Ukraine: Neue Verhandlungen möglich?

Der US-amerikanische Verteidigungsminister Austin und sein russischer Kollege Schoigu haben am Freitag das erste Mal seit Kriegsbeginn persönlich miteinander gesprochen. Auch die EU setzt verstärkt auf diplomatische Schritte: Spitzenpolitiker besuchen Kyjiw, Bundeskanzler Scholz und Präsident Macron streben einen schnellen Waffenstillstand als Grundlage für Verhandlungen an. Kommentatoren sind skeptisch.

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Phileleftheros (CY) /

Verfahrene Situation und kein Wille zum Frieden

Der Akademiker und Schriftsteller Stephanos Konstantinidis schreibt in Phileleftheros:

„Es gibt keinen ernsthaften Versuch, den Krieg zu beenden, keinen ernsthaften Versuch eines Dialogs zwischen den Vereinigten Staaten und Russland, denn der Krieg wird im Wesentlichen zwischen diesen beiden Ländern geführt. Das nunmehr kolonialisierte Europa kriecht hinter den Amerikanern her und schießt sich selbst ins Knie. China schaut vorsichtig hin, denn es weiß, dass dieser Krieg Pekings Interessen dient. Und ein paar Dutzend andere Länder, die einst auf der Seite des amerikanischen Imperiums standen, weigern sich nun, ihre Beziehungen zu Russland abzubrechen. ... Das internationale System ist multipolar und jedes Land verfolgt die Politik, von der es glaubt, dass sie seinen Interessen am besten dient.“

La Stampa (IT) /

Aussicht auf Bedenkzeit

Es gibt einen Hoffnungsschimmer, zumindest für einen Waffenstillstand, glaubt La Stampa:

„Endlich bewegt sich etwas, und es waren die USA, die mit dem Telefonat Lloyd Austins mit dem russischen Verteidigungsminister Sergej Schoigu einen Schritt unternommen haben, der noch vor wenigen Tagen unmöglich schien. Lassen wir uns von dieser Hoffnung wiegen, auch wenn sie noch so schwach ist, und befreien wir uns für einen Moment von dem Alptraum des Krieges. Ein Waffenstillstand ist nur ein Wunsch nach Frieden, aber er erlaubt, an die Zeit danach zu denken, an die von allen ersehnte Zeit, wenn die Waffen aufhören zu donnern und die Gewalt der Diplomatie weicht. Zum ersten Mal kann man zumindest versuchen, sich vorzustellen, was auf die Ukraine zukommen wird, wenn der Wiederaufbau beginnt.“

Új Szó (SK) /

Wie es ausgeht, ist offen

Beidseitige Hoffnung auf einen Sieg hält den Konflikt einstweilen am Leben, beobachtet der Außenpolitikexperte Botond Feledy in Új Szó:

„Die Zeit ist auf beiden Seiten ein wichtiger Faktor ... Es wird sich in den nächsten Monaten herausstellen, wer diese Zeit besser zum eigenen Vorteil nutzen kann ... Das Spiel ist noch längst nicht entschieden. Und gerade aufgrund der offenen Möglichkeiten haben beide Kriegsparteien Interesse, den Konflikt weiterzuführen. Beide können darauf hoffen, das Glück mit List auf ihre Seite zu ziehen. Also sollten wir nicht erwarten, dass der Sommer Frieden bringen könnte.“

Radio Kommersant FM (RU) /

Moskau muss den Konflikt dringend beenden

Radio Kommersant FM sieht angesichts der über Russland hereinbrechenden Wirtschaftskrise dringenden Bedarf für Verhandlungen:

„20 Prozent Inflation sind dieses Jahr schon garantiert. Danach wird es wohl besser. ... Doch ist es schwierig, jetzt irgendetwas mit hoher Wahrscheinlichkeit zu prognostizieren. Warum? Weil es kein klares Verständnis gibt, wie lange die Sanktionen anhalten und ob und in welcher Form sie noch erweitert werden. Werden es sich unsere früheren Partner einmal anders überlegen? Es wäre gut, wenn das alles 2024 endet - aber was, wenn nicht? Wie man es auch dreht und wendet, vieles, wenn nicht alles, hängt an einer Lösung in Sachen Ukraine. Und da gibt es keinen Grund für überbordenden Optimismus, zumindest nicht beim heutigen Stand.“

Kathimerini (GR) /

Globale Hungerkatastrophe abwenden

Auch Kathimerini drängt auf Verhandlungen:

„Der Westen, angeführt von Washington, verfolgt weiterhin eine Politik der absoluten Isolierung des russischen Invasoren, obwohl man recht schnell erkannt hat, dass es nicht gelungen ist, ein Umfeld der globalen Isolierung Russlands zu schaffen. Auf dieser Schnellstraße der verheerenden Kriegsführung muss es auf beiden Seiten Ausfahrten geben - sowie eine Strategie, diese zu erreichen. Dies gilt umso mehr, als sich die weltweite Krise [in Form von Hunger und Armut] in erschreckendem Tempo verschärft. ... Wie kann man also aus der Sackgasse herauskommen und Putins - nach Bidens Worten - 'gefährlicher Unberechenbarkeit' entgegenwirken? Dringende Verhandlungen unter der einzigen Bedingung eines sofortigen Waffenstillstands.“

