Tötung von Hamas-Führer: Droht weitere Eskalation?

Die offenbar gezielte Tötung des Hamas-Führers Ismail Hanija in Teheran hat scharfe Reaktionen und Sorge vor einer Eskalation ausgelöst. Der Iran drohte Israel, das er für den tödlichen Angriff verantwortlich macht, mit einer harten Bestrafung. Auch Russland, China und die Türkei verurteilten den Anschlag. Kommentatoren analysieren Vorgehen und mögliche Folgen.

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24 Chasa (BG) /

Sinnloses Unterfangen

Die Tötung Hanijas bringt Israel international nur noch weiter in Verruf, meint 24 Chasa:

„Der Krieg in Gaza und die Zehntausenden zivilen Opfer dort haben das Ansehen Israels und insbesondere das moralische Ansehen des Landes in der Welt stark verändert. Während die Israelis versuchen, die physische Infrastruktur der Hamas und ihre Führer zu zerstören, diskreditiert das Leid der Palästinenser Israel. In diesem Rennen scheint es der Hamas gelungen zu sein, Israel schneller diskreditieren zu können, als die Israelis in der Lage wären, die gesamte militärische und politische Basis der Organisation zerstören zu können.“

El País (ES) /

Kein rationales Vorgehen

Für El País stellt Netanjahu persönliche Interessen über die seines Landes:

„Zweifellos ist Netanjahu selbst am meisten daran interessiert, eine regionale Eskalation zu provozieren. ... Israel ist sich seiner Grenzen bewusst, wenn es darum geht, an mehreren Fronten gleichzeitig zu agieren. ... Keiner der Feinde hat auch nur die geringste Chance, die israelischen Verteidigungskräfte zu besiegen, aber wenn sie gemeinsame Front machen, wäre die Situation für Israel äußerst heikel. ... Rationalität nützt allerdings wenig in einer Region, in der beide Seiten schon so lange mit dem Feuer spielen. ... Und noch weniger, wenn man den persönlichen Willen von Benjamin Netanjahu hinzunimmt, der gegen die Interessen seines eigenen Landes versucht, den Konflikt zu verlängern.“

The Daily Telegraph (GB) /

Israel wird allein gelassen

Die Welle internationaler Kritik an der Tötung findet The Daily Telegraph nicht nachvollziehbar:

„Anstatt Israel in der Stunde der Not zu unterstützen, mehren sich beunruhigende Anzeichen dafür, dass sowohl die Labour-Regierung als auch die Demokratische Partei der USA ihre Unterstützung einschränken wollen. Im Vereinigten Königreich hat die Regierung angekündigt, dass sie nicht länger das Recht des Internationalen Strafgerichtshofs anfechten möchte, einen Haftbefehl gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu zu erwirken ... Da Kamala Harris, die voraussichtliche Präsidentschaftskandidatin der Demokraten, einen ähnlich kritischen Ton anschlägt, kann man es den Israelis nicht verdenken, dass sie sich von ihren sogenannten Verbündeten verraten fühlen.“

Irish Examiner (IE) /

So schafft man keinen Frieden

Irish Examiner erinnert an die eigene Geschichte:

„Hanija wurde als zentrale Figur bei den Verhandlungen zur Beendigung des Konflikts angesehen. ... Israel kann kein ernstzunehmender Partner in der Friedensfrage sein, wenn es genau die Unterhändler tötet, die versuchen, diesen Frieden zu schaffen. Wie wir in Irland nur zu gut wissen, wird der Weg zur Lösung geebnet, indem man es schafft, die Menschen an einen Tisch zu bringen. Aber wenn alle Grenzen des Anstands und der Menschlichkeit gesprengt sind, muss man sich fragen: Wie kann dieser Konflikt ein Ende finden?“

Echo24 (CZ) /

Israel wagt Befreiungsschläge

Der 7. Oktober hat Israel gezeigt, dass es den Status quo nicht weiter akzeptieren kann, meint Echo24:

„Lange Zeit glaubte Israel, die iranische Umzingelung irgendwie bewältigen zu können. Hamas, Hisbollah und das syrische Regime gehörten zu den Marionetten Teherans. Diese Illusion wurde durch das Massaker der Hamas-Horden am 7. Oktober zerstört. Die israelische Gesellschaft konnte die Gefahren an ihren Grenzen nicht länger ignorieren. Über einen möglichen Konflikt im Norden wird seit Beginn des Gaza-Kriegs gesprochen, und nach der Hamas wird es nötig sein, auch der Hisbollah ein Ende zu setzen. Die Angriffe in Beirut und Teheran zeigen, dass Israel keine Angst vor einem regionalen Krieg hat. Es hat dem Iran und seinen Handlangern den Fehdehandschuh hingeworfen.“

Frankfurter Rundschau (DE) /

Positive Wendung in Betracht ziehen

Bitte keine Eskalation heraufbeschwören, warnt die Frankfurter Rundschau:

