Ungarn hat die Wahl
Die Ungarn wählen am Sonntag ein neues Parlament. Haushoher Favorit ist die national-konservative Regierungspartei Fidesz, die laut Umfragen bei rund 50 Prozent liegt. Die Opposition hofft allerdings auf einen Wahlerfolg mit Hilfe von überparteilichen Allianzen. Könnte es doch noch eng werden für Premier Orbán?
Geringe Wahlbeteiligung gut für Fidesz
Warum die Regierungspartei Fidesz eine geringe Wahlbeteiligung braucht, erklärt der Kolumnist Dmytro Tuschanskyj in Ukrajinska Prawda:
„Ihr Ziel ist es, vor allem die eigenen Wähler, etwa 1,8 bis 2,4 Millionen Menschen, zu mobilisieren und gleichzeitig zu verhindern, dass die Protestwähler überhaupt zur Wahl gehen. ... Eine niedrige Wahlbeteiligung - oder wenigstens nicht mehr als 60 Prozent, wie bei der letzten Wahl: Das ist das ideale Szenario am 8. April für die Regierungspartei Fidesz. Ziel ist es, dass sich nicht das Szenario der Bürgermeisterwahl von Hódmezővásárhely wiederholt, als der unabhängige Oppositionskandidat mehr Stimmen auf sich vereinigen konnte als alle Oppositionsparteien einzeln, die ihn unterstützten.“
Orbán mit vereinten Kräften schlagen
Die Wahl in Ungarn am Sonntag wird nur unter einer Bedingung wirklich spannend, meint Upsala Nya Tidning:
„Eine Bürgermeisterwahl in diesem Jahr hat bereits gezeigt, dass der Regierungspartei Fidesz Paroli geboten werden kann, wenn die Opposition kooperiert. In Hódmezővásárhely, einer traditionellen Fidesz-Hochburg, gelang dem unabhängigen Kandidaten der Sieg, nachdem alle Oppositionsparteien ihn gegen den Fidesz-Kandidaten unterstützt hatten. Jetzt hoffen viele, dass so etwas auch bei der Wahl am Sonntag passieren wird. ... Parteien der Mitte und der Linken könnten mit der [rechtsextremen Partei] Jobbik zusammenarbeiten und sich auf einen gemeinsamen Oppositionskandidaten in jedem Wahlbezirk einigen. Das erscheint zwar unwahrscheinlich, doch wenn das Überleben der Demokratie auf dem Spiel steht, können sich die größten Antagonisten vielleicht einigen.“
Opposition als Gesamtpaket
Beim Urnengang am Sonntag werden die Ungarn vor eine beispiellose Wahl gestellt: Orbán und der Fidesz auf der einen Seite, und die Opposition als Ganzes auf der anderen, analysiert der Publizist Imre Csekő auf dem Meinungsportal Mandiner:
„Die Ausgangslage ist einfach: Entweder wir stimmen für die Regierungspartei oder für die Opposition. Es ist nämlich absolut unrealistisch, dass eine einzelne Oppositionskraft, die uns womöglich als kompetent und sympathisch erscheint, allein eine Regierung bilden kann. So sehr können die Meinungsforschungsinstitute nicht daneben liegen, dass dies eintrifft. In Wahrheit bietet sich die Opposition den Wählern im Paket an. Wer also für eine Oppositionspartei stimmt, wählt gleich alle anderen Kräfte der Opposition mit. Insofern ist die Situation vor der Wahl einmalig.“
Die Diaspora entscheidet
Die Auslandsungarn werden am Sonntag das Zünglein an der Waage sein, vermutet die für die EU-Kommission arbeitende Politikwissenschaftlerin Mihaela Popa in Contributors:
„Bei der Wahl am 8. April können mehr als 378.000 Personen mit abstimmen, die nicht in Ungarn gemeldet sind. Diese Tatsache verschaffte Fidesz bei der Wahl 2014 ein zusätzliches Mandat und damit die Zweidrittelmehrheit im Parlament. Es wird vermutet, dass die Stimmen aus dem Ausland diesmal sogar zwei Mandate sichern könnten. Das System wird von der Opposition heftig kritisiert, auch weil die Oppositionsparteien nicht so stark wie Fidesz in der Diaspora wahrgenommen werden. Dort machen die Parteien der ungarischen Minderheit sogar Wahlkampf für Fidesz.“
Allein schaffen es die Ungarn nicht
Die ungarische Gesellschaft braucht Hilfe von außen, um sich aus dem festen Griff der Regierungspartei Fidesz zu befreien, findet Der Standard:
„Gefragt sind länderübergreifende Austauschprogramme, Diskussionsveranstaltungen, Lehrgänge - für NGOs, Journalisten, Akademiker, Politiker, Landwirte, Gewerkschafter, und wie es Soros vormacht. ... Eine erstarkte Zivilgesellschaft könnte den öffentlichen Diskurs von der Fidesz zurückerobern. Selbst wenn Orbán bei den Wahlen am Sonntag stark verliert, wird der Einfluss der Rechtskonservativen bleiben. Sie haben in den vergangenen Jahren alle wichtigen Posten unter sich verteilt. Gefragt ist eine kritische Öffentlichkeit.“
