Was hat der Nato-Gipfel in Vilnius gebracht?
Die Nato hat sich in Vilnius nicht auf ein konkretes Beitrittsszenario, dafür aber auf umfassende Unterstützung für die Ukraine geeinigt. Diese soll sowohl über das neue Gremium Ukraine-Nato-Rat als auch über bilaterale Abkommen mit den G7-Staaten gewährleistet werden. Des Weiteren sollen Nato-Mitglieder künftig mindestens zwei Prozent ihres BIP in Verteidigung investieren. Gemischtes Echo in der Presse.
Nun müssen Taten folgen
Die Nato-Staaten müssen die Zusagen auch umsetzen, mahnt NRC:
„Nun kommt es darauf an, dass sie die schönen Worte vom Gipfel nicht vergessen werden, wenn es darauf ankommt und teure Entscheidungen getroffen werden müssen. ... Europäische Länder haben eine besondere Verantwortung: Es geht schließlich um ihre Verteidigung, und die kann ein dreiviertel Jahrhundert nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr auf die USA abgewälzt werden. Die Nato ist in Washington populär, aber während der Präsidentschaft von Trump lernte Europa bereits, dass die amerikanische Unterstützung kein Naturgesetz ist, und wenn China mehr Aufmerksamkeit erfordert, kann Europa in Bedrängnis geraten. Europa darf sich nach Putins Invasion nicht wieder überraschen lassen. “
Ein großer Schritt nach vorn
Die Einigung des Gipfels auf umfassende Verteidigungspläne begrüßt Maaleht:
„Die Tatsache, dass Estland 2004 zusammen mit sechs anderen Staaten Mitglied der Nato wurde, war ein kleines Wunder, das durch den günstigen Stand der militärisch-politischen Sterne und den selbstlosen Einsatz estnischer Beamter begünstigt wurde. Die Aufnahme war eine politische Entscheidung. Artikel 5 gab uns eine Sicherheitsgarantie, aber es gab zunächst keine konkreten Pläne, wie die Nato Estland im Falle eines Angriffs verteidigen würde. Die Ausarbeitung konkreter Verteidigungspläne für Estland (und für andere Länder) war bislang ein drängendes Problem.“
Mehr war nicht drin
Deník zeigt Dilemmata auf:
„Es kam so, wie es nicht anders hätte kommen können. Nach Vilnius steht die Ukraine einer Nato-Mitgliedschaft näher als jedes andere Land, das dem Bündnis beitreten möchte. ... Das Problem für die Ukraine besteht jedoch darin, dass sie immer noch nicht weiß, wann sie zum Beitritt eingeladen wird. Tatsache ist jedoch, dass das Bündnis selbst bei bestem Willen in Vilnius nicht mehr hätte tun können. Sie können ein kriegführendes Land nicht mitten in einem Konflikt in die Nato aufnehmen - wenn sie nicht sofort zu einer der Kriegsparteien werden wollen.“
Keine Zeit für Wunder
Verständnis für die Nato-Entscheidungen zeigt Kolumnist Andrius Užkalnis in Delfi:
„Wir wollten einen Traum. Wir wollten, dass die Befreiung der Ukraine und die Niederwerfung und Entwaffnung der Russischen Föderation in den Augen der Geschichte für immer mit Vilnius verbunden werden. Das wäre fantastisch, aber unrealistisch gewesen. Es gibt keinen Grund, darüber zu trauern. ... Die Großmächte der Welt haben nur so viel beschlossen, wie es die Umstände und ihre Wähler zulassen. ... Politik ist die Kunst des Möglichen, und sie taten, was sie konnten, auch wenn wir gerne mehr und Besseres gehabt hätten - schließlich wird jede Rakete und jede Kugel von den Steuerzahlern irgendwo in Deutschland oder Spanien bezahlt.“
Putin ist der große Verlierer
Russland hat sich verrechnet, meint Jyllands-Posten:
„Putin dachte, er könnte der Nato entkommen. Jetzt hat er zwei neue, starke Nato-Staaten an seiner Grenze. Er glaubte nicht, dass der Westen der Ukraine zur Hilfe kommen würde. Das ist jedoch jetzt der Fall und Russland wird auf das Schlachtfeld gedrängt. Er glaubte nicht, dass der Westen die Kraft habe, seinen Verteidigungswillen wiederzugewinnen. Dies geschieht jetzt, da sich die Nato-Staaten dazu verpflichtet haben, mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung auszugeben. Was Putin gerade im Kreml denkt, weiß wohl nur er selbst. Er ist der Verlierer, der sich durch die Geschichte korrigiert sieht.“
