Was verändert sich, wenn der Krieg nahe ist?
Der Blick auf Russland, die Ukraine und den Krieg ist in Polen, im Baltikum, aber angesichts der langen finnisch-russischen Grenze auch im hohen Norden ein anderer als in Westeuropa. Kommentatoren beleuchten die Auswirkungen des vergangenen Jahres in diesen Ländern.
Gefährliches Freund-Feind-Denken
Ein Ziel hat Russland bereits erreicht, warnt der Historiker Valdemaras Klumbys auf LRT:
„Das Umfeld des Krieges stärkt die Mentalität des Kriegsrechts und des Belagerungszustands. ... Es fördert die Egozentrik, die Engstirnigkeit und die Feindseligkeit gegenüber anderen, die nicht als Teil des 'Wir' wahrgenommen werden. ... Es gibt [in Litauen] auch eine wachsende Feindseligkeit gegenüber Westeuropa, das uns einmal mehr nicht versteht und die Ukraine und unsere Vorschläge nicht ausreichend unterstützt. Ich möchte daran erinnern, dass die Zersplitterung der europäischen Einheit immer eines der Ziele der russischen Machthaber war. Daher kann ein solcher gerechter Zorn langfristig den Kräften dienen, die der EU feindlich gegenüberstehen.“
Leben im Schatten des Krieges
Gość Niedzielny reflektiert, was der Angriff auf das Nachbarland für die Menschen in Polen bedeutet:
„Im Schatten des Krieges zu leben, bedeutet nicht nur neue Herausforderungen und größere wirtschaftliche, soziale und politische Schwierigkeiten. Es bedeutet in erster Linie das klare Bewusstsein, dass ganz in unserer Nähe Menschen leben, die von einem Aggressor zu Tod, Angst, Flucht oder Armut verurteilt worden sind. Es bedeutet auch die Ungewissheit, wie es weitergehen wird und inwieweit wir davon betroffen sein werden. Ja, diese Ungewissheit wird von Zeichen der Hoffnung unterbrochen, wie in dieser Woche. Diese Zeichen reichen jedoch nicht aus, um uns den festen Glauben zu geben, dass das Böse ein baldiges Ende haben werde. Und sie sollten auch nicht unsere Sensibilität für das Leiden anderer trüben.“
Polen mit neuem Selbstbewusstsein
Interia betont:
„Wir sind nicht mehr das Polen, das mit der Mütze in der Hand vor den Toren des euro-atlantischen Paradieses stand. ... Wir sind größer. Und wir haben das Recht, uns anders zu verhalten. ... Als Land mit 40 Millionen Einwohnern und dem sechstgrößten Wirtschaftspotenzial in der EU. Als größtes Land in der postsozialistischen Region, die jetzt Teil des Westens ist. Als NATO-Frontstaat. Wir haben das Recht, unsere eigenen Interessen auf unsere eigene Weise zu formulieren. Auch wenn diese Interessen nicht mit denen der anderen großen Akteure übereinstimmen. Wir sind nachgiebig gegenüber den USA, wenn wir es brauchen. Aber wir bieten ihnen die Stirn, wenn sie sich zu viel herausnehmen. Das Gleiche gilt für Deutschland, Frankreich oder die EU-Kommission.“
Finnland bleibt Frontstaat
Ein Nato-Beitritt ändert nichts an Finnlands Exponiertheit, erinnert Helsingin Sanomat:
„Finnland hat den Wettbewerb der Großmächte erst spät wahrgenommen. ... Russland hat in Europa ein Machtvakuum wahrgenommen, das es füllen wollte. Für die Finnen hat der Angriffskrieg das Vertrauen in Russland und auch in die eigenen Stärken erschüttert. Finnlands rascher Richtungswechsel in der Sicherheitspolitik ist historisch. Aber auch als Nato-Mitglied ist und bleibt Finnland ein Frontstaat. Die Gefahr bleibt auch in den nächsten Jahren bestehen.“