Iran: Weiterer Demonstrant hingerichtet
Im Iran ist ein zweites Todesurteil im Zusammenhang mit den seit fast drei Monaten anhaltenden Protesten gegen die Führung der Islamischen Republik vollstreckt worden. Der 23-Jährige Madschid-Resa R. soll zwei Sicherheitskräfte mit einem Messer getötet haben und wurde nach Angaben der Justiz öffentlich gehängt. Weitere Demonstranten stehen auf einer Exekutionsliste. Wie geht es jetzt weiter?
Die Wut wächst
Gazeta Wyborcza glaubt nicht, dass die Iraner sich einschüchtern lassen:
„Menschenrechtsaktivisten schlagen Alarm, dass die Hinrichtung von zwei Demonstranten, die nach fadenscheinigen Gerichtsverfahren verurteilt wurden, im Abstand von nur wenigen Tagen darauf hindeuten könnte, dass es zu weiteren Hinrichtungen kommen werde. ... Die Machthaber in Teheran hoffen wahrscheinlich, dass sie auf diese Weise die Iraner von weiteren Protesten abhalten können. Die Demonstrationen reißen jedoch bislang nicht ab und das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte, die seit September bereits Hunderte von Menschen getötet haben, steigert nur die Wut und verstärkt die Proteste.“
Veränderung ist sicher
Die Signale, die das iranische Regime derzeit aussendet, sind mehrdeutig, analysiert Yetkin Report:
„Mit den Verhaftungen, gewaltsamen Repressionen und dem Beginn von Hinrichtungen zielt das Regime darauf ab, die Demonstranten von der Straße abzuhalten, indem es den Preis für das Protestieren erhöht. Gleichzeitig wurde diskutiert, die Erschad-Patrouille [Sittenpolizei], die kontrolliert, wie Frauen sich kleiden, abzuschaffen. ... Das machte deutlich, dass sich die verschiedenen Stimmen innerhalb des Regimes nicht einigen können. ... Wohin das Regime sich entwickeln wird, ist nicht absehbar. ... Aber es ist sicher, dass es sich verändert und weiter verändern wird. Das ist der Erfolg der Demonstranten angesichts eines immer rigideren Regimes.“
Aufeinander zugehen undenkbar
Teheran wird weiter mit voller Härte vorgehen, ist De Volkskrant überzeugt:
„Das Regime zeigt vielleicht kleine Risse, aber der harte Kern ist einmütig. Die hunderttausenden Mitglieder der Revolutionsgarden (ein Elitekorps, das eng mit der Wirtschaft verwoben ist) werden das System, dem sie alles verdanken, verteidigen. Eine schnelle Wende muss also niemand erwarten, auch wenn die leise Hoffnung bleibt, dass die Proteste am Ende zu einer Veränderung führen können. Der Gegensatz zwischen den Hardlinern an der Spitze und der Überzeugung der Menschen, die es gegen sie aufnehmen, wird mit jeder Verhaftung und jedem Toten deutlicher.“
Feige Realpolitik
La Stampa wirft dem Westen zu viel Zurückhaltung vor:
„Die iranischen Frauen verkörpern die Rechte aller Frauen, und letztlich von uns allen. ... Europa schaut zu und stammelt rituelle Verurteilungen. ... Warum? Sicherlich spielt die Realpolitik eine Rolle, die uns dazu veranlasst, das tyrannische Regime nicht zu sehr zu reizen: Der Iran ist eine Regionalmacht, die kurz davor steht, auch eine Atommacht zu werden, er ist eine ständige Bedrohung für Israel und er ist Putins wichtigster Verbündeter zunächst im Krieg in Syrien und jetzt im Krieg in der Ukraine, an dem er sich mit großzügigen Lieferungen von Shahed-129 und Shahed-191-Drohnen beteiligt.“
Offener Terror
Den Beginn eines neuen Zeitalters beklagt Corriere della Sera:
„Sein Name war Mohsen Schekari, 23 Jahre alt. … Er wird in die Geschichtsbücher eingehen als der erste gehängte Dissident dieser neuen, rücksichtslosen iranischen Repression: schuldig der 'Feindschaft gegen Gott'. Das offene Töten und die Bekanntgabe dessen, was die Milizen bisher im Geheimen betrieben haben, zeigt, dass die Konfrontation existenziell geworden ist. Auf einer Seite stehen die jungen Menschen, die sich nicht mehr unterordnen wollen. ... Auf der anderen das aus der Khomeini-Revolution hervorgegangene Regime, dem diese jungen Menschen keine Legitimität, Autorität oder Zukunft mehr zugestehen. Aber seine Führer haben nicht die Absicht, die Bühne zu verlassen.“
Ein typischer Einschüchterungsversuch
The Spectator erklärt:
„Es ist allgemein bekannt, dass der iranische Staat gerichtliche Instanzen und Bestrafungen vor allem als Terrorbotschaft und weniger als Maßnahme zur Vollstreckung des Rechts einsetzt. Wenn das Regime in der Vergangenheit Menschen hingerichtet hat, etwa den früheren Wrestler Navid Afkari, hat es das aus offensichtlich innenpolitischen Gründen getan. Afkari protestierte 2018 gegen die Regierung, ermordete jedoch keinen Wachmann, wie ihm später vorgeworfen wurde. ... Der Zweck war, in denjenigen, die damals gegen die Regierung demonstrierten, die Furcht vor Gott zu wecken.“
Teheran in der Zwickmühle
Hospodářské noviny wägt ab, wie es jetzt weitergeht:
„Autoritäre und diktatorische Regierungen bieten nur dann Zugeständnisse an, wenn sie wenig oder gar nichts bedeuten. Deshalb hörten die Proteste auf den Straßen auch nach der angekündigten Auflösung der Sittenpolizei, die religiös motivierte Unterdrückung verkörpert, nicht auf - im Gegenteil. ... Die Machthaber in Teheran beziehungsweise die religiösen Führer stehen vor einer schwierigen Entscheidung. Mit weiterer Repression riskieren sie eine Eskalation des aktuellen Konflikts. Sollten sie hingegen wirklich überzeugende Zugeständnissen anbieten, würden sie auf den Widerstand einer Parallelarmee von Revolutionsgarden stoßen, denen ihre Position Macht, wirtschaftlichen Einfluss und beträchtliche Einnahmen garantiert.“