Flüchtlingsdeal EU-Libanon: Warum? Und warum jetzt?
Die EU zahlt dem Libanon eine Milliarde Euro für die Bekämpfung der illegalen Migration von Syrern in die EU, insbesondere über Zypern. Die Übereinkunft folgt auf ähnliche Abkommen mit Ägypten, Tunesien und Mauretanien. Kommentatoren betrachten die Wahl des Partners, den Zeitpunkt, aber auch diese Art von Deal kritisch.
Ein Offenbarungseid
Die Frankfurter Rundschau ist entsetzt:
„Libanon, das ist bekannt, ist ein mehr als fragiler Krisenstaat, in dessen Regierung die militant-islamistische Hisbollah seit Jahren die Strippen zieht. Genau dieser Staat, in dem – in Gestalt der Hisbollah – letztlich der Iran mitregiert, soll nun zum Partner der Europäischen Union (EU) bei der Flüchtlingsabwehr werden ... . [W]er stellt angesichts des politischen Dauerchaos im Zedernstaat sicher, dass die in Aussicht gestellten EU-Mittel nicht in Kassen der Hisbollah fließen, die fast täglich Raketen und Granaten auf Israel abschießt? Vor dieser Gefahr verschließt Brüssel die Augen – eine solche Politik ist nichts anderes als ein Offenbarungseid.“
Augen zu und durch
EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen stellt die eigenen politischen Ambitionen über das Wohlergehen der Flüchtlinge, kritisiert der Tages-Anzeiger:
„Nirgendwo haben palästinensische Geflüchtete so wenig Rechte wie hier, syrische Geflüchtete sollen gegen ihren Willen zurückgeführt worden sein. Laut Schätzungen halten sich im Libanon 1,5 Millionen Menschen auf, die vor dem Bürgerkrieg in Syrien geflüchtet sind. Das ist bei einer Gesamteinwohnerzahl von 5,5 Millionen eine grosse Belastung für das Land. Angesichts der wirtschaftlichen Krise werden die Syrer zunehmend zum Feindbild im Libanon. Von der Leyen weiss das alles. Doch mit Blick auf die Europawahl hofft sie, beim Migrationsthema zu punkten. Bei Italiens rechter Regierungschefin Giorgia Meloni rennt sie damit offene Türen ein. Und das scheint gerade Vorrang zu haben.“
Von der Leyens Geschenk an den rechten Rand
Der Deal ist aus Sicht von Zeit Online auch im Wahlkampfzusammenhang zu sehen:
„Von der Leyen ist die Spitzenkandidatin der Europäischen Volkspartei. Die EVP wird nach allen Umfragen bei den Europawahlen zwar am besten abschneiden. Um die Wahl zu gewinnen, braucht von der Leyen sehr wahrscheinlich auch die Unterstützung von Parteien, die weit rechts von der EVP stehen, beispielsweise die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformern (EKR) im EU-Parlament. Die starke Frau dort ist die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Sie steht für eine harte Haltung zur Migration. Auch die rechtskonservative PiS aus Polen ist Mitglied der EKR. Von der Leyen als Grenzwächterin Europas, das kommt bei der EKR bestimmt gut an.“
Anrainerstaaten nicht zu Türstehern degradieren
Neben Abschottung sollte die EU auf weitere Strategien setzen, meint Der Standard:
„Es müssen Partnerschaften auf Augenhöhe mit den Herkunftsstaaten entstehen, um Rückführungen zu ermöglichen und Fluchtursachen zu beseitigen. Es muss ein Asylsystem geschaffen werden, in dem Asyl und Migration endlich getrennt behandelt werden. Und es muss eine Kooperation mit den Anrainerstaaten entstehen, in der diese nicht zu Türstehern Europas verkommen – sondern bei der diese Länder so weit unterstützt werden, dass sie Flüchtlingen ein würdiges Leben anbieten können, damit diese nicht nach Europa wollen. Das ist vor allem im chaotischen Libanon mit seinem ausgeprägten Hass auf Syrer eine besonders große Herausforderung.“