Macron: der Held von Biarritz?
Die G7-Staaten haben am Ende ihres Gipfels in Biarritz doch eine gemeinsame Erklärung abgegeben. Macron hatte zuvor mitgeteilt, wegen der Differenzen mit US-Präsident Trump auf ein Abschlusskommuniqué verzichten zu wollen. Dass es bei den Themen Handelsstreit und Iran Bewegung gab, halten viele Kommentatoren vor allem für Macrons Verdienst. Für einige ging der Gastgeber allerdings zu weit.
Mit Charme und Überzeugungskraft
Macron hat das Treffen zum überraschenden Erfolg geführt, findet Paris-Korrespondentin Anais Ginori in La Repubblica:
„Die Macron-Show brachte einige Ergebnisse. ... Von der Beschleunigung der Iran-Verhandlungen bis hin zum Probelauf eines Dialogs zwischen den USA und China zu Gunsten eines Handelsfriedens hat der Gipfel von Biarritz einige der kompliziertesten internationalen Fragen vorangetrieben. Noch nichts Spektakuläres, aber im Vergleich zu den ursprünglichen Erwartungen ein Erfolg. Mit seinem Charme und seiner unbestrittenen Überzeugungskraft gelang es Macron, den explosiven Charakter von Donald Trump zu bändigen. Der isolationistische und souveränistische Präsident, der bis vor wenigen Tagen mit der Sabotage des Gipfels drohte, sprach prahlend von einem 'großen Erfolg der G7'.“
Kein schlechtes Wochenende für Europa
Auch das Handelsblatt findet nur lobende Worte für den französischen Präsidenten:
„Seine Kombination aus Härte, Geschmeidigkeit, Bauchpinselei und Risikobereitschaft ist möglicherweise das richtige Rezept für Außenpolitik in Zeiten eines begrenzt rational handelnden US-Präsidenten. … Vielleicht beeindruckt es Trump sogar, dass Macron sich nicht mit Drohungen wie der mit neuen Zöllen ins Bockshorn jagen ließ. Der Franzose hat in Biarritz einiges erreicht: Die G7 setzt einheitlich auf Dialog statt Drohungen im Verhältnis zum Iran, sie will eine Mindestbesteuerung großer Unternehmen und bemüht sich um den Schutz des Regenwalds. Von Chile über Afrika und Japan bis Australien gab sich die ganze Welt in Biarritz ein Stelldichein, suchte Gemeinsamkeiten. Für ein Europa, das angeblich im Niedergang ist, war das kein schlechtes Wochenende.“
Gastgeber profitiert auch innenpolitisch
Als erfolgreicher Gastgeber dürfte sich Macron auch zu Hause beliebt gemacht haben, meint Le Monde:
„Der Mut und die Durchsetzungskraft, mit denen der französische Präsident dieses internationale Treffen leitete, dürften es ihm erlauben, seine innenpolitische Position zu stärken. ... So hat er in Biarritz vor allem drei für die öffentliche Meinung in Frankreich besonders sensible Themen angesprochen: Ökologie, Freihandel und Ungleichheit. ... Der G7-Gipfel, der zuvor im schlimmsten Fall eine Katastrophe und im besten Fall unwichtig zu werden drohte, war letztlich ein Treffen, das den Staatschefs einen reibungslosen Dialog ermöglicht hat, sogar bei den vielen Themen, bei denen sie nicht einer Meinung sind.“
Trump mit Spaltungsversuchen gescheitert
Während der Franzose brillierte, ist es dem US-Präsidenten nicht gelungen, Unfrieden zu stiften, freut sich The Irish Times:
„Wenn das Hauptziel des Gipfels darin bestand, nach außen hin eine Fassade der Höflichkeit aufrechtzuerhalten, dann wurde das größtenteils erreicht. Doch das Treffen offenbarte wieder einmal die tiefen Spaltungen innerhalb der Gruppe, oder genauer gesagt zwischen den USA und dem Rest - und zwar bei den Themen Außenpolitik, Handel und Zölle. ... Der Gipfel bestätigte wenigstens, dass es Donald Trump bei den drängendsten Themen nicht geschafft hat, einen Keil in den Rest der Gruppe zu treiben. Bei Zöllen und beim Iran war seine Isolierung auffällig. Sogar Boris Johnson, der den US-Präsidenten schon bald inständig um einen annehmbaren Handelsvertrag bitten wird, distanzierte sich von Trumps Positionen.“
