Paradise Papers: Was tun gegen Steuervermeidung?
Rund anderthalb Jahre nach Veröffentlichung der Panama Papers decken Journalisten auf der Grundlage riesiger Datenmengen erneut die Steuertricks von Prominenten, Politikern und Konzernen auf. Kommentatoren erörtern, warum nicht mehr dagegen unternommen wird.
Schlupflöcher endlich schließen
Die EU muss sich noch stärker für Transparenz einsetzen, drängen Arnaud Zacharie und Antonio Gambini vom belgischen Zentrum für Entwicklungszusammenarbeit in Le Soir:
„Die EU hat in diesem Bereich schon Fortschritte erzielt, die jedoch noch nicht ausreichen: Das EU-Parlament hat in erster Lesung nicht nur beschlossen, dass europäische Unternehmen mit einem Umsatz von über 750 Millionen Euro Berichte für jedes Land veröffentlichen, sondern auch, dass Ausnahmen für geschäftlich heikle Daten gemacht werden können. Das Konzept ist also ausreichend vage, um Schlupflöcher zu ermöglichen. … Wir sehen, dass Steuerflucht in großem Ausmaß - ob legal oder nicht - nicht schicksalhaft ist. Im Gegenteil: Die Lösungen sind bekannt. In Zeiten, in denen Sparpolitik und eine zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich unsere Sozial- und Demokratiemodelle gefährden, wäre es unverantwortlich, diese nicht auch anzuwenden.“
Demokratische Grundfesten werden erschüttert
Die Enthüllungen der Paradise Papers zerstören nachdrücklich eine Vielzahl von Mythen, die als Grundlage des wirtschaftlichen und politischen Systems galten, erklärt News247:
„Der erste und wichtigste Mythos ist, dass ein gesundes Unternehmertum Wohlstand für alle erzeugt und der Markt frei sein muss und nicht den ordnungspolitischen Rahmen des Staates benötigt. … Der zweite Mythos ist, dass die Parteien sich durch den Staat finanzieren. … Die Paradise Papers bieten hier unheimlich interessante Erkenntnisse über die Offshore-Finanzierung von Demokraten und Republikanern in den USA. … Der dritte und letzte Mythos ist, dass die Politik als moralischer Gegenspieler zum Finanzsystem agiert, welches mit illegalen oder legalen Mitteln die Steuerflucht der Elite erleichtert und Ungleichheiten verschärft.“
Reiche müssen keine Gesetze mehr brechen
Dass die in den Paradise Papers aufgedeckten Steuerschlupflöcher legal sind, ist für den Kurier der wirkliche Skandal:
„Wer reich ist und Geld beiseiteschaffen will, muss gar kein Gesetz brechen. Die Steuerregeln sind längst so gestrickt, dass nur das gemeine Volk den Verdienst brav teilen muss, während Reiche alle rechtlichen Möglichkeiten und das nötige Geld dafür haben, es nicht zu tun. Eine Korrektur dieser Fehlentwicklungen scheint nicht mehr möglich, die global vernetzte Steuervermeidungsindustrie führt ein Eigenleben, ist unregulierbar geworden. Wie sonst kann es sein, dass gesetzesverantwortliche Politiker die Steuerflucht nach jeder Enthüllung worthülsenreich beklagen, aber seit Jahren nichts dagegen unternehmen? Dabei haben sie die Steuerschlupflöcher einst selbst per Gesetz ermöglicht.“
Steueroasen nicht verteufeln
Steueroasen haben auch ihre guten Seiten, kommentiert 24 Chasa mit Blick auf die Paradise Papers:
„Jeder Mensch darf mit seinem Geld machen was er will, sofern er seine Steuern und Sozialabgaben bezahlt hat. Ob er sie zur Bank bringt, unter der Matratze versteckt oder auf die Cayman Inseln überweist, ist immer noch seine eigene freie Entscheidung. Menschen, die in ihren Heimatländern staatlicher Willkür ausgesetzt sind, können in Steueroasen ihr Geld in Sicherheit bringen. … Sicher, es gibt Diktatoren, Verbrecher und Steuerbetrüger, die sie nutzen, um ihre Spuren zu verwischen. Das heißt aber nicht, dass jeder, der ein Konto auf den Cayman Inseln hat, ein Verbrecher ist. Genauso wie nicht jeder Reiche böse ist.“
Krieg der Eliten gegen die breite Masse
Angesichts der fiesen Steuertricks der Reichen ist es kein Wunder, dass Populisten in so vielen Ländern mit ihrer Hetze gegen die Mächtigen erfolgreich sind, meint The Guardian:
