Wie sollte Europas Antwort auf Trump aussehen?
Drei Wochen nach Trumps Amtsantritt hat Herman Van Rompuy vor einer "ideologischen Kollaboration" mit Trump gewarnt. In einem Interview mit dem belgischen Magazin Knack erklärte der ehemalige Präsident des Europarats, dass sich schuldig mache, wer Trump relativiert. Ein Blick in Europas Kommentarspalten zeigt, wie sehr Politik und Gesellschaft um eine Antwort auf Trump ringen.
Gegen den hochmütigen Autokraten zusammentun
Europa darf in seiner kritischen Haltung gegenüber Trump nicht einknicken, mahnt der spanische Jurist Baltasar Garzón in El País:
„Die übrigen Staaten, vor allem die europäischen, reagieren teilweise vernünftig und mutig auf Trump, zumindest den Worten nach. Aber ich zweifle daran, dass sie diese Einstellung bewahren, wenn ihre wirtschaftlichen Interessen auf dem Spiel stehen. Vermutlich werden sie weichgespült und dem politischen Opportunismus unterworfen, so wie es bei Guantánamo geschah, als man über die illegalen Häftlinge und das Folterzentrum hinwegsah, das legalisiert war und es vielleicht jetzt wieder wird. 2003 haben wir gemeinsam die Menschenrechte gegen den Irakkrieg hochgehalten. Werden wir das jetzt wieder tun, gegen einen hochmütigen Autokraten, der sich einzig und allein vom Profit leiten lässt, willkürlich Freiheiten aufhebt und abscheuliche Praktiken fördert, die wir längst ausgerottet wähnten?“
Verstörender Beifall aus Mittelosteuropa
Es ist offenbar Trumps Interesse, die EU zu zerstören - und die Visegrádstaaten applaudieren ihm noch, klagt Sme:
„Ted Malloch, der Trump eine große Hilfe im Wahlkampf war, strebt nach dem Posten des neuen amerikanischen Botschafters bei der EU. Den Grund dafür verheimlicht er erst gar nicht. Er half einst beim Zerfall der Sowjetunion und möchte dies nun gerne bei einer weiteren Union, der EU, wiederholen. Er sagt offen, dass der Euro binnen weniger Monate weg müsse. Die großen Fraktionen des EU-Parlaments oder auch Donald Tusk nahmen das zur Kenntnis und warnten davor. ... Die Vertreter von vier Migliedsstaaten - Slowakei, Tschechien, Ungarn und Polen - sind hingegen einer großen Versuchung ausgesetzt. Sie verfolgen mit großer Sympathie die Politik des amerikanischen Präsidenten. Er entspricht in vielem ihren Vorstellungen. Erliegen sie der Versuchung, zahlen ihre Länder den Preis dafür.“
Merkwürdig verspäteter Protest gegen US-Politik
Verärgert über den Protest gegen Trump zeigt sich Soziologe Tomaž Mastnak und empfindet diesen in Dnevnik als scheinheilig:
„Statt mit einer demokratischen Politik haben wir es mit einem Kulturkrieg zu tun. Dabei hat die liberalistische Linke, die diesen Krieg führt, ihren Kompass verloren. … Außerdem hat sie ihre Liebe für Muslime entdeckt, vor allem für muslimische Flüchtlinge. Doch wo waren diese Menschen in den vergangenen 15 Jahren, vor allem zu Zeiten der blutigen Obama-Regierung, als die US-Armee routinemäßig Muslime getötet hat? Wo waren die Proteste, als die US-Armee Menschen vertrieben hat, während sie ihre Länder und Siedlungen bombardierte? Ist das Töten eines Muslims ein kleineres Übel als die Ablehnung eines Visums? Ist es weniger schlimm, sein Land zu zerstören, als ihm die Einreise in dein eigenes Land zu verweigern? Ist Krieg annehmbarer als Migrationspolitik? Ich unterstütze Trump nicht. Ich kann jedoch nicht akzeptieren, dass die Linken zu den Unterstützern des Neoliberalismus werden.“
Das Phänomen Trump nicht relativieren!
