Katar weiter im Würgegriff seiner Nachbarn
Seit einem Monat halten Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten und Bahrein die Isolierung des Emirats Katar aufrecht. Drohungen, Blockaden, Grenzschließungen und Ultimaten gehören zum nicht-militärischen Arsenal, das am Golf im Einsatz ist. Was steht auf dem Spiel?
Westen will gute Kunden nicht verprellen
Enttäuschend findet Le Temps die zurückhaltende Reaktion westlicher Regierungen auf den Katar-Konflikt:
„Seit einem Monat zerreißt eine weitere Krise die arabische Welt. Im Gegensatz zu den anderen wird sie nicht mit Waffen ausgefochten. Ihre Folgen könnten aber genauso zerstörerisch sein. … Sie kann zum Zusammenbruch einer der letzten Wohlstandsinseln der arabischen Welt führen. ... Da so viel auf dem Spiel steht, hätte man vom Westen eine energischere Reaktion erwarten können. Dem ist jedoch nicht so: Donald Trump hat den saudischen Handstreich begrüßt, die Europäer predigen Dialog - und das mit einer Unvoreingenommenheit, die vor allem von ihrem Wunsch zeugt, sich nicht mit ihren ultra-reichen Kunden aus Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten zu zerstreiten. Diese moralische Schwäche kann künftige noch schlimmere Erpressungen nur begünstigen.“
Al Jazeera ist Vorreiter im Nahen Osten
Die Schließung von Al Jazeera gehörte zu den Forderungen eines Ultimatums, das Katar am Montag verstreichen ließ. Der Fernsehsender hat sich viele Feinde geschaffen, analysiert Helsingin Sanomat:
„Der englischsprachige Kanal von Al Jazeera konkurriert mit seinen hochwertigen Dokumentationen und investigativem Journalismus mit Sendern wie BBC und CNN. Der arabischsprachige Kanal hat ein anderes Publikum und eine andere Ausrichtung. Er gilt eindeutig als parteiisch. Er hat auch solche islamistischen Gruppen zu Wort kommen lassen, die Saudi-Arabien als Bedrohung sieht. … Ungeachtet der Kritik hat Al Jazeera die Medien der arabischen Welt revolutioniert. Er ist ein Vorreiter, der einen neuen Blick auf den Nahen Osten eröffnet hat und auch Kritikern der autoritären Regierungen eine Plattform bietet. Daher ist er zur Zielscheibe im regionalen Machtkampf geworden.“
Streit um Vormacht in der islamischen Welt
Cumhuriyet sieht die Isolierung Katars im Kontext eines Kampfs um die Vorherrschaft in der islamischen Welt:
„Katar ist enorm reich. Mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 60.787 Dollar ist es führend unter den Arabischen Staaten. Und offensichtlich möchte es einen eigenen Schwerpunkt entwickeln. Das sieht man insbesondere an seinem Bemühen, sich im Bereich der Medienindustrie hervorzutun. Dafür liest Saudi-Arabien ihm ordentlich die Leviten. ... Besonders interessant daran ist, dass so viele Widersacher innerhalb der islamischen Welt plötzlich die gleichen Vorwürfe gegen Katar erheben. Diese lauten, Katar würde die Terrorangriffe mit Bezug zum Iran, die militanten Schiiten im Jemen, die Hisbollah, die Muslimbrüder, die Hamas, Al Qaida und den IS unterstützen! Doch dabei haben all diese nur eine Gemeinsamkeit, und das ist der Islam. Dieser Streit ist ein Streit darüber, wer den 'Homo Islamicus' beherrschen wird.“
Wird Katar in die Arme des Iran getrieben?
