Schlechtes Zeugnis für Europas Pressefreiheit
Nirgendwo sonst auf der Welt hat sich die Lage der Pressefreiheit im vergangenen Jahr so sehr verschlechtert wie in Europa. Dies zeigt die Rangliste der Pressefreiheit der Organisation Reporter ohne Grenzen, die dafür unter anderem Anfeindungen von Politikern, Morde an Journalisten und scharfe Verleumdungsgesetze verantwortlich macht. So beurteilen die europäischen Medien das Ranking.
Finnland: Nicht von der Spitze abrutschen
Auf hohem Niveau klagt Ilta-Sanomat über die Herabstufung Finnlands:
„Aus finnischer Sicht ärgerlich, aber vor allem besorgniserregend, ist die Verschlechterung im Ranking zum zweiten Mal in Folge. Noch vor zwei Jahren war die finnische Presse laut dieser Rangliste die freieste der Welt, jetzt steht sie nur noch auf Platz vier. … Zwar ist Finnlands Platzierung in dem internationalen Ranking noch immer gut, aber die Entwicklung geht auch bei uns in die falsche Richtung. In einer wirklich freien Demokratie brauchen die Medien die Politiker nicht zu fürchten und Journalisten keine Angst vor der Polizei zu haben. Ansonsten besteht die Gefahr, dass als nächstes die Bürger Angst haben müssen.“
Italien: Protestpartei gängelt selbst die Presse
Vor zwei Jahren kritisierte der damalige Chef des Movimento 5 Stelle (M5S), Beppe Grillo, die Unfreiheit der italienischen Presse. Heute steht sein Nachfolger Di Maio selbst auf der Anklagebank, betont La Repubblica:
„An Stelle von Grillo ist heute Di Maio Chef. Doch just vor einem Jahr schickte der jetzige Premierkandidat dem Journalistenverband eine Liste von Schreibern, die seiner Meinung nach dem M5S mit Recherchen und Berichten zum römischen Bestechungsskandal Romeo schadeten. Also bezieht sich Reporter ohne Grenzen eindeutig auf ihn, wenn es heißt, dass M5S 'nicht zögert, öffentlich die Namen derjenigen Journalisten bekanntzugeben, die es stören'. Aber vielleicht hatte vor einem Jahr noch niemand Di Maio erklärt, dass es in liberalen Demokratien ein schweres Vergehen ist, schwarze Listen aufzustellen.“
Bulgarien: Warum Platz 111 der EU egal ist
Bulgarien ist seit dem EU-Beitritt vor elf Jahren in der Rangliste der Pressefreiheit um 76 Plätze auf Position 111 abgerutscht. Doch in Brüssel zeigt man sich nachsichtig, erklärt der bulgarische Dienst der Deutschen Welle:
„Die EU hat genügend andere Probleme und Bulgarien verhält sich im Großen und Ganzen wie ein guter Europäer. Das Land hat stabile Finanzen, entwickelt sich wirtschaftlich gut, macht nicht bei der Visegrád-Gruppe mit und wartet mit einer pragmatischen Flüchtlingspolitik auf, die geschickt balanciert zwischen Grenzkontrollen, Härte gegenüber den Flüchtlingen und Solidarität mit den EU-Ländern, die besonders viele Flüchtlinge aufnehmen. Außerdem drückt die EU ein Auge zu, weil die bulgarische Regierung für Stabilität und [als Teil der EVP-Fraktion im Parlament] für die Beibehaltung der gegenwärtigen politischen Mehrheit in der EU-Führung sorgt.“
Erschreckende Entwicklung in Bulgarien
Bulgarien hat sich im Vergleich zu 2006, kurz bevor das Land der EU beitrat, um 76 Plätze verschlechtert und liegt nun auf Rang 111. Sega beschäftigt sich mit den Ursachen:
„Im Internet-Zeitalter, in dem sich Medien nicht mehr rentieren, weil Leser nicht mehr für Inhalte zahlen und die Werbeeinnahmen an Google und Facebook gehen, hat sich die vierte Gewalt in Bulgarien neue Sponsoren gesucht. In Bulgarien sind das diejenigen, die hinter den Kulissen das Land regieren, egal, wer gerade offiziell an der Macht ist. Ihnen gehören die Medien. ... Wenn man bedenkt, dass Bulgarien im Jahr 2006, einem Jahr vor dem EU-Beitritt, noch auf Platz 35 zusammen mit Frankreich stand und 11 Jahre später nun auf dem 111. Platz steht, können wir uns ein Bild davon machen, wie weit wir in unserer europäischen Entwicklung gekommen sind.“
Stimme erheben gegen Medienhass von oben
Reporter ohne Grenzen weist darauf hin, dass osteuropäische Spitzenpolitiker immer öfter Journalisten verbal angreifen. Eine beunruhigende Situation, findet De Morgen:
„Mindestens genauso beunruhigend ist aber, dass der Medienhass aus Osteuropa übergreift auf Länder wie Österreich und Frankreich, die seit Jahrzehnten bei der Pressefreiheit an der Spitze stehen. Ob Belgien bereits infiziert ist von der Medienphobie? Zum Glück nicht, so geht es aus dem Bericht hervor. ... Wir können den belgischen Spitzenpolitikern aber vor allem vorwerfen, dass sie auf internationalen Foren selten ihre Stimme erheben gegen Journalisten-Hasser wie Zeman, Fico oder Orbán. Diese Frage ist es offensichtlich nicht wert, um die gute Atmosphäre auf europäischen Gipfeln zu verderben. Sehr besorgniserregend. Ein wenig mehr Mut in dieser Hinsicht wäre willkommen.“
Ranking lässt Fragen offen
Die Slowakei ist auf der Rangliste von Reporter ohne Grenzen gleich um zehn Plätze gefallen. Sme bringt dafür aus einem konkreten Anlass Verständnis auf, hält aber die Reihung generell für zweifelhaft:
„Die Ermordung eines Journalisten - des Enthüllungsreporters Ján Kuciak - hätte für die Slowakei eine noch weit schlechtere Platzierung erwarten lassen. Mit dem eigenen Leben bezahlen zu müssen, respektive als 'Hinterbliebener' Angst um sein Leben haben zu müssen, ist ein absoluter Konflikt mit der Freiheit. Zumal die 'Überlebenden' nach der Ermordung Kuciaks noch aktivere Enthüllungsarbeit betreiben. ... Wenn aber Länder wie Großbritannien, Frankreich und die USA noch hinter der Slowakei liegen, kann etwas mit der Liste nicht stimmen.“