Jeder Populismus erschöpft sich einmal
Hospodářské noviny hegt Zweifel daran, dass die Regierungspartei Fidesz am Sonntag haushoch siegen wird:
„Stehen die Ungarn weiter zu Orbán oder werden sie seiner müde? Jeder Populismus, auch der mit den Flüchtlingen, erschöpft sich einmal, vor allem, wenn es keine Flüchtlinge an dem Zaun gibt, den der Premier errichten ließ. Im Februar verlor Fidesz im Grenzdreieck zu Serbien und Rumänien bei einer lokalen Wahl [in Hódmezővásárhely] um 16 Prozentpunkte. ... Gewiss, Orbán hat noch andere Argumente im Köcher - besonders makroökonomische. In den acht Jahren seiner Amtszeit haben sich die Staatsschulden verringert. Die Wirtschaft wächst, auch die Löhne steigen. Was Orbán bei all dem verschweigt: Das Wachstum hat vor allem mit den Subventionen der EU zu tun.“
Identitäre Rechte wird Mainstream
Eine wachsende Abkehr von den Werten der EU ist nicht nur in mitteleuropäischen Ländern wie Ungarn zu verzeichnen, analysiert Le Monde:
„Es gibt einen Trend, der weit über Mitteleuropa hinausgeht, und zwar der eines zunehmenden Nationalismus, teilweise durch Populismus angereichert, und einer identitären Abgrenzung. Dieser Trend hat seinen Ursprung in Westeuropa, insbesondere in Frankreich. Was zunächst ein Randphänomen war, wurde durch die Regierungsbeteiligung solcher Parteien im Osten legitimiert und kommt nun als Bumerang zurück. Dies deuten die jüngsten Wahlen in Italien und Österreich an. ... Die auf Identität ausgerichtete Rechte wird zum Mainstream. Sie verdrängt die klassische Rechte, die der Christdemokratie - und dies nicht nur in Mitteleuropa.“
Hysterie bestimmte die Kampagne
Es war ein Wahlkampf bombastischer Worte und martialischer Slogans, konstatiert Pravda:
„Viktor Orbán zögerte nicht, dem Magyarentum eine neue bedeutende Rolle zuzuschreiben: den Schutz der Zivilisation und der ungarischen Identität. Bekanntlich habe Ungarn schon früher Westeuropa vor der Gefahr der Sarazenen aus dem Osten bewahrt. Das alles verband Orbán mit dem Gebrauch der 'Soros-Karte' und entsprechenden antisemitischen Slogans oder mit einer Rhetorik gegen Brüssel. In dieser ganzen irrationalen Hysterie wurde vergessen, dass Orbán vor 30 Jahren selbst Soros um Finanzhilfe bat oder dass seiner Partei der korrupte Umgang mit EU-Mitteln nicht fremd ist.“
Schon die Kleinsten sind folgsame Parteisoldaten
Die Regierung Orbán hat ein Gesellschaftssystem errichtet, in dem die Kinder zu hörigen Bürgern erzogen werden, kritisiert die Schriftstellerin Orsolya Karafiáth auf dem Onlineportal 24.hu:
„Sie hat zweifellos die Absicht, autoritätsgläubige Parteisoldaten hervorzubringen. Denn auf solche ist sie angewiesen. Auf folgsame Anhänger. Es ist psychologisch erwiesen, dass aus all jenen gehorsame Untergebene werden, die in ein System der Autoritätshörigkeit hineinwachsen. Es kommt nicht von ungefähr, dass in Ungarn das preußische Bildungsmodell dominiert. Und es ist auch kein Zufall, dass das traditionelle Familienbild hochgehalten wird - der Vater als Autorität, die Mutter als Dienerin und das Kind als gehorsamer Befehlsempfänger.“
Ungarn gegen Invasoren verteidigen
Wer nicht für Premier Orbán stimmt, setzt die Zukunft Ungarns aufs Spiel, warnt die regierungsnahe Tageszeitung Magyar Hírlap:
„Wenn die nationalen, patriotischen Kräfte ihre Regierungstätigkeit nach der Wahl fortsetzen dürfen, dann wird es gemäß Orbáns Versprechen auch eine Fortsetzung des dynamischen wirtschaftlichen Wachstums und binnen vier Jahren sogar Vollbeschäftigung geben. Dies ist aber nur dann möglich, wenn wir das von unseren Ahnen vererbt bekommene Land gegen die als Einwanderung bezeichnete islamische Invasion erfolgreich verteidigen können. ... Deshalb wählen wir am kommenden Sonntag nicht nur ein neues Parlament und eine neue Regierung, sondern wir entscheiden über das langfristige Schicksal der ungarischen Nation. Überlegt Euch das gut, Magyaren!“