. Viktor Orbán benutzt europäisches Geld, um die Europäische Union zu untergraben. Wir sind nicht verpflichtet, schweigend zuzuschauen, wie Orbán Unterstützungsgelder in die Taschen seiner Freunde und Vertrauten abzweigt. Der europäische Sanktionsmechanismus gegen Ungarn kann noch verschärft werden. Das ist vor allem möglich, weil Polen eine total andere, solidarische Haltung gegenüber der belagerten Ukraine einnimmt. ... Das eröffnet die Chance, Polen zu helfen und das ungarische Regime innerhalb der EU zu isolieren.“
Neue Perspektiven für das Duo Orbán und Vučić
Die Wahlergebnisse in Ungarn und Serbien erlauben Victor Orbán und Aleksandar Vučić, sich weiter anzunähern, analysieren die Balkan-Experten Simon Rico und Jean-Arnault Dérens in Mediapart:
„Diese Annäherung liegt im bewussten gegenseitigen Interesse: Belgrad kann auf das Wohlwollen des EU-Erweiterungskommissars, des Ungarn Olivér Várhelyi, zählen und teilt mit Budapest dieselbe entschlossene Haltung in Bezug auf die Migration entlang der 'Balkanroute'. Für Victor Orbán würde eine Verschiebung der EU-Außengrenze über das benachbarte Serbien hinaus bedeuten, dass Ungarn wieder zum mitteleuropäischen Knotenpunkt wird, wie zu Zeiten der habsburgischen Doppelmonarchie. Zumal der ultrakonservative Premier angesichts seiner relativen Isolation in Europa regionale Verbündete braucht.“
Eine Wahl in unsicheren Zeiten
Die Wähler stimmten für eine Stabilität, die nun schwierig zu bewahren ist, analysiert Telex:
„Die Enttäuschung der Opposition ist berechtigt: Sie hat es nicht geschafft, die Wähler der [Regierungspartei] Fidesz anzusprechen. ... Sie kann sich höchstens darüber freuen, dass sie so den Aufgaben einer besonders schwierigen Regierungsperiode entkommen konnte. Während früher die äußerst vorteilhaften wirtschaftlichen Umstände hilfreich für die Regierung waren, ist die Situation seit 2020 viel schwieriger geworden. ... Vielleicht hatten die Wähler in dieser kritischen Periode mehr Vertrauen in die Kontinuität und in Orbán, der nüchternere und für die Wähler günstigere Botschaften formulierte.“
Wahlgesetz ließ gar keine Chance
Zu viele Ungarn glauben den Lügen des Premiers, klagt La Repubblica:
„Auch der letzte direkte Appell des ukrainischen Präsidenten Selenskyj an die Ungarn, 'den einzigen, der Putin unterstützt', davonzujagen, fiel auf taube Ohren. Viele Ungarn scheinen der verlogenen Propaganda des Premiers erlegen zu sein, der die Opposition beschuldigte, Ungarn in den Krieg ziehen zu wollen. Die Niederlage des von Péter Márki-Zay geführten Bündnisses lässt sich aber auch durch ein Wahlgesetz erklären, das es fast unmöglich macht, Orbán zu schlagen. Um die Mehrheit der Sitze zu gewinnen, hätte die Opposition fünf bis sechs Prozentpunkte mehr als der Fidesz haben müssen.“
Strategie fehlt
Es geht nicht mehr nur um einen unfairen Wettbewerb, sondern auch um die Strategielosigkeit der Opposition, meint der Publizist Szabolcs Szerető in Magyar Hang:
„Egal, wie groß das Übergewicht der Regierungsparteien hinsichtlich der Mittel und des Einflusses in den Medien ist, eine Niederlage solcher Größenordnung kann die vereinte Opposition allein damit nicht mehr erklären. Aller hässlichen Aktionen [der Regierungspartei] zum Trotz kann man nicht behaupten, dass die Macht des Fidesz nicht legitim wäre. ... Ohne eine Denkfabrik, die strategisch denken und auch die Schritte anderer vorhersehen kann, hat keine politische Kraft eine Chance auf Erfolg.“
Autokraten reiben sich die Hände
Sme bedauert den Wahlausgang:
„Orbán sprach von einer Gefahr, meinte aber nicht Putin und dessen Kriegsverbrechen. Noch am Tag der Wahl machte er den Wählern Angst, dass die Opposition bei einem Sieg Ungarn in einen Krieg ziehen würde, der die Ungarn nichts angehe. ... Halb Ungarn, das nur Orbáns Propaganda konsumiert, feiert nun. Die andere Hälfte fühlt sich wie im Exil. ... Orbáns Sieg kann die Hoffnungen potenzieller Autokraten aufblähen, die die Macht nicht teilen, die korrumpieren, das Gesetz beugen und das Gefühl haben, freie Medien seien nur lästige Redundanz, der Luxus der Demokratie. Wir müssen dem unser Nein entgegensetzen.“
Polens Opposition wird ihre Schlüsse ziehen
Das regierungsnahe Medium wPolityce glaubt an ein außenpolitisches Umdenken in Ungarn:
„Im Hintergrund steht natürlich die Frage, ob die nach der Wahl neu gebildete ungarische Regierung ihre Außenpolitik korrigieren wird. Dies scheint sehr wahrscheinlich. ... Für Polen bedeutet der Erfolg von Premier Orbán auch, dass Warschau im Kampf um Souveränität innerhalb der EU weiterhin auf Budapest zählen kann - und umgekehrt. Der Krieg hat diese Fragen etwas überlagert, aber sicher nicht für lange. ... Die polnische Opposition wird auch die ungarische Erfahrung im Jahr 2022 sorgfältig analysieren. Wenn das Konzept, alle regierungskritischen Kräfte zu vereinen, an der Donau gescheitert ist, lässt sich schwer glauben, dass es an der Weichsel Erfolg haben wird.“