Welche Tragweite hat der Rechtsruck in Finnland?
Bei der Parlamentswahl in Finnland hat sich die konservative Nationale Sammlungspartei mit 20,8 Prozent knapp als Sieger durchgesetzt. Die rechtspopulistische Partei Die Finnen erreichte 20,1 Prozent, die Sozialdemokraten unter Premierministerin Sanna Marin hielten sich bei 19,9 Prozent. Im Wahlkampf standen Themen wie Staatsfinanzen und Verschuldung im Vordergrund. Kommentatoren beschäftigt vor allem der Aufschwung der Rechten.
Gefährlich nah an der Macht
To Vima schreibt besorgt:
„Die Wahlen in Finnland am Sonntag hatten eine wichtige politische Botschaft für Europa: Die extreme Rechte ist nicht nur präsent, sondern bäumt sich bedrohlich auf. Ein Gemenge von rassistischen, fremdenfeindlichen und vor allem nationalistischen Einstellungen hat sich als fähig erwiesen, die extreme Rechte an den Rand der Macht zu bringen. Es scheint unvermeidlich, dass die Mitte-Rechts-Partei, die die Wahl gewonnen hat, mit ihr bei der Regierungsbildung zusammenarbeiten muss.“
Für die Ukraine unproblematisch
Trotz der starken Rechten sieht Ukrajinska Prawda keinen Grund zur Sorge:
„Der politische Wille, die Ukraine bei ihrer Verteidigung gegen die russische Aggression zu unterstützen, war und ist groß - jeder versteht, dass der Ausgang des Krieges darüber entscheiden wird, wie sicher Finnland in den kommenden Jahrzehnten sein wird. ... Die Finnen erinnern sich sehr gut daran, wie sie selbst Opfer der Aggression aus Moskau wurden, und so haben sie, und das unterscheidet die finnischen Rechtspopulisten radikal von ähnlichen Parteien in Frankreich oder Deutschland, um es vorsichtig auszudrücken, mehr als genug 'Russophobie'. Auch ein Eintritt der 'Finnen' in die Regierungskoalition sollte kein Problem darstellen. Deren Vorsitzende, Riikka Purra, hatte während des Wahlkampfes betont, dass die Ukraine noch mehr Hilfe brauche.“
Krieg zwingt zum Zusammenhalt
Auch aus Sicht von De Volkskrant geht von Die Finnen keine große Gefahr für Europa aus:
„Wenn die extreme Rechte Fuß fasst, geraten Grundrechte und damit die liberale Demokratie unter Druck. Auch nimmt das Risiko von Blockaden in der EU zu. .... Doch löst eine Regierungsteilnahme von Rechtsextremen in Brüssel nicht mehr den Schrecken von einst aus. In Zeiten großer geopolitischer Turbulenzen hält auch eine euroskeptische Partei wie Die Finnen nichts von einem einsamen Abenteuer außerhalb der EU. Traditionell waren sie gegen die Nato-Mitgliedschaft, aber der Krieg in der Ukraine änderte ihre Meinung. Vorläufig zwingen die Verhältnisse Europa zum Zusammenhalt.“
Keine Anti-EU-Wende
Das ist nicht der Rechtsruck, den sich Viktor Orbán gewünscht hätte, meint Népszava:
„In irgendeiner Form wird nun eine populistische Partei Teil der finnischen Regierung sein. Doch dies bedeutet keine 180-Grad-Wende in Finnlands Politik. ... Die finnischen Parteien waren einig darin, dass der Platz Finnlands, das früher so stolz auf seine Neutralität war, in der Nato ist. ... Im Schatten der russischen Bedrohung gibt es keine Alternative zur Europäischen Union und zur Nato, und dies anerkennen bereits auch die meisten rechtspopulistischen Parteien. Nach jeder europäischen Wahl, die einen Rechtsruck mit sich bringt, hofft die Regierung Ungarns vergeblich, dass sie endlich ihre EU-feindliche Allianz aufbauen kann.“
Es geht ganz handfest um die Wirtschaft
Die Ausstrahlung der Regierungschefin war für die Lösung der wichtigsten Probleme offenbar nicht genug, konstatiert Göteborgs-Posten:
„Wenn's drauf ankommt, kann kein Star-Image der Welt gegen die Wand von Zinsen helfen, die sich vor dem Land auftürmt. Finnland hat im nordischen Vergleich eine hohe Staatsverschuldung, die zudem während der Pandemie stark angestiegen ist. ... Trotz Sanna Marins internationalem Status hat Finnland den eher langweiligen Typen im Anzug gewählt, der über die Entwicklung des Bruttosozialprodukts und über Wachstumskurven redet. ... Sanna Marin mag der europäischen Linken Hoffnung gegeben haben - wenn es um die Rettung der finnischen Wirtschaft geht, nutzt das wenig.“
Vorbote für weniger optimistische Zeiten
Marin wird fehlen, meint The Guardian:
„Sie blieb sowohl im Inland als auch im Ausland eine äußerst beliebte Persönlichkeit, die eine authentische sozialdemokratische und egalitäre Agenda verfolgte. Nachdem sie die Führung einer Koalition übernahm, in der alle fünf teilhabenden Parteien von Frauen geführt wurden, erwies sie sich als versiert im Umgang mit der Covid-Pandemie und der Krise, die Wladimir Putins Invasion in der Ukraine verursacht hat. Und wie ihre einstige politische Verbündete, die ehemalige neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern, wurde sie zum Vorbild für aufstrebende und etablierte weibliche Politikerinnen. Ihr Abschied aus dem Amt fühlt sich wie ein Vorbote für weniger optimistische und aufgeschlossene Zeiten an. “
Schweden als warnendes Beispiel
Finnland wird nach rechts rücken, ist die Süddeutsche Zeitung sicher:
„Die Frage ist, wie weit nach rechts. Es wäre außerordentlich schade, wenn die Selbstverzwergung Nordeuropas hier in Finnland weiterginge. Schweden hat seit vergangenem Herbst eine konservative Koalition, die stark von den rechtspopulistischen Schwedendemokraten geprägt wird. Eigentlich sollte sie Orpo als Abschreckung funktionieren: Die Regierung in Stockholm gibt ein selten trauriges Bild aus Dilettantismus, polemischen Streitereien und klimapolitischer Ignoranz ab.“
Außenpolitisch bleibt wohl alles beim Alten
Nowaja Gaseta Ewropa erwartet wenig Änderungen in Finnlands Diplomatie:
„In der Beziehung Finnlands zur EU und zu Russland wird sich mit dem Antritt der neuen Regierungspartei wohl kaum etwas ändern. Die Sammlungspartei ist eine Mitte-Rechts- und pro-europäische Partei. ... Kursänderungen wären allerdings möglich, wenn es Die Finnen, die aus ihrer euroskeptischen Haltung keinen Hehl machen, schaffen, in die Regierungskoalition einzutreten. Für wesentliche Änderungen der Haltung zu Russland gibt es auch keinen Grund. Die überwiegende Mehrheit der Finnen unterstützt sowohl den Nato-Beitritt als auch die Ukraine im Krieg - und 90 Prozent halten eine Normalisierung der Beziehungen zu Russland unter den derzeitigen Bedingungen für unmöglich.“
Der Nato-Beitritt als Vermächtnis
Marins Wahlniederlage fällt mit dem Nato-Beitritt Finnlands zusammen, den sie beantragt hat, erinnert Deník N:
„Im Nato-Beitritt ist vielleicht das bemerkenswerteste Vermächtnis des scheidenden Ministerpräsidenten zu sehen. In der Hinwendung zum Bündnis ist auch ein Beispiel für eine 'Kollision mit der Realität' in Finnland zu sehen. Schon kurz vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine war dort die Öffentlichkeit in Bezug auf die Nato gespalten, selbst Marin sah den Beitritt zum Bündnis nicht als vorrangig an. Aber der Krieg hat die Haltung der Öffentlichkeit und der Politik erheblich verändert.“
Gürtel enger schnallen ist populär
Die Wähler votierten mehrheitlich für einen Sparkurs, so Yle:
„Die konservative Sammlungspartei propagierte im Wahlkampf Kürzungen. Das Wahlergebnis zeigt, dass die Staatsverschuldung über einem Fünftel der Finnen die größte Sorge bereitet. Die Kehrseite der Sparpolitik ist eine unweigerliche Reduzierung der staatlichen Leistungen und eine Verschärfung der Bedingungen für Finnen, die von der Sozialversicherung leben. … Zum ersten Mal erhält die rechtspopulistische Partei Die Finnen über 20 Prozent. … Die wirtschaftspolitische Linie der Partei ist nicht sehr klar, aber sie verspricht, Unnötiges zu reduzieren. Die Partei ist eher bereit, ein Schrumpfen der finnischen Wirtschaft hinzunehmen, als Arbeitskräfte aus dem Ausland zu holen.“
Die nächsten Wochen werden spannend
Die konträren Positionen zur Finanzpolitik machen die Koalitionsbildung schwierig, erklärt Turun Sanomat:
„Es gibt große Differenzen über die zu ziehenden Schlussfolgerungen. Die Rechte fordert Anpassungsmaßnahmen, die Linke lehnt Kürzungen bei der sozialen Sicherheit und den Sozialleistungen ab. … Der politische Frühling bleibt weiterhin sehr spannend, denn es werden schwierige Verhandlungen zur Regierungsbildung erwartet. Keine Partei verfügt über ein Mandat mit überwältigender Mehrheit, und mindestens zwei der drei großen Parteien werden nach der Wahl einen Konsens finden müssen. Die Parteien haben bereits [manche] potenzielle Regierungspartner ausgeschlossen, so dass die Optionen knapp werden.“