Extremwetter: Ignorant in die Katastrophe?
Hitze, Dürre, Brände, Überschwemmungen - Europa leidet drastisch unter sich verschärfenden Extremwetterphänomenen und ihren Folgen. In Libyen starben seit Montag über 5.000 Menschen nach Überschwemmungen. Wie können die Auswirkungen des Klimawandels schnell und wirksam angegangen werden? Für Kommentatoren ist klar: Bisher wird die Politik der Dringlichkeit des Themas nicht gerecht.
Niemand will das Desaster wirklich aufhalten
Artı Gerçek verzweifelt angesichts der Ignoranz der Politik:
„In der Türkei macht außer Wissenschaftlern und einigen randständigen Kreisen niemand den Klimawandel zum Grundsatzthema. Wir diskutieren die durch den Klimawandel verursachten Katastrophen und Unglücke nicht in ihren realen Kontexten. Dabei wurden im Juli und August dieses Jahres weltweit und in der Türkei Temperaturrekorde gebrochen. ... Zudem haben wir einen Temperaturanstieg von 1,5 Grad [gegenüber 1990] erlebt, der laut dem Pariser Klimaabkommen nicht hätte überschritten werden dürfen. Die einzige Möglichkeit, die globale Katastrophe aufzuhalten oder zu verlangsamen, besteht darin, die kapitalistische Produktion einzuschränken. Aber auch das scheint unwahrscheinlich.“
Klimaziele müssen oberste Priorität bleiben
Für die Süddeutsche Zeitung sind die Wetterextreme eine Mahnung, die Klimapolitik nicht zu vernachlässigen:
„Ja, es stimmt: Es gibt noch andere Themen, die ebenfalls wichtig sind. Sie können, wie der Angriff Russlands auf die Ukraine, auch eine Zeit lang alles andere überlagern. ... Aber die Klimakrise, mit all ihren Ausprägungen, wird nicht mehr von der politischen Tagesordnung verschwinden. Meist ruft sie sich ohne Vorwarnung in Erinnerung, dann aber mit voller Wucht. Wenn sie Deutschland das nächste Mal erreicht, wird allen wieder klar sein, warum Klimaziele mal 'oberste Priorität' haben sollten. Bitter nur, dass in der Zwischenzeit nach Lage der Dinge so wenig passiert sein wird.“
Griechen müssen aus zynischer Lethargie aufwachen
Korruption und Misswirtschaft dürfen nicht mehr toleriert werden, betont Alexis Papachelas, Chefredakteur der regierungsnahen Kathimerini:
„Es nagt an der Überlebensfähigkeit des Landes, wenn einige Leute die Augen vor Qualitätsmängeln und Verzögerungen bei öffentlichen Projekten verschließen oder wenn ein Bürgermeister die für Hochwasserschutzprojekte vorgesehenen Gelder für die Organisation von Festivals verwendet, die Wählerstimmen bringen. ... Auch wir Wähler müssen verstehen, wie selbstmörderisch und dumm unsere Entscheidungen oft sind. … Wir können weder die Natur noch die Geografie ändern. Die Herausforderung besteht darin, dass vom Premier bis zum letzten Bürger alle aufwachen und begreifen, dass wir in einem 'Failed State' enden werden, wenn wir nicht aus unserer zynischen Lethargie ausbrechen.“
Leben in einer Dauerkrise
Giorgos Rakkas, Politikwissenschaftler, Soziologe und Gemeinderatsmitglied der Fraktion Wir leben in Thessaloniki analysiert für die HuffPost Greece:
„Die Klimaereignisse werden immer intensiver und häufiger. Und die Erschütterung des bestehenden Klimagleichgewichts trägt dazu bei, dass eine 'Dauerkrise' entsteht. ... Zum Thema: Die Klimakatastrophe wird starke Spuren in Volkswirtschaften wie der unseren hinterlassen. Schon vor dem Ausbruch des Evros-Brandes schätzte die Allianz-Versicherung, dass Hitzewellen und nachfolgende Brände Griechenland 0,9 Prozent des BIP kosten. Und der Economist beschrieb in einem ausführlichen Bericht, wie die starke Tourismusindustrie im Süden Europas in Gefahr ist.“
Handeln wie zu Pandemiezeiten nötig
Der Ingenieur Gianni Farini rät in La Libre Belgique zu anticovid-ähnlichen Maßnahmen gegen den Klimawandel:
„Individuelle Gesten sind willkommen und hilfreich, aber scheinen zum jetzigen Zeitpunkt unzureichend. Wenn geeignete (und nicht wie in China überzogene) und rechtzeitig ergriffene Maßnahmen verhindern konnten, dass es zu viele Covid-Opfer gab, dann werden sie es auch schaffen, die vorhersehbare Klimakatastrophe zu verhindern. Der Kampf gegen den Klimawandel ist zwar zeitlich weniger dringend als seinerzeit gegen Covid, aber die Konsequenzen werden umso dramatischer sein.“
Die Zukunft steht auf dem Spiel
Der Umweltwissenschaftler Fernando Prieto von der NGO Beobachtungsstelle für Nachhaltigkeit (OS) beklagt in eldiario.es mangelnde Entschlossenheit:
„Im jüngsten Wahlkampf, der mitten in einer Hitzewelle und bei Höchsttemperaturen stattfand, gab es praktisch keine Diagnose, und die Lösungsvorschläge der vier großen Parteien waren weit entfernt von der lebenswichtigen und großen Herausforderung, die die Klimakrise darstellt. ... Der schreckliche Sommer 2022 mit seinen 42 Hitzewellen laut AEMET [staatlicher meteorologischer Dienst] hätte den Ernst der Lage verdeutlichen können, aber so war es nicht. Der Sommer 2023 hat weltweit Rekorde bei Temperatur- und Wetterextremen aufgestellt. ... Wir müssen entschlossen gegen die Branche der fossilen Brennstoffe vorgehen und alles an den Klimawandel anpassen. Die Zukunft steht auf dem Spiel.“
Ohne Rücksicht auf die Natur gebaut
In Bulgarien haben die Wasserfluten südlich der Hafenstadt Burgas Landstraßen und Brücken schwer beschädigt. Der bulgarische Dienst der Deutschen Welle kritisiert die verantwortlichen Ämter, die die maßlose Bebauung in Küstennähe nicht ausreichend reguliert haben, für das Ausmaß der Schäden:
„Einer der Gründe, warum es Institutionen gibt, ist, dass sie das langfristige Gemeinwohl gegen kurzfristige Interessen verteidigen. Nur die Institutionen könnten ab jetzt dafür sorgen, dass die lokale Bevölkerung der Gemeinde Tsarevo [südlich von Burgas] ihre Natur nicht aus Habgier zerstört. Bisher tun sie jedoch genau das, was die Einheimischen von ihnen erwarten: Sie wiederholen, wie schrecklich die Naturkatastrophe ist, und versprechen Geld.“