La Stampa (IT) /

Waffenstillstand anstreben

La Stampa setzt Hoffnung auf die EU als Vermittler von Verhandlungen:

„Die erste wesentliche Grundlage für einen Neubeginn ist das Erreichen eines Waffenstillstands, und der Gesprächspartner, der in diesem Stadium am glaubwürdigsten erscheint, ist nicht mehr Erdoğans Türkei, sondern die Europäische Union. ... Wenn man also davon ausgeht, dass die Ereignisse der kommenden Tage dazu beitragen werden, die Europäische Union als möglichen Vermittler zu profilieren, wie sollten dann die Verhandlungen aussehen? Darauf konzentriert sich die europäische Diplomatie - insbesondere diejenige, die zwischen Kyjiw und den verschiedenen Hauptstädten tätig ist -, um eine 'road map' zu erstellen, bei der der Waffenstillstand an erster Stelle steht.“

La Repubblica (IT) /

Europa kann hier seine Stärke beweisen

Rom, Paris und Berlin bemühen sich zusehends um eine diplomatische Lösung, freut sich La Repubblica:

„Das wirkliche Europa, das jenseits formaler Definitionen zählt, bewegt sich gemeinsam und mit einer sehr klaren Vision, um eine Verhandlungslösung des Konflikts wieder in Gang zu bringen und Putin daran zu hindern, das Scheitern seiner eigenen Ziele hinter einem endlosen und gefährlichen Zermürbungskrieg zu verbergen. Das wird nicht einfach sein. Für die Mission von Macron, Draghi und Scholz spricht jedoch die Tatsache, dass die Invasion in der Ukraine die Debatte über das Schicksal Europas selbst neu eröffnet hat und Europa gezwungen ist, sich in der neu entstehenden globalen Ordnung wieder zu positionieren.“

Salzburger Nachrichten (AT) /

Kyjiw braucht klare Perspektive der EU

Hilfe für die Ukraine beschränkt sich nicht nur auf Waffenlieferungen, meinen die Salzburger Nachrichten:

„Vielmehr stehen in Europa geostrategische Weichenstellungen für eine mögliche Nachkriegsordnung an. Da sind vor allem die Debatten über einen beschleunigten EU-Beitritt der Ukraine. … Frankreichs Präsident Emmanuel Macron dagegen pocht auf die gängigen Verfahren, die 'Jahrzehnte' in Anspruch nehmen könnten. … Es verlangt niemand nach einer Strichliste zum Abhaken. Gefragt sind vielmehr kluge Ideen. Macron denkt über die Schaffung einer neuen 'politischen Gemeinschaft' als Ergänzung zur EU nach, in der es einen Premiumplatz für die Ukraine geben könnte. Das klingt zwar noch reichlich nebulös, weist aber in die richtige Richtung.“

Observador (PT) /

Krieg kann noch Jahre dauern

Der Experte für Sicherheitspolitik, João Marques de Almeida, äußert in Observador wenig Hoffnung auf Frieden bringende Verhandlungen:

„Im Moment hat niemand ein Interesse am Frieden. Russland und die Ukraine wollen beide gewinnen und akzeptieren die derzeitige Situation vor Ort nicht. Ich gehe sogar noch weiter. Ich glaube nicht, dass Putin jemals ein Friedensabkommen mit einer ukrainischen Regierung unterzeichnen wird, wie auch immer diese Regierung aussehen mag. Es sei daran erinnert, dass die erste Phase des Krieges, die von 2014 bis Februar dieses Jahres ging, acht Jahre dauerte und es nie möglich war, einen Friedensvertrag zu unterzeichnen. Frieden in der Ukraine wird es nur geben, wenn Putin die Macht in Russland abgibt. Aber es könnte noch Jahre dauern, bis dieser Tag kommt. “

Gordonua.com (UA) /

Die Ukraine hat den längeren Atem

Russland setzt auf einen langen Krieg, den es am Ende aber verlieren wird, glaubt der im Exil lebende russische Soziologe Igor Eidman auf Gordonua.com:

„Putin glaubt, dass er mit mehr Ressourcen die Ukraine in einem Zermürbungskrieg besiegen kann. Doch diese Hoffnungen sind vergebens. Russland schöpft sein militärisches Potenzial rasch aus und kann nirgendwo auf Nachschub warten, während die Ukraine mit den praktisch unbegrenzten militärischen und wirtschaftlichen Ressourcen der USA und der Nato rechnen kann. Über Jahrzehnte - angefangen mit den israelisch-arabischen Kriegen - haben westliche Waffen die sowjetischen und russischen besiegt. Dies ist auch in der Ukraine der Fall.“