Moldau: Was sind die Lehren aus dem knappen EU-Votum?

Mit 50,4 Prozent haben die Bürger der Republik Moldau dafür gestimmt, den EU-Beitritt als unabänderliches Ziel in die Verfassung zu schreiben. Die parallel stattfindende erste Runde der Präsidentschaftswahl brachte keine Entscheidung, somit muss Amtsinhaberin Maia Sandu in eine Stichwahl. Doch ging alles mit rechten Dingen zu? Sandu erklärte, prorussische Kräfte hätten nachweislich Stimmen gekauft. Europas Presse sortiert die Gemengelage.

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Ukrajinska Prawda (UA) /

Propagandamaterial für den Kreml

Ukrajinska Prawda ist besorgt:

„Die Wähler haben sich mit einer knappen Mehrheit für die Verfassungsänderungen ausgesprochen, und nun wird das Ziel der EU-Integration im Grundgesetz Moldaus verankert. Dieses Ergebnis kam allerdings aufgrund der Stimmen der Auslandsmoldauer zustande. Die in Moldau wohnende Bevölkerung hingegen lehnte die Annäherung ihres Landes an die EU mehrheitlich ab. Selbst in der Hauptstadt stimmten 44 Prozent der Wähler, also fast die Hälfte, gegen die europäische Zukunft. … Das wird Moskau und prorussischen Akteuren ein starkes Druckmittel in die Hand geben, um Moldaus EU-Bestrebungen infrage zu stellen.“

Contributors (RO) /

Wohlstand gibt es nur mit der EU

Man hätte die wirtschaftlichen Perspektiven im Wahlkampf stärker betonen sollen, ärgert sich Politik-Analyst Radu Carp bei Contributors:

„Die EU oder Mitgliedsstaaten wie Rumänien haben in der Republik Moldau entscheidend zu wichtigen Infrastrukturprojekten beigetragen. Die Republik Moldau hat sich dadurch stark gewandelt. Doch gab es anscheinend kaum Bemühungen, diese Fortschritte auch zu kommunizieren. Moldau mag mit gewaltigen Herausforderungen konfrontiert sein, die die begrenzten Ressourcen des Landes überfordern: ukrainische Flüchtlinge, Energiekrise, Wegbruch traditioneller Märkte, Abwanderung. Keine Regierung wird den Lebensstandard im Handumdrehen verbessern können. Doch langfristig verspricht nur die Beteiligung am gemeinsamen europäischen Markt Wohlstand.“

Maszol (RO) /

Zwischen zwei Welten gefangen

Die Spaltung ist für Maszol, ein ungarischsprachiges Portal in Rumänien, nicht neu:

„Die sprachliche und damit auch ideologische Spaltung hat sich durch die letzten drei Jahrzehnte gezogen. Die Ergebnisse fast aller Wahlen waren knapp, wobei sich das pro-russische Lager und das pro-westlich oder pro-rumänisch genannte Lager andererseits an der Macht abwechselten. Warum also wundern sich Rumänien und Europa so naiv und mit weit aufgerissenen Augen über das knappe Ergebnis des Referendums? .... Wie auch immer die Präsidentenwahl ausgeht: Die tiefe Spaltung Moldawiens wird dazu führen, dass das Land seinen gegenwärtigen autonomen, neutralen Status für lange Zeit behalten wird: Es wird kein Mitglied der EU, aber auch kein Teil 'Eurasiens' sein.“

Politiken (DK) /

Wertekampf mit vielen Fronten

Die EU braucht neue Strategien, mahnt Politiken:

„Dass Russland die EU im Kampf um Einfluss in Europa in die Defensive gedrängt hat, lässt sich teilweise mit den schmutzigen Tricks und dem regelmäßigen Betrug des Putin-Regimes begründen. Aber die EU ist ihrerseits nicht in der Lage, ausreichend starke Gegenmaßnahmen zu finden für einen Kampf, der im Grunde ein Wertekampf ist: ein Kampf von Rechtsstaatlichkeit und demokratischen Idealen gegen die brutale Autokratie des Putin-Regimes. Die Front in diesem Wertekampf reicht von Belarus und der Ukraine im Norden bis nach Moldau und Georgien. Er wird mit unterschiedlichen Mitteln geführt – militärisch in der Ukraine und als politischer Hybridkrieg anderswo. Aber die EU ist überall bedrängt.“

De Volkskrant (NL) /

Auf Risiken und Nebenwirkungen vorbereiten

Die EU muss sich für die Aufnahme weiterer Mitglieder besser rüsten, fordert De Volkskrant:

„Der Beitritt neuer Mitglieder mit geringer demokratischer Tradition und einer großen pro-russischen Bevölkerungsgruppe ist ein Risiko, gegen das die EU sich wappnen muss. Regeln müssen geändert werden, so dass die Union härter vorgehen kann gegen Mitgliedstaaten, die sich in eine autoritäre Richtung entwickeln. Eine Wiederholung des Fiaskos mit Ungarn muss verhindert werden. Dennoch: Im globalen Kampf zwischen Demokratie und Autokratie hat die EU ein geopolitisches Interesse am Beitritt von Moldau und Georgien und natürlich der Ukraine.“

agora.md (MD) /

Pro-Europäer müssen Konsens suchen

Das moldauische Onlineportal agora.md erwartet, dass der knappe Ausgang des Referendums die pro-europäischen Kräfte zu Kurskorrekturen bewegt:

