Polen: Streit um Haft für PiS-Politiker eskaliert
In Polen hat sich der Machtkampf zwischen dem früheren und dem aktuellen Regierungslager zugespitzt. Präsident Andrzej Duda hat sich gegen die Inhaftierung von Ex-Innenminister Mariusz Kamiński und dessen Staatssekretär Maciej Wąsik wegen Amtsmissbrauchs gestellt. Duda besteht weiterhin darauf, dass seine vom Obersten Gerichtshof aufgehobene Begnadigung von 2015 rechtskräftig ist. Premier Tusk wirft dem Präsidenten Sabotage vor.
Polarisierung nützt beiden Lagern
Rzeczpospolita sieht eine unheilvolle Dynamik:
„Jarosław Kaczyński baut einen politischen Mythos auf und motiviert Anhänger zum Protest. ... Dasselbe Spiel treibt Präsident Andrzej Duda, der, anstatt sich um eine rechtliche Lösung zu bemühen, damit Wąsik und Kamiński das Gefängnis verlassen können, lieber 'zutiefst schockiert' über ihre Inhaftierung im Präsidentenpalast äußert und die internationale Öffentlichkeit darüber informiert, dass es in Polen 'politische Gefangene' gebe. ... Indem Donald Tusk auf Polarisierung setzt, gewinnt auch er: Er erfüllt nicht nur die Erwartungen seiner Wähler, sondern drängt darüber hinaus die auf Depolarisierung setzende [zentristische Partei] Trzecia Droga ins Abseits. Aber ist diese Eskalationsspirale gut für Polen?“
Beleidigung für politisch Verfolgte
Geschmacklos findet Gazeta Wyborcza, dass die Inhaftierten von ihren Anhängern als "politische Gefangene" bezeichnet werden:
„Dass die Verurteilten Politiker sind und die Urteile fielen, als ihre Partei in der Opposition war, macht sie nicht zu politischen Gefangenen. ... Schon die Verwendung des Begriffs im Zusammenhang mit Kamiński und Wąsik ist beleidigend. Er beleidigt Tausende von Menschen, die in schrecklichen Gefängnissen eingesperrt, gefoltert und umgebracht wurden, nur weil sie sich gegen die Regime in ihren Ländern gestellt haben. Auch in Belarus und Russland sitzen Menschen hinter Gittern, die wir persönlich kennen, darunter Andrzej Poczobut.“
Methoden wie vor 1991
Die der Orbán-Regierung nahe stehende Magyar Nemzet behauptet, Tusk stecke mit den US-Demokraten unter einer Decke:
„Innerhalb von 24 Stunden ist Polen in die Zeiten des Einparteienstaates zurückgefallen, in denen jeder, der den Machthabenden nicht gefällt, einfach weggeschleppt wird, wie damals die Anhänger der Solidarność. ... Oder man tut so, als gäbe es den Präsidenten der Republik mit all seinen Befugnissen gar nicht. Es ist auch zu bedenken, wer Donald Tusk ermutigt. ... Hinter ihm stehen die US-Demokraten, mit ihrem ganzen Gewicht.“
Eine große Provokation
Die PiS stellt sich zu Unrecht als armes Opfer der neuen Regierung dar, kritisiert der Tages-Anzeiger:
„Natürlich ist das alles eine grosse Provokation. ... Nun strickt die PiS am Mythos der politisch verfolgten Partei, die vom Tyrannen Tusk unterdrückt wird. Dabei unterscheidet sie absichtlich nicht zwischen Staat, Regierung, Gerichten, Polizei – alles eins, alles der Gegner. ... Die PiS-Leute waren von ihrer Macht besessen und scheinen nun schockiert zu sein, dass die Gerichte noch so gut funktionieren und ihnen jetzt gefährlich werden.“
Es droht eine Staatskrise
Das Drama um die Verhaftung könnte sich ausweiten, glaubt die Welt:
„Da nun im Parlament zwei Abgeordnete fehlen, könnte die PiS fortan die gesamte Legitimität des Sejm abstreiten. Parlamentspräsident Szymon Holownia hat aufgrund der Krise erste Sejm-Sitzungen ausgesetzt, obwohl dringend der Haushalt für das laufende Jahr beschlossen werden müsste. Die PiS und Duda haben gezeigt, dass sie selbst eine Staatskrise in Kauf nehmen, um ihre Leute und ihre Macht zu schützen. Für Donnerstag hat die PiS zu einem Protest aller 'freien Polen' vor dem Parlament aufgerufen. Dann wird sich zeigen, ob ihr Narrativ verfängt.“
Auftakt zu politischer Verfolgung
Für das PiS-nahe Portal wPolityce.pl wurde durch die Festnahme im Präsidentenpalast eine gefährliche Grenze überschritten:
„Es ist unklar, wie lange legale Oppositionsarbeit und das Funktionieren von Medien, die von der Regierungspartei unabhängig sind, möglich sein werden. Die unrechtmäßige Entführung der Abgeordneten Kamiński und Wąsik aus dem Präsidentenpalast durch die Polizei ist der Auftakt zu einer politischen Verfolgung, die in zivilisierten europäischen Ländern ihresgleichen sucht.“
Doppelte Matrix
Die Parallelwelten der polnischen Politik beschäftigen den Publizisten Łukasz Warzecha in Rzeczpospolita:
„Der Zustand des bereits de facto bestehenden rechtlichen Dualismus, in dem wir uns befinden, erinnert an die Situation im Film Matrix, nur doppelt. Es gibt nicht nur eine, sondern gleich zwei künstliche Pseudowirklichkeiten. In beiden gibt es Menschen, die mit ernster Miene, bewaffnet mit Gesetzestexten, juristischen Kommentaren, Urteilen und rechtlicher Fachterminologie, beweisen, dass nur ihre eigene Welt real ist. Unter den Bewohnern jedes dieser Universen gibt es nur wenige, die aus ihm ausbrechen wollen und die verstehen, dass dies der einzige Weg der Rettung ist.“
Bitte auf echte Probleme konzentrieren
Die Lage im Land entsetzt Gość Niedzielny:
„An Tagen, an denen der schwedische Verteidigungsminister die Öffentlichkeit vor der realen Möglichkeit eines Krieges warnt, spitzt sich in Polen der politische Konflikt soweit zu, dass das Land wie eine Bananenrepublik wirkt. Es braucht keine russischen Panzer, um diese zu Fall zu bringen, es genügen Tweets heimischer Politiker. Die meisten von ihnen gießen Öl ins Feuer, indem sie sich gegenseitig beschuldigen, sei es, dass die Polizei unrechtmäßig in die Präsidentenresidenz eingedrungen sei, oder dass der Präsident das Verbrechen begangen habe, gesuchte Personen zu verstecken.“