Orbán und Salvini für Allianz der Abschottung
Italiens Innenminister Salvini und Ungarns Premier Orbán wollen sich verstärkt für den "Schutz Europas" vor der Zuwanderung von Flüchtlingen einsetzen. Bei ihrem Treffen in Mailand kündigten sie an, ein Bündnis von Migrationsgegnern zu schmieden. Kommentatoren machen sich Sorgen um die Zukunft der EU und nennen Gründe für den Vormarsch des Souveränismus in Europa.
Nationalisten sabotieren EU
Salvini und Orbán könnten die Arbeitsweise der EU nach der Europawahl 2019 deutlich erschweren, mahnt Historiker Jean-Thomas Lesueur vom liberal-konservativen Thinktank Institut Thomas More im Interview mit Le Figaro:
„Es ist nicht gesagt, dass die friedliche Aufteilung von Macht und Posten zwischen der Sozialdemokratischen Partei Europas und der Europäischen Volkspartei, die seit Jahren die Geschicke des Europaparlaments lenkt, über Mai 2019 hinaus andauern wird. Ich weiß nicht, ob die Nationalisten eine eigene Mehrheit erhalten werden. Ganz offensichtlich ist jedoch, dass sie die Bildung einer Mehrheit verhindern oder behindern könnten. Kurzum: Es ist noch nicht so weit, dass die Achse Salvini-Orbán (und nicht zu vergessen: das Österreich von Kurz) für neue Machtverhältnisse sorgt, sie kann jedoch das Funktionieren der EU ernsthaft beeinträchtigen.“
Fata Morgana eines besseren Europas
Die Europa-Vision von Populisten wie Orbán ist gefährlich, warnt der Politologe und ehemalige PiS-Politiker Paweł Kowal in Rzeczpospolita:
„Der Papst der europäischen Populisten Viktor Orbán trifft sich mit Salvini, einem der intelligentesten Populisten Europas. Er beweihräuchert den italienischen Minister in Mailand noch mehr als [den PiS-Chef] Jarosław Kaczyński in Krynica. Es ist, als hätte Orbán noch nicht den richtigen Partner für den Umbau der Union gefunden. Das Ziel der Populisten ist Macht. Und um diese zu erlangen, muss man den Menschen einreden, dass es sich lohnt, die Ordnung in Europa zu ändern, also die heutige Union für eine andere Vision Europas aufzugeben. Das ist so, als zeigte man den müden und gelangweilten Europäern eine künstliche Fata Morgana eines besseren Europas. So lief das auch beim Brexit.“
Zusammenprall von Imperialismus und Freiheitsdrang
Der Bruch, der sich in der EU abzeichnet, hat seinen Ursprung in den unterschiedlichen Mentalitäten in Ost und West, erklärt Roberto Sommella, Direktor des Verbands La Nuova Europa, in Huffington Post Italia:
„Europa ist eine Zone, in der zwei Arten der Gesellschaftsauffassung aufeinandertreffen: die neo-imperiale Brüssels, die in der erzwungenen Vereinigung, in der germanischen Harmonisierung der Regeln und in der Auferlegung derselben konkrete Gestalt annimmt; und die revolutionäre des Prager Volkes und aller Völker, die sich zuvor gegen Herrschaft und Assimilation [in der Sowjetunion] erhoben hatten. Diese beiden gegensätzlichen Kräfte stehen sich noch immer gegenüber und erzeugen die strukturelle Instabilität der Gemeinschaftsarchitektur.“
Europäer lassen Populismus sprießen
Die Untätigkeit der EU lässt den extremen Populismus von Orbán und Salvini gedeihen, führt Público aus:
„Auch nach dieser erneuten populistischen, fremdenfeindlichen und illiberalen Offensive waren keine Proteste zu hören. ... Die Europäer bemerken nicht, dass die heutige Rhetorik von Orbán oder Salvini noch vor einem Jahrzehnt ein unvorstellbarer Skandal gewesen wäre. Sie sind sich nicht bewusst, dass der Verzicht, frontal gegen den radikalen Populismus vorzugehen, dafür sorgt, dass dieser radikale Populismus gedeiht und sich weiter ausbreitet. Und dass Politiker wie Salvini oder Orbán nun als Symbole eines Europas erscheinen, das sich selbst als Idee und Projekt aufgegeben hat. Der informelle Gipfel in Mailand ist ein klarer Beweis dafür, dass sich die Schlinge des Extremismus zuzieht.“
Im Grunde sind sie Gegner
Für wenig durchdacht hält das regierungskritische Internetportal 444.hu die Pläne Salvinis:
„Auf die Frage, wie er die Flüchtlinge denn zurückbringen wolle, wenn Libyen, das Land aus dem sie kommen, sie nicht zurücknimmt, antwortete Salvini, er wolle mit den afrikanischen und asiatischen Herkunftsländern darüber Vereinbarungen treffen. Der große Plan für den Rücktransport wurde also auf eine unbestimmte Zukunft verschoben. Mit seinem Rücktransports-Plan konnte Salvini gleichzeitig das Problem umgehen, dass die italienische Regierung das Flüchtlingsproblem eigentlich mit einem verpflichtenden Quotensystem lösen will. Ungarn ist entschieden dagegen. Die beiden Regierungen stehen sich in diesem Punkt - also im Europäischen Rat - als Gegner gegenüber.“
Nicht das Zeug für eine echte Allianz
Diese nationalistische Allianz wird nicht von langer Dauer sein, ist sich Avvenire sicher:
„Orbán fordert Italien auf, die Meere zu versiegeln, während Budapest an seinen Grenzen den Stacheldraht hochzieht. Aber ist die Abschottung vor Menschen aus Drittstaaten wirklich das Hauptproblem des Kontinents und der Klebstoff für eine neue Idee von Europa? Wenn die Mauern erst einmal errichtet sind, werden dann all die Rechte, die Salvini gestern aufgelistet hat, vom Leben bis zur Arbeit, von der Gesundheit bis zur Sicherheit, auf magische Weise verwirklicht? Es ist doch gerade die geschmähte EU, die mit erheblicher Wirtschaftshilfe den wachsenden Wohlstand Ungarns sichert. Wie steht wohl Italien dazu? Schließlich droht Rom, seinen Beitrag zum EU-Haushalt zu blockieren, wenn die übrigen Länder die Umverteilung der Flüchtlinge nicht akzeptieren.“
Schrille Töne aber kein Konzept
Mit dem Höhenflug von Matteo Salvini, der sich schon als Italiens nächster Premier sieht, könnte es bald vorbei sein, prophezeit Der Standard:
„Mit dem (rechts)populistischen Instrumentarium der künstlichen Aufregung in immer schrilleren Tönen in immer kürzeren Abständen mag man vortrefflich Opposition machen und eine Zeitlang auch den starken Innenminister markieren können. Doch die Migranten, Salvinis Lieblingsopfer, wird nicht einmal er eine Legislaturperiode lang für die hohe Jugendarbeitslosigkeit, das unfinanzierbare Pensionssystem, die horrende Staatsverschuldung und die Wirtschaftsflaute Italiens verantwortlich machen können. Salvini braucht etwas, was weder er noch irgendein anderer Populist bisher gezeigt hat: ein Konzept, das ihm nicht innerhalb weniger Monate um die Ohren fliegt.“