Teil-Ölembargo gegen Russland: Sinnvoll oder nicht?
Über einen Monat lang hat die EU über ein Ölembargo gegen Russland verhandelt, am Ende reichte es für einen Kompromiss: Einfuhren über den Seeweg werden blockiert. Die Binnenstaaten Ungarn, Tschechien und die Slowakei können aber weiterhin Öl über die Druschba-Pipeline beziehen. Vor allem Ungarn hatte sich gegen das Embargo gesperrt. Europas Presse fragt sich, ob der Mittelweg hier zielführend sein kann.
Handlungsspielraum maximal ausgeschöpft
Das war ein sinnvoller und wahrscheinlich letzter Kompromiss, findet Irish Independent:
„Ein partielles Öl-Embargo ist besser als kein Embargo. Alles, was die Finanzierung von Putins Kriegsmaschinerie beschränkt, ist zu begrüßen und das Embargo hat Signifikanz, kommt es doch von einem Bündnis, das stark von russischer Energie abhängig ist. Die Mitgliedsstaaten sind gespalten. Es gibt diejenigen, die sich unbedingt von kreml-kontrollierter Energie lossagen wollen, dann gibt es Binnenstaaten, die hoffnungslos abhängig von ihr sind und andere, die irgendwo dazwischen stehen. Und dennoch fanden die Staats- und Regierungschefs einen Weg zur Quadratur des Kreises – etwas, das vor dem Gipfel keineswegs sicher war. ... Nun hat die EU aber wahrscheinlich alle Trümpfe gespielt. “
Die Ölwaffe funktioniert
Lidové noviny ist sicher, dass die neu beschlossenen Sanktionen Russland früher oder später richtig treffen werden:
„Zunächst kann Moskau mit Öl noch Geld verdienen. Nach und nach wird jedoch Öl anderer Produzenten auf den Markt kommen und der Preis sinken. Russland hat nur begrenzte Möglichkeiten, seine Exporte umzulenken. ... Auf längere Sicht wird es somit schwieriger, den Krieg gegen die vom Westen unterstützte Ukraine zu gewinnen. Die Klagen des ehemaligen russischen Präsidenten Dmitri Medwedew, das Embargo werde die russischen Haushaltseinnahmen beeinträchtigen, zeigen, dass Moskau tatsächlich Angst vor Ölsanktionen hat. Europa muss durchhalten, auch wenn es nicht einfach oder billig ist.“
Lieber kein Embargo als so eins
tagesschau.de ist gar nicht einverstanden mit dem Ergebnis:
„Ungarn, die Slowakei und Tschechien werden davon profitieren, während andere mehr oder weniger mühsam nach Ersatz suchen müssen - vermutlich sehr zur Freude von Wladimir Putin, der hier einen tiefen Keil in die EU treibt und dem die ökonomischen Schieflagen, die dabei entstehen, in die Hände spielen werden. ... Streit und Ärger jedenfalls sind programmiert. Vor einem halbherzigen Öl-Embargo gegen Russland haben viele Ökonomen immer gewarnt - weil es Europa spaltet und Putin nicht ausreichend schadet. Das stimmt. Lieber kein Öl-Embargo als so eins.“
Orbán verhilft Energieriesen zu enormen Profiten
Ungarns Premier hat mehrere Gründe gehabt, das Embargo zu umgehen, glaubt Večernji list:
„Man kann sich des Eindrucks nicht verwehren, dass noch etwas anderes dahinter steckt, außer dem Grund [der schweren Störung der Energieversorgung], den der ungarische Premier Viktor Orbán der EU schlussendlich verkauft hat, unter Androhung des Vetos: Geld. Vielleicht auch Loyalität gegenüber Putin, genauer gesagt Orbáns Bedürfnis, auch russischen Interessen zu dienen, da er meint, dadurch auch den ungarischen am besten zu dienen. Vornehmlich aber Geld, indem Orbán der Mol Group ermöglicht, billigeres russisches Öl und Erdölprodukte zu beschaffen. Er möchte seinen Energie-Tycoons den bisherigen Modus operandi nicht versperren. “
Ungarn ist der Gewinner
Naftemporiki bilanziert:
„Was hat der EU-Streit um russisches Öl gezeigt? Zunächst einmal die tiefe Spaltung innerhalb der 27 Länder. Länder wie Ungarn, aber auch Tschechien und die Slowakei werden weiterhin Öl über die Druschba-Pipeline beziehen. Zweitens hat der Streit gezeigt, dass derjenige gewinnt, der sich wehrt und dabei natürlich gute Gründe für die nationalen Interessen seines Landes anführt. Unabhängig davon, was man von Orbán hält - und das ist natürlich nicht das Beste - kann man dem ungarischen Premier zugute halten, dass er bis zur letzten Minute die Interessen seines Landes verteidigt hat, das zu mehr als 80 Prozent vom russischen Öl abhängig ist. “