Katar könnte sich infolge der Isolierung noch stärker dem Iran zuwenden, warnt La Tribune:
„Durch den auf Katar ausgeübten Druck soll das Emirat insbesondere dazu gezwungen werden, die Terrorfinanzierung zu stoppen und sich für ein Lager zu entscheiden, zumal es eine der größten US-Militärbasen beherbergt, die vor allem zum Kampf gegen den IS dienen. Der Druck könnte das Land aufgrund seiner mit der Erdgasförderung verbundenen wirtschaftlichen Interessen paradoxerweise jedoch in die Arme des Iran treiben, der von Russland und China unterstützt wird. … Die vom US-Präsidenten bei seiner Rede in Riad verwendete Rhetorik - der Iran gehöre zur 'Achse des Bösen' - ist die Gleiche wie die, die George Bush junior in Bezug auf den Irak benutzte. Diese ging dem zweiten Golfkrieg voraus. Das Resultat kennen wir.“
EZB muss Ölpreis im Auge behalten
Il Sole 24 Ore beschäftigt sich mit den durch die Katar-Krise möglicherweise steigenden Erdölpreisen und erklärt, dass die EZB durch diese gezwungen sein könnte, ihre expansive Geldpolitik zu korrigieren:
„Sollte es zu einer massiven Preissteigerung kommen, wären die Zentralbanken gezwungen, zu wählen: Entweder lassen sie die Inflation ansteigen, um den Aufschwung nicht abzuwürgen, oder sie bremsen die Inflation und drängen die Wirtschaft in eine Rezession. Für die EZB, die sich so sehr der ultra-expansiven Geldpolitik verschrieben hat, könnte sich auch die vorsichtigste Entscheidung in eine deutliche, aber nicht zwingenderweise brüske Kurskorrektur verwandeln. Es wäre auf jeden Fall notwendig, zu einer ausgeglichenen Geldpolitik zurückzufinden, was keine einfache Aufgabe ist.“
Katar ist selbst schuld!
Katar hat der Region in den vergangenen Jahren einen immensen Schaden zugefügt, verteidigt die saudi-arabische, aber in London ansässige Tageszeitung Asharq Al-Awsat die Isolierung:
„Das Emirat Katar hat nur eine Wahl - zurück in den Schoß seiner Nachbarn zu finden. Die Rückkehr ist nicht nur an die Abkehr von seiner bisherigen Politik gebunden, sondern auch an eine grundlegende Überarbeitung der Idee, auf der Katar gegründet ist. Das Land sollte sich seine Geographie anschauen und eine Politik entsprechend seiner wirklichen Größe betreiben. ... Zu hoffen ist, dass Katar diese Lektion lernt: Mit Geld kann man sich keine neue Geographie und Geschichte kaufen. ... Der Abbruch der Beziehungen ist eine Chance, damit das Emirat endlich zur Räson kommt. Wenn das gleich morgen passieren sollte, dann sind unsere Herzen geöffnet für die Rückkehr.“
Saudi-Arabien wird sich noch wundern
Katar muss nun einen langen Atem haben, erklärt Abdulrahman Izz auf der Website des Senders Al Jazeera, der selbst in dem Emirat sitzt:
„Die große Herausforderung wird nun sein, dass Katar inneren Zusammenhalt beweist, eine geschickte Diplomatie betreibt und Ausdauer zeigt. Denn die Zeit läuft für das Emirat und gegen die Golfnachbarländer. Denn diese leiden unter großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten und Problemen im Bereich Sicherheit. Außerdem sehen sie sich mit dem Unmut ihrer eigenen Bevölkerung konfrontiert, die diese politische Zuspitzung in einer schwierigen Zeit nicht versteht. Das stellt die Blockadepolitik infrage und wird sie möglicherweise beenden. ... Der Golfkooperationsrat läuft Gefahr zusammenzubrechen, nachdem Kuwait und Oman die Politik der anderen Golfländer abgelehnt haben.“
Saudis verspüren Rückenwind