„ Es gibt die Klischeevorstellung, dass die breite Masse in Großbritannien, in den USA und anderenorts den Eliten den Krieg erklärt hat. Diese Woche beweist, dass das Gegenteil der Fall ist: Es sind die Eliten, die einen Stellungskrieg gegen die Normalverbraucher geführt haben, indem sie diesen die staatlichen Einnahmen vorenthalten, die für Krankenhäuser und Schulen gebraucht werden. Dieser Krieg ist eine Ursache für die derzeitige elitenfeindliche Stimmung. ... Wir müssen anerkennen, dass die große Finanzwirtschaft und die unkontrolliert wachsende Kluft zwischen Arm und Reich mit einer funktionierenden Demokratie oder einem nachhaltigen Wirtschaftssystem schlicht unvereinbar sind.“
Gefährlicher Vertrauensverlust
Auch wenn Offshore-Konten an sich nicht zwingend illegal sind, so zerstören sie doch das Vertrauen des normalen Steuerzahlers in die Politik, schimpft Jutarnji list:
„Sollte sich nicht etwas zum Positiven verändern, dann werden die etablierten Parteien, die so etwas durch ihre Gesetze ermöglicht haben, weiterhin Wähler verlieren. ... Krisen wie die in Katalonien werden zum Alltag und das Fundament der EU wird nicht nur wackeln, sondern kaputtgehen. Das beste Projekt in der Geschichte Europas droht zusammenzubrechen. Die aktuelle Politiker-Generation steht in der Verantwortung, dies zu verhindern. Sie muss verhindern, dass in zehn Jahren neue Panama-, Paradise- oder ähnliche Papiere erscheinen.“
Steuerrecht bitte vereinfachen
Steuerflucht lässt sich durch die Vereinfachung des Steuerrechts bekämpfen, erklärt Jean-Philippe Delsol, Steueranwalt und Leiter des Think Tank IREF, in Contrepoints:
„Natürlich kann man sich darüber ärgern, dass die reichsten Unternehmen auch noch versuchen, Steuern zu vermeiden. Wenn sie dies aber legal tun, muss man sich vielmehr fragen, warum das Steuerrecht so schlecht gestaltet ist und dies zulässt. Das Problem ist, dass die Steuergesetzgebung aller Industrieländer, insbesondere Frankreichs, zu einem Dschungel geworden ist. Im Dschungel kann man sich eben leichter verstecken als in der Wüste. Zudem erlaubt das Steuerrecht immer mehr Missbrauch und Ausbeutung - vor allem in Frankreich. Als Gegenmittel brauchen wir daher keine Hexenjagd, sondern eine Überarbeitung des Steuerrechts, damit es einfacher und klarer wird und die Steuersätze angemessener werden.“
Schmutzige Praktiken offenlegen
Die Niederlande sind durch die Paradise Papers erneut in die Kritik geraten und sollten nun endlich selbst aktiv werden, fordert NRC Handelsblad:
„Nun könnten die Niederlande gemeinsam mit Ländern wie Irland zur Zielscheibe zu werden. Denn Mobbing ist für andere die beste Strategie, um nicht selbst zur Zielscheibe zu werden. Jeder hat Dreck am Stecken. Aber man kann schwer leugnen, dass Den Haag ziemlich viel Schmutz angehäuft hat. ... Die Regierung Rutte sollte selbst die Initiative ergreifen bei der Reform internationaler Steuerpraktiken - zunächst in Europa. Dazu muss sie mit einer großen Geste ihren guten Willen beweisen. Zum Beispiel durch die Offenlegung der Steuerdeals mit internationalen Konzernen.“
Kreuzzug gegen Reiche
Kapitalismuskritiker missbrauchen die Enthüllungen, um ihre von Neid erfüllte Agenda voranzutreiben, schimpft The Daily Telegraph:
„Das Meiste von dem, was bisher veröffentlicht wurde, erfüllt weder den Tatbestand einer unethischen noch einer illegalen Tat. Millionen von Menschen haben über Pensionskassen ihr Geld in Offshore-Fonds angelegt. ... So wie bei den Panama Papers treiben auch in diesem Fall antikapitalistische Aktivisten ihre eigene Agenda voran. Ihnen ist es ein Dorn im Auge, dass einige Menschen reicher sind als andere. ... Hier wird unter dem Vorwand eines großen moralischen Kreuzzugs versucht, legitimen Formen einer steuerschonenden Anlage ein Ende zu bereiten, damit in Zukunft der Staat entscheiden kann, wie Menschen ihr Geld investieren.“
Steuerwettbewerb ist nicht kriminell
Offshore-Praktiken werden zu Unrecht verteufelt, findet die Neue Zürcher Zeitung:
„Offshore-Geschäfte sind in einer globalen Welt manchmal notwendig und manchmal Ausdruck von Missständen, kaum je aber deren Ursache. Die Suche nach Schutz vor Rechtswillkür, überbordender Bürokratie, übermässiger Besteuerung oder auch nach Privatsphäre zu verteufeln, greift deshalb zu kurz. Den internationalen Steuerwettbewerb anhand einiger missbräuchlicher Beispiele generell als kriminell hinzustellen, ist fahrlässig. Da sollte man sich von den allzu durchsichtigen, bestenfalls blauäugigen Motiven der selbsternannten Transparenz-Apologeten nicht in die Irre führen lassen. Standortwettbewerb, Schutz der Privatsphäre und ja, auch Offshore-Transaktionen, braucht es weiterhin.“
