Venezuela-Wahl: Abschied von der Demokratie?
Nach der offiziell erklärten Wiederwahl des Präsidenten Nicolás Maduro ist es in Venezuela zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei gekommen. Die Opposition geht von extremer Wahlfälschung aus. Schon im Vorfeld war die aussichtsreichste Gegenkandidatin María Corina Machado aus fragwürdigen Gründen an ihrer Kandidatur gehindert worden. Was alles auf dem Spiel steht, analysiert Europas Presse.
Auch ein Problem für Kamala Harris
Politiken geht davon aus, dass nun noch mehr Venezolaner in die USA flüchten wollen:
„Dadurch erhalten die Republikaner von Donald Trump noch mehr Nahrung für ihre Vorwürfe gegen Präsident Joe Biden und nicht zuletzt gegen Kamala Harris, die als Vizepräsidentin eine Mitverantwortung für die Begrenzung der Migration aus dem Süden in Richtung USA trägt. Auf diese Weise hat die Wahl in Venezuela auch eine globale Komponente, wenn sie unglücklicherweise dazu beiträgt, dass Donald Trump wieder an die Macht kommt. Maduro ist also mehr als nur Venezuelas Problem.“
Jetzt kommt es auf das Militär an
Libération sieht Venezuela vor dem Scheideweg:
„Die internationale Gemeinschaft ist gespalten zwischen den traditionellen Unterstützern (Moskau, Peking, Havanna …) und all denen, die immer zahlreicher werden und wie die USA Zweifel am rechtmäßigen Ablauf der Wahl äußern. Denn Venezuela ist ein Schlüsselland. Es verfügt über die größten Erdölreserven der Welt vor Saudi-Arabien, aber die Verstaatlichung des Sektors und die US-Sanktionen haben seine Produktionsmittel geschwächt. Ein Sieg der Opposition würde es erlauben, die Sanktionen abzubauen und das Land erneut westlichen Investoren zu öffnen. Die kommenden Stunden und Tage werden entscheidend sein: Gibt die Armee dem Druck der Straße nach, fällt Nicolás Maduro.“
Mit Zuckerbrot und Peitsche aus dem Amt jagen
De Volkskrant fordert:
„Die internationale Gemeinschaft muss den Druck auf Venezuela aufrechterhalten mit gezielten Sanktionen, die die Bevölkerung so weit wie möglich schonen. Die Opposition hat die Möglichkeit einer Amnestie für Maduro und seine wichtigsten Mitarbeiter in Betracht gezogen, um einen friedlichen Machtwechsel zu erleichtern. Es ist sicher unbefriedigend, wenn Maduro nicht für seine Verbrechen verfolgt wird. Aber am Ende wäre das ein akzeptabler Schritt, wenn damit das Leid der venezolanischen Bevölkerung beendet werden kann. Solange Nicolás Maduro an der Macht ist, bleibt die Lage Venezuelas aussichtslos.“
Eindeutige Wahlfälschung
Tygodnik Powszechny kommentiert:
„Leider war diese Situation vorhersehbar. Die Opposition, mit ihrer Ikone María Corina Machado, stellte eine reale Bedrohung für Maduros sozialistisches Regime dar. Corina Machado hatte 2023 die Vorwahlen gewonnen und 92,5 Prozent der Stimmen erhalten, bei einer Wahlbeteiligung von 64,88 Prozent. Es besteht kein Zweifel, dass sie die Wahl gewonnen hätte. Noch vor Beginn des Wahlkampfs wurde sie jedoch ohne Angabe triftiger Gründe per Gerichtsbeschluss an der Kandidatur gehindert. ... Alle Szenarien sind nun denkbar. Die Venezolaner beginnen, auf die Straße zu gehen und Gerechtigkeit zu fordern.“
Wunsch der Bevölkerung für Maduro egal
La Croix schreibt bedauernd:
„Die Demokratieparodie unterstreicht die Natur des Regimes: ein zivil-militärisches Bündnis, das vor einem Vierteljahrhundert von seinem Gründer Hugo Chávez durchgesetzt wurde, der den 'Sozialismus des 21. Jahrhunderts' versprach. ... Das Versprechen eines Wohlfahrtsstaates wurde nicht gehalten, da das Regime eine gezielte Umverteilungspolitik bevorzugte. Die Erdöl-Rente ist aufgrund amerikanischer Sanktionen und der Unfähigkeit der Regierenden versiegt. Der Zusammenbruch des Lebensstandards hat ein Viertel der Bevölkerung ins Exil getrieben. Um dem Chaos, der Willkür und der Abhängigkeit ein Ende zu setzen, wollte ein großer Teil der Bevölkerung Veränderung. Aber Nicolás Maduro gehört zu den Apparatschiks, die auf keinen Fall vom Volk abhängig sein wollen.“
Auf dem Weg in die Diktatur
Nun sind die Nachbarländer gefragt, meint Der Standard:
„Jetzt steht Maduro vor der nächsten Gabelung, die das weitere Schicksal des Landes bestimmen wird. … US-Sanktionen konnten bisher zwar Venezuelas Wirtschaft, nicht aber Maduros Regime schwächen, und die Idee von Regimewechseln durch Militärinterventionen haben die USA zum Glück aufgegeben. Am ehesten können Nachbarstaaten mit linksgerichteten Regierungen wie Brasilien und Kolumbien etwas Druck ausüben oder zumindest versuchen zu vermitteln. Aber zwischen Demokratie und Diktatur gibt es keine Kompromisse. Wenn Maduro bereit ist, für den Erhalt seiner Macht sein Land in den Abgrund zu stürzen, dann ist Venezuelas Zukunft noch düsterer als die Gegenwart.“
Kubanische Verhältnisse
Die eigentlichen Wahlgewinner werden mit Gewalt unterdrückt, stellt El Mundo resigniert fest:
„Maduros Plan, seine Macht zu zementieren, indem er den Sieg von Edmundo González und María Corina Machado ignoriert, ist so plump wie der Chavismus. ... Die Opposition weiß, dass sie die Wahlen gewonnen hat und dass Maduro nur betrügen konnte, um an der Macht zu bleiben. Maduro wird höchstwahrscheinlich mit eiserner Faust versuchen, sich (seinen Sohn und alle Kinder seiner Kumpanen) zu verewigen. Vielleicht wird die Unterdrückung am Ende so brutal wie die des Castrismus in Kuba. Die Insel lebt laut Aktivisten ohne Internet, weil das kubanische Regime befürchtet, dass der Enthusiasmus auf den Straßen von Caracas überspringen könnte.“
Das geplagte Belarus lässt grüßen
Wirtschaftsprofessor Konstantin Sonin erkennt auf Facebook in Maduros Vorgehen ein Muster aus Minsk:
„Der venezolanische Staatschef Maduro versucht das gleiche Kunststück, das Lukaschenka 2020 gelungen ist. Damals verlor Lukaschenka krachend die Wahl gegen die Oppositionskandidatin Swjatlana Zichanouskaja [Tichanowskaja], konnte sich aber trotz massiver Proteste an der Macht halten. Dies führte zu einer weiteren Auswanderungswelle - hunderttausende Menschen verließen das kleine Belarus, tausende waren brutaler Repression ausgesetzt. ... Es ist zu hoffen, dass Maduro dies nicht gelingt. Der Preis, den die Bürger des Landes für den unersättlichen Machthunger ihrer Führer zahlen, ist zu hoch.“