Kanada: Trudeau kündigt Rücktritt an

Kanadas Premier Justin Trudeau gibt den Vorsitz seiner Liberalen Partei ab. Sobald ein Nachfolger gefunden sei, wolle er auch als Regierungschef zurücktreten, sagte Trudeau, der seit 2015 im Amt ist, am Montag. Einst von vielen Kanadiern als Hoffnungsträger begrüßt, hatte der Druck auf Trudeau zuletzt immer mehr zugenommen – insbesondere seine Wirtschaftspolitik wurde als unzulänglich wahrgenommen.

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Irish Examiner (IE) /

Er hat den Fortschritt verkörpert

Auch wenn Trudeau hinter seinen Versprechungen zurückblieb, so brachte er doch progressiven Wandel, erinnert Irish Examiner:

„Als Premierminister setzte er bahnbrechende Reformen wie die Legalisierung von Marihuana und Programme zur Verbesserung der Kinderbetreuung und ihrer Bezahlbarkeit durch. ... Trudeau machte sich zum Beispiel auch auf den Weg zum Flughafen, um syrische Flüchtlinge persönlich willkommen zu heißen, nachdem Trump seinen sogenannten 'Muslim Ban' unterzeichnet hatte. Das Ergebnis – verstärkt durch sein geschlechterparitätisches Kabinett, die Betonung von LGBTQ+-Rechten und seine Entschlossenheit, 25.000 syrische Flüchtlinge aufzunehmen – hat dazu beigetragen, Kanada als inklusiver und weltoffener zu positionieren.“

24tv.ua (UA) /

Steuerpolitik war der letzte Tropfen

Laut 24tv.ua hat Trudeau lange Zeit die falschen politischen Prioritäten gesetzt:

„Während seiner zehnjährigen Amtszeit gab Justin Trudeau Geld für alles Mögliche aus – außer dafür, was Kanada wirklich brauchte. In dieser Zeit blühte die Bürokratie auf, aber die Armee ist heruntergekommen. Vor dem Hintergrund des Kampfs für die Umwelt in Kanada gerieten die traditionellen Industrien des Landes, insbesondere Bergbau, in eine Krise. Das Spiel mit Subventionen beinahe für jedermann hat zu einer Steuerkrise geführt. Diese ist der Anlass dafür, dass Donald Trump Kanada und Trudeau seit Monaten andauernd verspottet. Sie war im Grunde auch der letzte Tropfen und hat die Krise innerhalb der Trudeau-Regierung verursacht.“

Neue Zürcher Zeitung (CH) /

Denkbar ungünstiger Zeitpunkt

Kanada wird den USA im anstehenden Handelskonflikt schwerlich Paroli bieten können, warnt die Neue Zürcher Zeitung:

„Für Kanada kommt die Führungsschwäche an der Regierungsspitze zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Am 20. Januar tritt Donald Trump in Washington seine zweite Amtszeit an. Mit Drohungen, unmittelbar danach auf kanadischen Importen einen Zoll von 25 Prozent zu erheben, hat er das nördliche Nachbarland aufgeschreckt. Rund 75 Prozent der Exporte Kanadas gehen in die USA. ... Die Situation ruft nach einem konzertierten Vorgehen von Politik und Wirtschaft in Kanada, um Trump entgegenzutreten. Doch mit Trudeaus Ankündigung dürfte nun bis mindestens Mitte Jahr unklar sein, wer Kanada in Zukunft führen wird.“

The Spectator (GB) /

Eitel, planlos, historisch schlecht

Für The Spectator war es höchste Zeit, dass Trudeau geht:

„Trudeau ist nicht nur der schlechteste Premierminister in der Geschichte Kanadas, sondern auch der realitätsfernste. ... Trudeau war entweder der Meinung, dass er als Premier nichts falsch gemacht hatte – oder dass alle anderen für sein Scheitern verantwortlich waren. Er dachte anscheinend auch, dass er dieses steuerlose liberale Schiff wenden könnte. Auf welcher Grundlage er das annahm? Keine Ahnung. Die Liste seiner Misserfolge, Fehltritte und Patzer seit seinem Amtsantritt 2015 stellt die Fehler aller vorherigen Premierminister in den Schatten.“

Corriere della Sera (IT) /

Das Problem mit den USA

Corriere della Sera sieht den Rückzug im Kontext von Donald Trumps Amtsübernahme:

„Der designierte US-Präsident machte sich über Trudeau lustig, indem er ihn als 'Gouverneur' bezeichnete und auf die Möglichkeit anspielte, dass Kanada der 51. Bundesstaat der USA werden könnte. Der Premier in Ottawa reagierte darauf, indem er den Sieg des Republikaners über Kamala Harris als Beweis für die Rückkehr des Machismus jenseits der Grenze bezeichnete. ... Kanada kann jedoch nicht auf die USA, seinen wichtigsten Handelspartner, verzichten. ... Kanadas Wirtschaft schwächelt, das Pro-Kopf-BIP ist im freien Fall, und der US-amerikanische Neo-Protektionismus dürfte sicherlich nicht dazu beitragen, die Kaufkraft der Kanadier zu verbessern.“