Der Besuch von Trump in Riad und der dort abgeschlossene Rüstungsdeal waren die langersehnte Absolution für die Machtansprüche der arabischen Potentaten, kommentiert die Frankfurter Rundschau:
„Und so wundert es nicht, dass das saudische Königshaus bereits zwei Wochen danach die erste Ernte dieser teuren Einladung einzufahren versucht. Denn die Saudis und ihre Vasallen im Golfkooperationsrat haben Trump so verstanden, dass nun die arabisch-amerikanische Front gegen den Iran steht und Rechnungen mit Dissidenten in den eigenen Reihen beglichen werden dürfen. Dabei trifft der Vorwurf sehr wohl zu, das superreiche Katar finanziere radikale Islamisten. Das Gleiche gilt jedoch auch für Chefankläger Saudi-Arabien und das schweigsame Kuwait. Insofern könnte sich das forsche Auftreten schon bald als Bumerang erweisen. Denn die Attentate in Nahost und Europa werden weitergehen und mehr denn je die Frage aufwerfen, wo die geistigen Brandstifter sitzen.“
Öl ins Feuer einer Krisenregion
Die diplomatische Isolierung Katars wird die Region weiter destabilisieren, warnt Jornal de Negócios:
„Der Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Katar - wie auch jeglicher Verbindungen auf dem Land-, See- und Luftweg - war ein zu erwartender Epilog. ... Es ist die größte diplomatische Krise zwischen den Staaten am Persischen Golf seit Menschengedenken - und das Resultat einer ausgeklügelten Propagandakampagne, die die Diskreditierung des kleinen Katars und seines Emirs Tamim bin Hamad Al Thani zum Ziel hatte. ... All diese Zwietracht zwischen Riad und Doha ist Öl im Feuer - und dies zu einer Zeit, da im Nahen Osten neue Allianzen geschmiedet werden und sich alte Verbündete zerstreiten. ... Und sie verstärkt die Differenzen innerhalb des Golf-Kooperationsrats, der sich bei vielen Themen zunehmend gespalten zeigt: angefangen mit den Beziehungen zu Iran.“
Riad handelt scheinheilig
Rzeczpospolita hält den Schritt Riads für geheuchelt:
„Die Sorge der Saudis um den Frieden in der Region, den die islamistischen Radikalen gestört haben, wäre glaubwürdiger, wenn sie nicht selbst die Extremisten unterstützen würden. Die britische Opposition verlangt gerade von der Regierung, dass sie endlich einen Bericht herausgibt, aus dem hervorgeht, wer die Dschihadisten in Großbritannien unterstützt. Nach Meinung der Opposition versteckt die Regierung ihn, um nicht mit dem Finger auf die Saudis zu zeigen. Zweifellos befindet sich eine Quelle der Ideologie, die Moslems dazu bringt, sich in Stadions in die Luft zu sprengen, in Saudi Arabien. Eine kleine Quelle ist auch in Katar. Aber sollten die Saudis wirklich dort den Kampf gegen den islamistischen Fundamentalismus beginnen?“
Fußball-WM 2022 in Gefahr
Der Ausrichter der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 kommt nun in echte Schwierigkeiten, analysiert das Onlineportal Webcafé:
„Das bevorstehende Sportereignis ist für Katar von äußerster Wichtigkeit. Man hat in den vergangenen Jahren massiv in Stadien und Infrastruktur investiert. Zwölf neue Fußballstadien werden gebaut, für eines davon soll sogar eine künstliche Insel entstehen. Ohne die Einfuhr von Baumaterial aus dem Ausland ist das aber unmöglich. … Die Fluggesellschaften der Vereinigten Arabischen Emirate werden ihre Flüge nach Katar einstellen, außerdem haben die sechs Emirate ihren Luftraum für die staatliche Fluggesellschaft Qatar Airways gesperrt. So werden die Flüge aus Europa und Asien, die für die Fluggesellschaft am profitabelsten sind, ernsthaft verzögert und verteuert. Viele Passagiere werden aufgrund dessen ihre Flüge stornieren.“