„Der knappe Sieg liegt nicht nur daran, dass sich Russland eingemischt hat. Er könnte die Regierungspartei auch dazu zwingen, ihre Strategien und Botschaften neu zu justieren, um die Wähler in den Bezirken fernab der Hauptstadt zu erreichen, ebenso die russischsprachigen Wähler im Land. Die Pro-Europäer werden sich eingestehen müssen, dass es einen bedeutenden Bevölkerungsteil gibt, der nicht ihre Meinung teilt und sie müssen Lösungen finden, um einen nationalen Konsens über die europäische Agenda zu erreichen.“

Deutsche Welle (RO) /

Fragen zum Wahlbetrug schnellstens klären

Es muss dringend untersucht werden, was an den Stimmenkauf-Vorwürfen dran ist, meint der Rumänische Dienst der Deutschen Welle:

„Das Referendum ist äußerst knapp ausgegangen und in der Öffentlichkeit ist riesiger Druck spürbar. Die Menschen fühlen sich betrogen und erwarten, dass ihr Votum verteidigt wird. Sie erwarten, dass die Behörden ihnen sagen, wie ein Betrug möglich war und warum er nicht verhindert werden konnte. Was sind die Beweise, auf die sich Präsidentin Maia Sandu beruft? Was passiert mit denjenigen, die die Abstimmung gefälscht haben, aber auch mit denen, die zugegeben haben, dass ihre Stimme gekauft wurde? ... Ohne klare Antworten auf diese Fragen könnte das Ergebnis bei der Stichwahl ums Präsidentenamt desaströs ausfallen.“

The Times (GB) /

Stimmenkauf letztlich erfolglos

Putins Plan ist gescheitert, freut sich The Times:

„Auch wenn das Ergebnis hauchdünn ausfiel, hat es Moldaus Willen zu einer demokratischen Zukunft bekräftigt, trotz der revisionistischen Versuche Russlands, die Vorherrschaft über dieses 'nahe Ausland' zurückzugewinnen. Es war auch eine Verschwendung von schätzungsweise 100 Millionen US-Dollar an Bestechungsgeldern, die Moskau ausgegeben hat, um Stimmen zu kaufen. ... Das Ergebnis des Referendums wird der Ukraine, die selbst eine Zukunft innerhalb der EU anstrebt, Mut machen. Aber es erinnert auch an die Wirksamkeit von Putins Wahlmanipulationen, die inzwischen zum Charakteristikum westlicher Wahlen geworden sind. Er war sehr nah dran, damit beim Referendum in Moldau erfolgreich zu sein.“

Trud (BG) /

Schallende Ohrfeige für Brüssel

Das Ergebnis des Referendums ist eine schallende Ohrfeige für Brüssel, meint hingegen Trud:

„Für ein armes Land an der Grenze zur EU ist es unerhört, um ein paar hundert Stimmen an einem Nein vorbeizuschrammen. Im Jahr 2003 stimmte Ungarn mit 83 Prozent für den Beitritt, die Slowakei sogar mit 93 Prozent. Jedes Ergebnis unter 60 Prozent für den EU-Beitritt ist ein grandioser Misserfolg. Moldau liegt weltweit beim Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt auf Platz 93, gleich hinter Botswana. Noch vor 15 Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass die Moldauer sich unschlüssig gezeigt hätten, ob sie dem 'Club der Reichen' angehören wollen.“

Aargauer Zeitung (CH) /

Mutige Präsidentin

Die Aargauer Zeitung würdigt Sandu und zieht Parallelen mit einem anderen Land im Spannungsfeld zwischen der EU und Russland:

„In Moldawien und Georgien findet gerade ein Showdown statt, wo es heisst: entweder Freiheit und Demokratie mit Europa oder Knechtschaft und Autokratie mit Russland. ... Zum Glück gibt es in beiden Ländern ... eine aktive, proeuropäische Zivilgesellschaft. Auch haben sowohl Moldawien wie Georgien mutige Präsidentinnen, die sich mit aller Kraft für den West-Kurs einsetzen. Und das, obwohl Russland bereits Tausende Soldaten auf ihrem Territorium stationiert hat. Diese Tapferkeit verdient Anerkennung und Respekt.“

Göteborgs-Posten (SE) /

Der Westen im Dilemma

Göteborgs-Posten sucht nach Möglichkeiten, wie das demokratische Ausland Russlands Einfluss mindern kann:

„Wenn Korruption, Bestechung und politische Gewalt an der Tagesordnung sind, ist Moskaus Weltbild in gewisser Weise legitimiert. Deshalb nimmt Moskau gerne schwache und leicht zu infiltrierende Länder wie Moldau ins Visier. Kriminelle Banden und korrupte Politiker sind ein großer Gewinn für den russischen Geheimdienst. Für den Westen stellt dies ein Dilemma dar. Die Antwort mit derselben Münze bestätigt Moskaus Narrativ und wird auch vom heimischen Publikum nicht so akzeptiert. Nur zuschauen ist hingegen auch keine sehr attraktive Option. Es bleibt zu versuchen, durch die Stärkung unabhängiger und liberaler Institutionen langfristig zu handeln.“