Stoltenberg kann aufatmen
Auch wenn es manchmal nicht danach aussieht, hält die Nato zusammen, stellt Svenska Dagbladet zum Ende des Gipfels mit Genugtuung fest:
„Mit dieser Lösung [des Nato-Ukraine-Rates] und den angekündigten bilateralen Sicherheitsgarantien der G7-Staaten für die Ukraine waren alle glücklich und zufrieden. Generalsekretär Stoltenberg konnte erneut aufatmen. ... Mit fast 32 Ländern ist die Nato eine große Organisation, in der die Interessen der Verbündeten manchmal in leicht unterschiedliche Richtungen gehen. Am Ende kommen sie jedoch immer zu einer Einigung.“
Zu unverbindlich
Wiktorija Wdowytschenko, Dozentin für internationale Beziehungen an der Borys-Grintschenko-Universität in Kyjiw, zeigt sich auf LB.ua enttäuscht:
„Leider gab es bei der Nato-Mitgliedschaft kein Wunder. Bisher hat die Nato unseren Wunsch, dem Bündnis beizutreten, als eine Einladung zum Krieg aufgefasst. Und die wichtigsten Nato-Länder, die Vereinigten Staaten und Deutschland, sind dazu definitiv nicht bereit. Auf dem Gipfel von Vilnius wurden einige wirklich bahnbrechende Entscheidungen getroffen - sowohl über die Mitgliedschaft Schwedens als auch über die Erhöhung der Verteidigungsausgaben. Die Ukraine erhielt jedoch nur erstaunlich vage Formulierungen zu ihren Beitrittsaussichten.“
Verpasste Chance
Dass die Ergebnisse des Gipfels Kyjiw nicht zufriedenstellen, ist für die taz nachvollziehbar:
„Selenskyj, der die Klaviatur der Kriegsdiplomatie mittlerweile perfekt beherrscht, ist ... nicht naiv. Ihm ist klar, dass die Ukraine nicht von jetzt auf gleich Nato-Mitglied werden kann. Trotzdem hätte das Bündnis zumindest beschließen können, Beitrittsgespräche mit Kyjiw aufzunehmen. Das wäre ein wichtiges politisches Statement gewesen und auch ein eindeutiges Signal an Russland. Diese Chance wurde bedauerlicherweise verpasst. Das könnte sich rächen. Man denke nur an 2008 [auf dem Nato-Gipfel in Bukarest wurde das Beitrittsersuchen der Ukraine zwar begrüßt, dann aber vertagt].“
Bukarest 2008 lässt grüßen
Historiker Mart Kuldkepp befürchtet in Postimees ebenfalls, dass die Nato nicht aus ihren Fehlern gelernt hat:
„Auch jetzt - nach anderthalb Jahren voll ausgereiften Krieges - beschränkt man sich auf ziemlich wolkige Zukunftsversprechen. Man könnte sagen, dass die Ernsthaftigkeit, mit der die Frage der Mitgliedschaft der Ukraine erwogen wurde, zeigt, dass es den Nato-Mitgliedstaaten mit ihrer kollektiven Verteidigung ernst ist. Was jedoch zu hören ist, ist etwas anderes: dieselbe alte Angst vor einer Konfrontation mit Russland. ... Die Folgen desselben Fehlers waren bereits nach 2008 sichtbar, und ich fürchte, dass es auch dieses Mal Folgen geben wird.“
Demokratien schützen bedeutet auch Kompromisse
Beim Treffen in Vilnius hat die Nato erneut bewiesen, dass sie der Sicherheits-Garant für Demokratien ist, analysiert Jutarnji list:
„In einer Welt, in der die Zahl der Autokratien wächst, muss man funktionale Demokratien schützen. ... Wenn 31 Personen an einem Tisch sitzen, ist es unmöglich, dass alle das gleiche denken, und wenn dies so wäre, müsste man sofort den Raum verlassen. Niemand ist seit 1949 ausgetreten, aber viele wollen rein. Einigung wird durch Gespräche, Kompromisse, Zugeständnisse erreicht - alles, was Demokratien definiert. Solch eine Nato kann und muss das Hauptquartier der europäischen und teilweise der globalen kooperativen Sicherheitspolitik bleiben. Zum Schrecken Pekings, Moskaus, Pjöngjang und auch Belgrads.“