Die Kollaboration beginnt mit der entsprechenden Wortwahl, pflichtet die belgische Journalistin Béatrice Delvaux den Worten Van Rompuys in einem Gastbeitrag für La Repubblica bei:
„Der Brexit und die Wahl Donald Trumps haben ihn schockiert, und das in erster Linie aufgrund der von den Politikern verwendeten Sprache. Denn in der Politik sei ein Wort auch immer eine Tat. Läuft, anders gesagt, eine Relativierung Trumps auf eine ideologische Kollaboration hinaus? Herman Van Rompuy drängt die europäische Politik in die Ecke. Seiner Ansicht nach kann man nicht ein bisschen einverstanden sein mit dem neuen amerikanischen Präsidenten oder erst einmal abwarten, ob das Ungeheuer wächst. Um dann festzustellen, dass das Ungeheuer uns, mit unseren Werten, unserer Demokratie, unserem Frieden aufgefressen hat. … Jeder führende europäische Politiker steht heute vor einer Gewissensentscheidung. Keiner wird behaupten können, er sei nicht gewarnt gewesen. … In der Politik ist ein Wort auch immer eine Tat: Hoffentlich nehmen sich die europäischen Politiker das zu Herzen.“
Katalysator für Europas Einheit
Die Präsidentschaft Trumps könnte letztlich Europa einen, meint hingegen das Onlineportal des öffentlich-rechtlichen Fernsehens LSM:
„Der Trump-Faktor hat auch seine positiven Seiten. In mehreren Ländern, in denen die Einwohner seine Politik nicht akzeptieren, sinkt die Unterstützung für radikale und euroskeptische politische Kräfte, die mit Trump sympathisieren. Ironischerweise könnte Trump, der enge Beziehungen mit Russland knüpfen will, letztlich die europäische Einheit wiederbeleben. Schon jetzt wird darüber geredet, gemeinsame Mittel für die Verteidigung und den Kampf gegen den Terrorismus zur Verfügung zu stellen und engere Beziehungen zwischen den Nachbarländern zu knüpfen. Die EU muss jetzt zusammenhalten - wie in jeder Krise. Und in nichts anderes als in einer Krise sind jetzt unsere Beziehungen zu den Vereinigten Staaten.“
Nicht länger zögern
Die EU steht nach der Wahl von Donald Trump vor der Herausforderung, ihren eigenen Weg ohne den großen Bruder USA zu finden, erklärt Duma:
„Niemand traut sich, etwas über die Beziehungen zwischen der EU und den USA zu sagen, während man auf konkrete Handlungen Trumps wartet. Diese abwartende Haltung könnte das Problem aber noch größer machen. Die EU muss jetzt entschieden handeln, wenn sie nicht in eine fatale Krise rutschen will. Juncker sagt, dass die EU bereit sei, ihren eigenen Weg zu gehen, auch ohne Trump. Sie werde für Gerechtigkeit, Solidarität, offene Grenzen und gegen Armut kämpfen. Leider belegen die Fakten das Gegenteil. Die Ungerechtigkeit steigt rasant, die Grenzen werden geschlossen und die Solidarität ist immer mehr auf dem Rückzug. Werden die Völker Europas den Versprechen der EU-Spitzen glauben? Sind diese überhaupt in der Lage, die Versprechen zu erfüllen?“
Ängste haben Träume abgelöst
Es ist ein echtes Armutszeugnis für die EU-Spitzen, wenn diese die Bürger nur noch mit Angstmache und nicht mehr mit ihren Ideen zu erreichen suchen, stellt der Ökonom und Publizist Ewald Engelen in De Groene Amsterdammer fest:
„Alle europäischen Träume sind ins Gegenteil verkehrt worden. Der Euro sorgte für zunehmende Unterschiede zwischen Nord und Süd, hat Spannungen entstehen lassen und den Mitgliedsstaaten eine Haushaltspolitik aufgezwungen, die dem Wohlstand der Bürger ernsthaft geschadet hat und eine Parodie nationaler Souveränität ist. ... Wenn Träume nicht mehr verführen können, bleibt Politikern nur noch die Angst vor dem Albtraum, um enttäuschte Wähler wieder hinter sich zu scharen. Und genau das geschieht nun [etwa durch Tusks Brief] seit der Präsidentschaft von Trump: Wenn wir nicht weiter integrieren und dem Glauben an Europa neues Leben einhauchen, drohe auch hierzulande eine Rückkehr des 'Faschismus', wie er sich in Russland, der Türkei und dem Amerika von Trump manifestiert.“
Mit Macron und Schulz selbstbewusst auftreten
Nur ein neues Europa ist dem Amerika von Trump gewachsen, erklärt Bill Emmott, Ex-Chefredakteur des Economist, in La Stampa:
„Noch vor wenigen Wochen schien die Vorstellung eines Frankreich unter der Leitung eines Präsidenten wie François Fillon und eines Deutschlands in den Händen einer wiedergewählten Angela Merkel für Pro-Europäer die beruhigendste Perspektive. ... Heute gibt es eine weitaus sonnigere und reizvollere Perspektive: in Frankreich einen Sieg von Emmanuel Macron, einem Unabhängigen, der politisch in der Mitte einzuordnen ist, und in Deutschland einen Machtwechsel mit Martin Schulz in der Rolle des neuen Kanzlers. Dies wäre eine selbstbewusste pro-europäische Kombination, die das Bestreben nach Liberalisierung und Reformen mit einer fortschrittlichen Mitte-links-Politik vereinen könnte - eine Mischung, die dem Wirtschaftswachstum sicher zuträglicher wäre [als ein rein konservativer Ansatz]. Und es wäre eine gänzlich neue und perfekte Kombination, die Europa auf das Beste repräsentieren könnte, sowohl Donald Trump als auch Wladimir Putin gegenüber.“
Europa à la carte ist die einzige Lösung
Wenn sie der neuen geopolitischen Lage gerecht werden will, muss sich die EU dringend reformieren, warnt Causeur:
„Die Lösung besteht darin, sich entschieden in Richtung eines Europas 'à la carte' zu orientieren. (In gewisser Weise besteht dieses ja schon, denn nicht alle derzeitigen EU-Mitglieder sind im Euro). ... Wer will schon glauben, dass das momentane Staatengebilde (oder das, was davon übrig ist) noch lange überleben kann, wenn es die beiden wichtigsten Finanzplätze der Welt (New York und London) sowie die wichtigste Großmacht des Kontinents im Bereich Energie und Militär ausschließt? Wenn die EU nicht schnell eine Reform ihrer Institutionen einleitet, was Frankreich anstoßen könnte, muss man befürchten, dass ihr ein katastrophaler Zerfall bevorsteht.“