Georgien: Umstrittene Wahl eines neuen Präsidenten
Mit der Parlamentsmehrheit der Regierungspartei Georgischer Traum ist Micheil Kawelaschwili zum neuen Staatsoberhaupt Georgiens bestimmt worden. Die Opposition boykottierte die Wahl des ehemaligen Fußballprofis und rechtskonservativen Politikers, da sie das Ergebnis der Parlamentswahl vom Oktober nicht anerkennt. Europas Presse kommentiert.
Putin lässt grüßen
Der Georgische Traum (KO) regiert weiter durch, stellt die taz fest:
„Demnächst könnte also ein Mann an der Spitze Georgiens stehen, der in gewohnt undiplomatischer Manier schamlos den Bad Guy geben kann und dem KO auch noch die Drecksarbeit abnimmt: Hetztiraden gegen den Westen und Minderheiten wie Vertreter*innen der LGBTQ+-Community sowie wüste Beschimpfungen an die Adresse der Tausenden hirnlosen Demonstrant*innen, die sich ihm zufolge aus dem Ausland bezahlen lassen. Zweifellos wird Kawelaschwili seinen Beitrag zum Kampf gegen den 'liberalen Faschismus' leisten – ein abstruser Begriff, den Vertreter*innen des KO so gerne im Munde führen. Russlands Präsident Wladimir Putin lässt grüßen.“
Verpuffen die Proteste?
Wie es in Georgien weitergeht, steht auf Messers Schneide, so The Economist:
„Zündstoff bietet der 29. Dezember, wenn die bisherige Präsidentin Salome Surabischwili laut Gesetz ihr Amt aufgeben muss. Die in Frankreich geborene Surabischwili, eine überzeugte Europäerin, weigert sich jedoch, dies zu tun, da das Parlament, das ihren Nachfolger gewählt hat, nicht rechtmäßig gewählt wurde. ... Sie stellt sich auf die Seite der Demonstranten. Doch Surabischwili ist 72 Jahre alt und eher eine Galionsfigur als eine Führungspersönlichkeit. Wenn es der Regierung gelingt, gezielt Mitglieder der Opposition einzuschüchtern, während die Wut der Bevölkerung verpufft, könnten die Proteste über die Feiertage im Sande verlaufen. Wenn die Regierung jedoch einen Fehler macht, könnten die Proteste eskalieren.“
Stunde der Wahrheit für die Opposition
Latvijas Avīze analysiert die Proteste in Georgien und zieht Parallelen zu den Ereignissen in Belarus in 2020:
„Nun scheint sich in Georgien ein ähnliches Szenario einer gescheiterten Revolution abzuspielen. ... Mehrere hundert Oppositionelle, darunter einige politische Anführer, wurden bereits festgenommen, was die Hilfslosigkeit der Opposition zeigt. Keiner der Oppositionspolitiker übernimmt die ideologische und politische Führung der Proteste. ... Jetzt ist der letzte Moment für die georgische Opposition, auf den abfahrenden europäischen Zug aufzuspringen ... Doch dazu muss die Opposition einen wirklich mutigen Schritt wagen: Sie muss die Sicherheitskräfte der Regierung zur Flucht zwingen, die Parlaments- und Regierungsgebäude besetzen und eine neue Übergangsregierung bilden!“
Untätigkeit der EU wäre verantwortungslos
In einem Gastbeitrag für Le Monde appelliert ein Kollektiv von Mitgliedern europäischer Think Tanks an die EU:
„Wenn die EU jetzt nicht entschlossener handelt, wird sie ihre Glaubwürdigkeit in der Region verlieren, was auch Konsequenzen für die Ukraine, Moldau und Armenien sowie generell für ihre Position in der Welt haben wird. Sie wird den Herrschern im Kreml und anderen autoritären Regimen Signale senden, die sie zu noch mehr Gewalt, Wahlmanipulationen und einer Verstärkung des Autoritarismus anregen werden. Der fehlende Konsens innerhalb der EU, insbesondere wenn er von einem einzigen autoritären Mitgliedstaat, nämlich Ungarn, blockiert wird, darf keine Entschuldigung für Untätigkeit sein. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten müssen jetzt handeln, bevor es zu spät ist.“