Moskaus Kalkül geht auf
Helsingin Sanomat hält den Kompromiss für nicht ausreichend:
„Europa, angeführt von Deutschland, verfolgt die Strategie, der Ukraine zu helfen und Russland zu bestrafen. Wir müssen der Ukraine helfen, aber nicht zu sehr. Wir müssen Russland bestrafen, aber nicht zu sehr. Wir müssen Russland isolieren, aber nicht zu sehr. … Sollte sich die EU für einen dauerhaft lückenhaften Ölboykott entscheiden, passt das in Putins Kalkül: Der Westen ist zu bequem, um so lange an der Front gegen Russland zu bleiben, dass Russland darunter leidet. Es ist eine Vollmacht, mit dem Töten weiterzumachen.“
Ein Land bremst die EU aus
Die Einigung ist für niemanden richtig zufriedenstellend, stellt Jutarnji list ernüchtert fest:
„Obwohl einige Staaten 'spezifische Forderungen' hatten, war Ungarn am Ende das größte Hindernis für den Beschluss der geplanten Sanktionen. Seinetwegen wurde der Plan verwässert, um das Ölimport-Embargo für alle akzeptabel zu machen. Das heißt, man sucht Wege, um das Verbot zumindest am Anfang auf Ölimporte über den Seeweg zu beschränken. ... Damit ist man den Ländern entgegengekommen, die keinen Meerzugang haben. ... Auch bei dieser Option war es nicht leicht, einen Konsens zu erreichen. Er befriedigte die ungarischen Forderungen nicht komplett.“
Fehlender Zusammenhalt wird teuer
Dass Ungarn seine Energieabhängigkeit von Russland nicht eher beendet hat, rächt sich jetzt, meint Népszava:
„Es war schon vor 15 Jahren - seit der Kehrtwende Putins - klar, dass die russischen Energieträger ein Risikopotenzial darstellen. Der amerikanische Plan für die Nabucco-Pipeline, die aserbaidschanisches Gas nach Europa bringen sollte, wurde damals von der Opposition unterstützt, und die Regierungsseite war bestenfalls misstrauisch. ... Die Ukraine erwartet jetzt von Europa, dass es den [Öl]-Import sofort stoppt, um den Krieg Putins nicht mehr zu finanzieren. Laut russischer Ökonomen im Westen wäre das sogar eine billigere Lösung als ein jahrelang andauernder Konflikt. Wer jetzt nur das eigene Problem berücksichtigt, wird viel verlieren; vielleicht alles.“
EU leidet, Russland profitiert
Ein komplettes Ölembargo wäre ein großer geopolitischer Fehler, mahnt der Unternehmer Carl-Alexandre Robyn in La Libre Belgique:
„Das ist wirtschaftliche Realpolitik: Was wir nicht mehr von den Russen kaufen, ist ein Schnäppchen für den Rest der Welt. Andere nationalistische und autokratische Wirtschaftsmächte stellen so sicher, dass sie ausreichend und zu günstigen Preisen versorgt werden, was wiederum Putin ermöglicht, seine Pläne und Ziele unbeirrt zu verfolgen. Nicht nur die EU ist abhängig von Kohlenwasserstoffen, sondern auch der Rest der Welt. ... Das, wofür wir den Russen bisher einen guten Preis bezahlt haben, wird uns nun deutlich mehr kosten, während Putin angesichts dieser Transformation des Energiemarktes keinen Pfennig verlieren wird.“
Alle Blockaden aufheben!
Der Westen handelt selbstzerstörerisch, schimpft Kolumnist Simon Jenkins in The Guardian:
„Es ist absurd, zu erwarten, dass Ungarn sich selbst die Energiezufuhr abdreht und, wie es sagt, seine Wirtschaft 'nuklear bombardiert', ohne dass ein festes Ziel oder ein Zeitplan in Sicht sind. ... Das Ziel [der Sanktionen], Russland zu zwingen, seine Streitkräfte aus der Ukraine abzuziehen, wurde offensichtlich nicht erreicht. Militärhilfe war in dieser Hinsicht weitaus effektiver. Aber der Schaden, der dem Rest Europas und der Außenwelt zugefügt wurde, ist jetzt offenkundig. Die EU sollte an der Unterstützung der ukrainischen Kriegsanstrengungen festhalten und die Wirtschaftssanktionen gegen Russland aufheben. Sie sind selbstzerstörerisch und auf sinnlose Art und Weise grausam.“