„Vor der Spirale der Gewalt kommt die Spirale der Gedanken. Im Fall Hanija könnte es helfen, die Möglichkeit einer Entwicklung zum Besseren zumindest ins Auge zu fassen. Das gezieltere Vorgehen Israels könnte dazu beitragen, den Ausbruch eines Flächenbrands zu vermeiden. Auch mit Blick auf die Beziehungen zwischen den Völkern sollte man die Hoffnung nicht aufgeben. Wenn eine so menschenverachtende Stimme wie die Hanijas von nun an nicht mehr zu hören ist, kann dies nicht nur für Israel nützlich sein. Es hilft mittelfristig womöglich auch den Palästinenserinnen und Palästinensern.“

Sergej Aslanjan (RU) /

Extrem schwierige Mission sauber durchgeführt

Der Journalist Sergej Aslanjan staunt auf Facebook über Israels Fertigkeit, einen solch präzisen Angriff mitten im Iran durchzuführen:

„Teheran befindet sich im Landesinnern. Um es mit einer Rakete zu erreichen, braucht man entweder ein frei im iranischen Luftraum fliegendes Flugzeug oder eine Langstreckenrakete, da Iran von allen Seiten von befreundeten Staaten umgeben ist, deren Raketen in die Gegenrichtung und nicht auf Teheran gerichtet sind. Die dritte Möglichkeit wäre ein Einsatz aus der Nachbarschaft mit einer Kurzstreckenrakete. Oder einem Granatwerfer. In jedem Fall ist die Beseitigung des Hamas-Führers das Ergebnis brillanter nachrichtendienstlicher Aufklärung und ausgezeichneter Arbeit.“

Avvenire (IT) /

Ein Akt des internationalen Terrorismus

Avvenire ist empört:

„War der Angriff auf die Hisbollah, bei dem Fuad Schukr, der als Nummer zwei der Bewegung gilt, in Beirut getötet wurde, eine erwartbare Reaktion auf die Tötung zwölf drusischer Kinder, die von einer Rakete der schiitischen Miliz getroffen wurden, so entbehrt die Ermordung des politischen Führers der Hamas, Ismail Hanija, in Teheran jeglicher Rechtfertigung. Der Anschlag auf ihn in der Hauptstadt der Islamischen Republik Iran, wo er der Amtseinführung des neuen Präsidenten, des gemäßigten Reformisten Massud Peseschkian, beiwohnen wollte, ist ein Akt des internationalen Terrorismus.“

El País (ES) /

Neuer iranischer Präsident in der Bredouille

El País wertet den Anschlag als direkten Angriff auf den Iran:

„Es ist ein Schlag gegen den iranischen Sicherheitsapparat, mit der mächtigen Revolutionsgarde an der Spitze. Und der Zeitpunkt schmerzt doppelt. ... Die Fähigkeit, die Flugabwehr zu durchdringen, ist eine Demütigung für das Regime. ... In Erwartung der 'harten Bestrafung', die Chamenei für das 'zionistische Regime' angekündigt hat, bringt die gewagte Operation den neuen [iranischen] Präsidenten in eine schwierige Lage. Seine Prioritäten (vor allem die Verbesserung der Beziehungen zum Westen) werden von der Dringlichkeit der Vergeltungsmaßnahmen verdrängt. ... Jegliche Verhandlungen über die Wiederherstellung des Atomabkommens sind zum Scheitern verurteilt.“

Público (PT) /

Organisation wird dadurch kaum geschwächt

Auf das Fortbestehen der Hamas wird der Tod wenig Auswirkungen haben, prophezeit Público:

„Ismail Hanija ist nicht Osama bin Laden, und die Hamas-Struktur ist es gewohnt, mit dem Verlust ihrer Führer umzugehen, von denen viele in den letzten 20 Jahren von Israel ermordet wurden. Auf diese Weise kann man die Hamas nicht zerschlagen – und alle Experten garantieren, dass sie nicht verschwinden wird. Es heißt sogar, dass Hanija einer der pragmatischsten und bereitwilligsten Führungsmitglieder gewesen wäre, ein Abkommen mit Israel über die Freilassung der 115 Geiseln (von denen viele bereits als tot gelten) zu schließen.“

eldiario.es (ES) /

System der massiven Vergeltung funktioniert nicht

Eldiario.es hält nichts von Israels Strategie:

„Was Netanjahu tut, ist eine verrückte Fahrt ins Nirgendwo. ... Der Iran ist ein zu großer Brocken, um ihn zu schlucken, und schiitische Milizen wie die Hisbollah oder Terrorgruppen wie die Hamas sind unauslöschlich und reproduzieren sich immer wieder, solange die Situation in Palästina und der Region nicht mit politischen Mitteln befriedet wird. ... Das System der massiven Vergeltung, das Israel seit seiner Staatsgründung anwendet, hat noch nie funktioniert und wird auch nie funktionieren, es kann nur vorübergehend Rachegelüste befriedigen.“