Zukunft der Ukraine: Was ist realistisch?
Beim Besuch von Wolodymyr Selenskyj in Washington hat sich Joe Biden zurückhaltend gezeigt, was die bisher von den Republikanern blockierten Finanzhilfen betrifft. Biden sagte zudem, man werde die Ukraine "so lange wir können" militärisch unterstützen – nicht wie bisher "so lange wie nötig". Angesichts der festgefahrenen Kriegslage suchen auch in Europas Presse mehr Stimmen nach neuen Ansätzen für Kyjiw und seine Partner.
Die Zeichen stehen auf Verteidigungskrieg
Die USA drängen Kyjiw zu einem grundlegenden Strategiewechsel, berichtet Jutarnji list:
„Laut New York Times suchen die Befehlshaber der USA und Ukraine eine neue Strategie im Krieg gegen Russland, die die Ukraine schon Anfang 2024 umsetzen soll. Demnach schlagen die USA eine Strategie vor, ja beharren sogar darauf, anstelle von Rückeroberungsversuchen mehr auf Verteidigung umzuschalten, weshalb eine neue, bereits angekündigte Gegenoffensive mit Beginn der Schneeschmelze im Frühling 2024 in Frage gestellt ist. ... Die USA glauben, dass in der jetzigen Lage keine Seite gewinnen kann. Die aktuelle Priorität müsse deshalb sein, dass die Ukraine sich nicht in die Lage bringt, den Krieg zu verlieren.“
Nato-Truppen an die Front
Das effektivste Mittel, um Russland zu stoppen, hat wohl politisch keine Chance, bedauert der Chefredakteur der Nachrichtenagentur Elta, Vytautas Bruveris, in LRT:
„Im Grunde genommen besteht die einzige Möglichkeit darin, Nato-Truppen in das von der Ukraine kontrollierte Gebiet zu bringen und ihr die Garantien des Nato-Artikels 5 zu geben. So würde das russische Regime damit konfrontiert, dass ein weiterer Schritt nach vorn eine direkte Konfrontation mit dem Bündnis und seinen Großmächten bedeuten würde. Ist ein solcher Durchbruch im politischen Willen des Westens zu erwarten? Die Antwort lautet höchstwahrscheinlich nein. ... Wir können nur hoffen, dass die Ukraine über die Kräfte verfügt, diese kritische Phase zu überstehen, auch wenn sie wohl zu weiteren Gebietsverlusten führen wird.“
Zeit für Verhandlungen
Lieber ein schlechter Frieden als ein endloser Abnutzungskrieg, findet Der Standard:
„Wenn die Fortsetzung der Kämpfe keinen Nutzen bringt, dann liegen Verhandlungen über einen Waffenstillstand oder gar über einen Friedensvertrag nahe, bei denen die Ukraine auf einen Teil ihres Staatsgebiets verzichtet. Das wäre zwar völkerrechtswidrig und moralisch abstoßend, aber besser als ein Abnutzungskrieg ohne Ende. Durch die Unbeweglichkeit der Front existiert eine klare Linie, auf die sich beide Seiten zumindest stillschweigend einigen könnten: Der Osten und Süden blieben bei Russland, der Großteil des Landes wäre unabhängig und von russischen Raketen verschont.“
Niederlage kostet mehr als Unterstützung
Tygodnik Powszechny hält Ukraine-Müdigkeit für kurzsichtig:
„In jedem Szenario einer ukrainischen Niederlage wären die Folgen für die EU katastrophal. Und unvergleichlich schwerer - nicht nur materiell - als die Anstrengungen, die Europa heute unternimmt, um die Ukraine zu unterstützen. Bislang sind sie bescheiden im Vergleich zu den Möglichkeiten beispielsweise Deutschlands oder Frankreichs. Nur die Länder an der Ostflanke haben messbare Anstrengungen unternommen, darunter Polen, das (im eigenen Interesse) ein Drittel seiner militärischen Ressourcen abgegeben hat. Unterdessen erwecken die Politiker in der EU den Eindruck, dass sie nicht erkennen, an welch dramatischem Punkt wir uns befinden. ... Polens neue Regierung wird hier gleich ins kalte Wasser geworfen.“
Moskaus Forderungen machen Verhandlungen unmöglich
Russlands Bedingungen sind unverschämt, stellt Večernji list fest:
„Maria Sacharowa, Sprecherin des russischen Außenministeriums, versteckt nicht, was Russland will: eine völlige Kapitulation der ukrainischen Armee und einen Lieferstopp für westliche Waffen an Kyjiw. ... Mehr noch, Sacharowa verlangt, dass die Ukraine für dauerhaften Frieden bereits gelieferte Waffen an Moskau abgeben oder dem Westen unter russischer Aufsicht zurückgeben muss. Und dass die Ukraine vor der Aufnahme von Verhandlungen die 'neuen territorialen Realitäten anerkennen' und sich 'vom russischen Territorium zurückziehen muss', was in der Praxis bedeutet, die Ukrainer müssten sich von den Gebieten der illegal annektierten vier ukrainischen Regionen zurückziehen, die noch unter ukrainischer Kontrolle stehen.“