Deutschland startet in den Wahlkampf

In Deutschland ist für den 23. Februar eine vorgezogene Bundestagswahl angesetzt, denn Bundeskanzler Olaf Scholz hat nach dem Ende der Ampel-Koalition keine Mehrheit mehr. Neben dem Höhenflug der rechtspopulistischen AfD spielt im Wahlkampf die Wirtschaftspolitik die Hauptrolle. Die Medien beleuchten kritisch die ökonomischen Ideen und Reformvorschläge der Parteien: Lässt sich so beim Wähler punkten?

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Bernardinai (LT) /

Da hilft nur noch eine Schocktherapie

Teodoras Žukas, Direktor des Institute of European Right, diagnostiziert in Bernardinai Deutschland mangelnde Flexibilität:

„Der Staatsapparat auf Bundes- und Landesebene, die Automobilindustrie, die einflussreichen Landesbanken und die Großbanken – alle wollen weiterhin auf denselben bewährten Schienen fahren. Schienen, die Deutschland vor einigen Jahrzehnten zum Höhepunkt des Wohlstands geführt haben, die jedoch heute instabil geworden sind. Der Einfluss der größten deutschen Industriezweige auf das politische System Deutschlands lässt sich kaum noch als Lobbyismus bezeichnen – es ist vielmehr eine umfassende Verflechtung. Wie im Fall des russischen Gases bleibt das Gefühl, dass Deutschland einen weiteren Schock benötigt, um diese schädlichen Normen tatsächlich aufzugeben.“

Gazeta Wyborcza (PL) /

Es gewinnt, wer Perspektiven bietet

Wahlentscheidend ist allein die Wirtschaftspolitik, ist Gazeta Wyborcza überzeugt:

„In zwei Monaten wird der Hörer im Kanzleramt von jemand anderem abgenommen. Von wem? Die deutschen Wähler werden sich von dem Politiker überzeugen lassen, dessen Ideen die deutsche Wirtschaft erfolgreich ankurbeln, Arbeitsplätze in der Industrie retten und das Land auf das Innovationsniveau der anderen mächtigsten Volkswirtschaften der Welt heben.“

Frankfurter Allgemeine Zeitung (DE) /

Weiter-so statt Wachstumsschub

Die Wirtschaftskonzepte der Parteien sind der Frankfurter Allgemeinen Zeitung viel zu mutlos:

„Sozialdemokraten und Grüne versprechen einen Steuernachlass für Investitionen in Deutschland, als ob die Unternehmen nur auf einen politischen Black Friday warteten, um mit ordentlich Rabatt alle abgesagten Projekte doch noch in die Tat umzusetzen. ... Das Konzept der Union ist insofern besser, als sie die Steuerlast insgesamt senken ... will. Wie das finanziert werden soll, bleibt jedoch offen. ... Sowohl mit einer schwarz-roten wie mit einer schwarz-grünen Koalition sind Einschnitte im Sozialstaat unwahrscheinlich. Doch diese werden, so schmerzhaft es ist, gebraucht, um im Bundeshaushalt mehr Spielraum für Investitionen zu schaffen ... . Statt echten Wachstums erwartet Deutschland nach der Wahl wohl ein Weiter-so.“

Der Tagesspiegel (DE) /

Kein Streit ist auch keine Lösung

Der Tagesspiegel sieht die demokratischen Parteien in einem Dilemma:

„Einerseits haben die Wählerinnen und Wähler erkennbar genug von gegenseitigen Schuldzuweisungen und Besserwissereien. Andererseits müssen Union, SPD, Grüne und FDP jeweils klarmachen, was sie im Kern voneinander unterscheidet. ... Durch die Neuwahlen steht die Bundesrepublik vor einem der kürzesten und intensivsten Wahlkämpfe ihrer Geschichte – und die AfD laut Umfragen womöglich vor ihrem größten Triumph. ... Viel Zeit bleibt den demokratischen Parteien nicht, die Agenda zu bestimmen. Sonst werden AfD und Musk die Lücke zu füllen wissen. Und dann wird der Wahlkampf nicht nur heiß, dann wird er ätzend.“