Gesetze an Moralvorstellungen anpassen
Die Debatte um Steuerpraktiken darf nicht auf der Ebene moralischer Empörung stehenbleiben, findet Berlingske:
„Die Diskussion um Steuerschlupflöcher muss auf der juristischen und politischen Ebene geführt werden, auch wenn man darüber moralisch natürlich debattieren kann. Wurde gegen Gesetze verstoßen? Ist die Gesetzgebung national und international ausreichend um gegenzusteuern? Abhängig von der politischen Einstellung gibt es unterschiedliche Moralvorstellungen. ... Man kann allerdings nicht verlangen, dass sich Unternehmen, Organisationen und Personen doppelten Maßstäben von sowohl Gesetz als auch Moral unterwerfen.“
Die EU hinkt hinterher
Die EU hat es versäumt, ihren Institutionen die Kompetenzen für den Kampf gegen Steuervermeidung zu verleihen, schimpft Reporter:
„Wiederholt haben wir darüber berichtet, dass ein Ausschuss von 30 Europa-Abgeordneten die Enthüllungen der Panama Papers untersucht und nichts gefunden hat. Heute hat der 14. Vizepräsident des Europaparlaments und Syriza-Abgeordnete Dimitris Papadimoulis eine dringende Anfrage an die EU-Kommission gestellt und gefragt, was sie mit den jüngsten Enthüllungen zu tun gedenkt. Wahrscheinlich ist, dass die Kommission ihm antwortet, dass irgendein 30-köpfiger Fachausschuss das Thema für fünf Jahre untersuchen und dann eingestehen wird, sich in einer Sackgasse zu befinden. Was könnte sie auch anderes tun, da sie keine anderen Kompetenzen besitzt und die Geschichte uns gelehrt hat, dass die Betrüger den unzureichenden EU-Vorschriften immer ein Jahrzehnt voraus sind?“
Steuerhinterziehung wird immer schwieriger
Im Kampf gegen Steuervermeidung gibt es noch viel zu tun, doch sind in den vergangenen Jahren auch beachtliche Fortschritte erzielt worden, wirft hingegen L'Echo ein:
„Seit der Finanzkrise von 2008 hat sich unter der Federführung der OECD eine weltweite Initiative gegen Steuerhinterziehung entwickelt. Seitdem wurden insbesondere im Bereich Datenaustausch Fortschritte gemacht. Seit September 2017 arbeiten 50 Staaten zusammen. Und rund ebenso viele Länder haben zugesichert, bis September 2018 dafür bereit zu sein. Dazu zählt Österreich, aber auch die Schweiz, die Verfechterin des Bankgeheimnisses, sowie bedeutende Finanzplätze wie die Bahamas. Der automatische Informationsaustausch ist auf dem besten Weg zum weltweiten Standard zu werden - 2008 war das noch völlig unvorstellbar.“
Paradies nur für die Reichen
Dass Unternehmen sich offenbar in großem Stil ihrer gesellschaftlichen Verantwortung entziehen, ist für die Süddeutsche Zeitung ein Skandal:
„Steueroasen sind längst nicht mehr nur Schmuddelecken, sondern kollektiver Treffpunkt der Wirtschaftselite. ... Für Unternehmen, die sich mit einer Steuerrate von 15 Prozent brüsten, ist die Globalisierung paradiesisch: Vorteile kann man mitnehmen, den Auflagen entgehen. Das ist dreist, ja skandalös, das gab es nicht einmal im Garten Eden. ... Mit dem Modell der Steueroasen wird man kein Paradies auf Erden schaffen. Ihr Wesen ist es ja gerade, dass es eben nicht allen zugänglich ist, dass es sich nicht alle leisten können. In ihrer Abschottung liegt eine Botschaft an jene, die draußen sind, im steuerlichen Diesseits, mit Sozialstaat, Regeln, demokratischen Verfahren: Die Hölle, das seid ihr.“
Empörung blieb bisher ohne Folgen
Kolumnistin Sheila Sitalsing beschreibt in De Volkskrant ihr Déjà-vu-Erlebnis:
„Erneut stehen berühmte Namen mit Steuer-Allergie in der Zeitung, mit all ihrer nackten Gier. Erneut ist da die Empörung. ... Erneut wird deutlich, dass eine Gruppe Privilegierter meint, über dem Geist der Gesetze zu stehen. In früheren Jahrhunderten zog das Volk noch zum Palast, um den Kopf des Monarchen zu fordern. Für das Abhacken von Köpfen sind wir kleine Menschen derzeit viel zu zivilisiert. Nun müssen nur noch die Steuer-Vermeider zivilisiert werden.“