Wahlsieg der FPÖ: Was heißt das für Österreich?

Die rechtspopulistische FPÖ ist bei der Parlamentswahl in Österreich erstmals stärkste Kraft geworden. Sie erreichte dem vorläufigen Ergebnis zufolge 29,2 Prozent der Stimmen, gefolgt von der konservativen ÖVP (26,5%) und den Sozialdemokraten (21,0%). Die bisherige Regierungskoalition aus ÖVP und Grünen (8,0%) verpasst eine neuerliche Mehrheit klar. Europas Presse analysiert die Gründe für den FPÖ-Erfolg und mögliche Szenarien.

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Die Presse (AT) /

Erfolg des Zweite-Reihe-Manns

Die Presse analysiert das FPÖ-Spitzenresultat und dessen Außenwirkung:

„Herbert Kickl ist es gelungen, das Vorhaben Jörg Haiders umzusetzen: nämlich die einst unantastbaren Großparteien SPÖ und ÖVP mit einem Rekordergebnis als stärkste Kraft abzulösen. Dass ausgerechnet der Zweite-Reihe-Mann Kickl diesen historischen Erfolg einfährt, ist erstaunlich und folgerichtig zugleich. ... Die FPÖ ist damit unabhängig vom Spitzenkandidaten das Sammelbecken für eine inhomogene Gruppe der Unzufriedenen, Systemgegner und/oder Ewiggestrigen. ... Von außen bleibt Österreich trotz seiner schmerzvollen Geschichte Vorreiter für den Aufstieg der populistischen Rechten, die absichtsvoll mit Tabus spielt, diese bricht und eine unklare Haltung zu Grundpfeilern von Demokratie und Rechtsstaat zeigt.“

Der Standard (AT) /

Eine Überraschung ist das nicht

Die Ausgangslage für die ÖVP hätte ungünstiger nicht sein können, meint Der Standard:

„Die Menschen sind unzufrieden, ihr Blick auf die Zukunft ist pessimistisch. So gesehen ist das Ergebnis der ÖVP keine Überraschung. ... Spitzenkandidat Karl Nehammer hat solide TV-Auftritte absolviert, er gab den Erklärer der Nation. Während der Hochwasserkatastrophe gab er den unpeinlichen Krisenmanager. Das war ein Pluspunkt. Inhaltlich hat die ÖVP aber vor allem bei der Bekämpfung der Teuerung nicht überzeugt. Beim Thema Zuwanderung ist man noch weiter nach rechts gerückt: Wer in sein Wahlprogramm schreibt, Asylsuchenden sollten alle Wertgegenstände abgenommen werden, ist programmatisch von der FPÖ kaum zu unterscheiden. Ausgezahlt hat sich das nicht: Wer das für okay hält, wählt längst die FPÖ.“

hvg (HU) /

Die ÖVP trägt die Verantwortung

Selbstreflexion bei der bisherigen Kanzlerpartei fordert hvg:

„Wenn eine Partei für den Aufstieg der FPÖ zur Verantwortung gezogen werden kann, dann ist es die ÖVP, die seit mehr als 30 Jahren kontinuierlich an der Regierung ist. Freilich ist es nicht so einfach, denn die Rechtsextremen gewinnen weltweit an Stärke, das Vertrauen in den Staat nimmt überall ab, die FPÖ hat erst von Covid, dann von Inflation, Energie- und Migrationskrise profitiert. Ein bisschen Selbsthinterfragung würde der ÖVP aber dennoch nicht schaden, das hat auch ihr Kanzlerkandidat (und jetziger Bundeskanzler) Karl Nehammer zugegeben. Die starke Mitte, mit der die ÖVP auf ihren Wahlplakaten warb, ist eingebrochen.“

Rzeczpospolita (PL) /

Keine "Brandmauer" gegen rechts

Rzeczpospolita vergleicht den Umgang mit der radikalen Rechten in Deutschland und Österreich:

„Der Unterschied zu Deutschland besteht darin, dass die Alternative für Deutschland (AfD) bisher keine Chance hat, die Bundestagswahl zu gewinnen, da sie auf Bundesebene hinter der CDU/CSU liegt. Gleichzeitig ist die AfD in Deutschland der Ausgrenzung durch die anderen Parteien ausgesetzt. In Österreich ist die Situation anders. Zwar wollen die linken Parteien nichts mit den Rechtsextremen zu tun haben, doch die ÖVP ist zur Zusammenarbeit bereit.“

G4Media.ro (RO) /

Russland-Freund Kickl wird nicht Kanzler

G4Media.ro warnt und beschwichtigt zugleich:

„Der FPÖ-Chef ist wie andere ultrarechte/radikale/populistische Parteiführer in Europa Russland-freundlich und lehnt eine Unterstützung der Ukraine ab. ... Zudem hat die FPÖ unter Kickls Führung eine zunehmend revisionistische Haltung zur nationalsozialistischen Vergangenheit des Landes eingenommen und leistet einem quasi-rassistischen und islamfeindlichen Diskurs Vorschub. Aber trotz Platz eins für die FPÖ ist ein Einzug Kickls ins Kanzleramt unwahrscheinlich. Karl Nehammer, Chef der einzigen Partei, die (wie schon 1999 und 2017) bereit ist, mit der FPÖ zu koalieren, lehnt Kickl als Kanzler kategorisch ab. … Auch hat Kickl einen großen Feind in Bundespräsident Alexander Van der Bellen, einem überzeugten Pro-Europäer, der die verfassungsmäßigen Rechte hat, einen Kanzlerkandidaten auch abzulehnen.“

Neue Zürcher Zeitung (CH) /

Ungeeignet für Regierungsverantwortung

Auch die Neue Zürcher Zeitung glaubt nicht, dass die FPÖ ins Bundeskanzleramt einzieht:

„Zum einen hat sich die FPÖ unter Kickl inhaltlich radikalisiert. Das Wahlprogramm enthält Punkte, die für Österreich einen Systembruch darstellten. Kickl strebt ganz offen eine 'Orbanisierung' an. Außenpolitisch will er das Land auf eine antieuropäische und kremlfreundliche Linie bringen. Zum anderen kann man ganz nüchtern feststellen, dass der Leistungsausweis der Partei in Regierungsverantwortung miserabel ist. ... 'Genug ist genug', erklärte vor fünf Jahren sogar der damalige Kanzler Sebastian Kurz. ... Inhaltlich war die Bilanz seiner Regierung mit den Freiheitlichen dürftig: Die meisten Reformen blieben Stückwerk, wurden gerichtlich aufgehoben oder erwiesen sich als PR-Gag.“

Ruslan Rochow (UA) /

Erstmals wohl Drei-Parteien-Koalition

FPÖ und Grüne bleiben bei der Bildung einer Regierungskoalition wohl außen vor, schreibt Politik-Stratege Ruslan Rochow auf Facebook:

„Nach den Parlamentswahlen in Österreich steht ein langwieriger Prozess der Koalitionsverhandlungen bevor. Eine erneute Koalition zwischen der ÖVP und den Grünen scheint aufgrund fehlender Stimmen sowie erheblicher Differenzen zwischen den beiden derzeitigen Koalitionspartnern unmöglich. Es sieht danach aus, dass zum ersten Mal in der Geschichte Österreichs eine Drei-Parteien-Koalition gebildet wird – zwischen ÖVP, SPÖ und Neos. Die Liberalen könnten die Grünen als Juniorpartner ersetzen, allerdings in einer breiteren Koalition.“