Standpauken nervten alle
Ria Nowosti hingegen ist vom forschen Auftreten des Gastgebers alles andere als begeistert:
„Selbst Macrons G7-Kollegen waren höchst unzufrieden mit seinem Verhalten, seiner Aggression und seinem plötzlichen Bestreben, das ganze Gipfelprogramm umzuwerfen, nur um seine (noch nicht einmal mit Merkel abgesprochenen) geopolitischen Ambitionen zu demonstrieren. Die Liste derjenigen, die Standpauken von Macron kassierten, ist beeindruckend lang: ... So attackierte Macron den brasilianischen Präsidenten (den er unter anderem einen Lügner nannte) und er ging in der Frage der Aufhebung von Sanktionen gegen den iranischen Ölexport auf Konfrontationskurs zu US-Präsident Trump.“
Gipfel ohne Durchbruch
Und sogar richtiggehend enttäuscht über die Ergebnisse des Gipfels zeigt sich Večer:
„Das Kleingeld, das für das Löschen der Brände im Amazonas bereitgestellt wird, ist lächerlich. Die Kosten für die Sicherheit der Politiker und ihrer Begleiter waren viel zu hoch. ... Der Besuch des iranischen Außenministers, Mohammed Dschawad Sarif, der überhaupt nicht auf der Agenda stand, wird wohl noch am stärksten im Gedächtnis bleiben. Zwei Hauptakteure des Gipfels, Emmanuel Macron, der Sarif nach Biarritz gebracht hat und Donald Trump, der angeblich davon gewusst und es bewilligt hat, rühmen sich damit. Es wird sich zudem noch zeigen, was es zu bedeuten hat, dass es, trotz all dem, keinen Durchbruch in der Krise um den iranischen Atom-Deal gab.“
Nach neuen Allianzen suchen
Die G7 können nichts mehr bewegen, urteilt der Deutschlandfunk:
„Solange populistische Akteure wie US-Präsident Donald Trump oder Großbritanniens Boris Johnson das Sagen haben, ist ein ursprünglich auf Konsens bedachtes Treffen der vermeintlich wichtigsten Industrienationen zum Scheitern verurteilt. ... Insofern ist der Versuch des Gastgebers nicht ungeschickt, neue multilaterale Allianzen zu schmieden. ... Viele afrikanische Staaten, aber auch Chile oder Indien sitzen in Biarritz mit am Essens- und Verhandlungstisch. Da könnten sich neue Bündnisse auftun. Die verheerenden Brände im Amazonas-Gebiet etwa, ausgelöst durch eine rücksichtslose Brasilien-First-Politik des Populisten Bolsonaro, machen zumindest ein wenig Hoffnung darauf, dass sich mehr Staatenlenker dieser Welt auf einen konsequenteren Klimaschutz verständigen könnten.“
Russland und China müssten dabei sein
Wesentliche Akteure fehlen am Verhandlungstisch, kritisiert die regierungsnahe Tageszeitung Magyar Hírlap:
„Auch in Berlin, Paris und London wissen sie, dass China die zweitstärkste Wirtschaft der Welt ist sowie bei weitem der größte Exporteur und dass Russland nach den Vereinigten Staaten über die zweitstärkste Armee verfügt und außerdem unverzichtbarer Gas- und Öllieferant für halb Europa ist. Es wäre also durchaus an der Zeit, die G7 durch Russland, China und das als fünftgrößte Wirtschaft aufsteigende Indien zu erweitern. Wenn die EU wirklich ein ernsthafter Akteur unter den 'Global Players' sein will, dann sollte sie nicht den gleichen Fehler wie Napoléon III. in Biarritz machen, der dachte, nicht die Preußen, sondern er gebe den Ton vor. Dieser Irrtum kostete ihn den Thron.“
Moskau weiterhin fernhalten
Dass ein G8-Treffen mit Russland in weite Ferne gerückt zu sein scheint, freut hingegen Publizist Witalij Portnikow in Obozrevatel:
„Der Wunsch der Präsidenten Donald Trump und Emmanuel Macron, Präsident Putin im nächsten Jahr zur 'Gruppe der Sieben' einladen zu wollen, hat politisch und gesellschaftlich viele Reaktionen hervorgerufen. Darin wurde jedoch klar, dass es der Mehrheit nicht darum geht, ihn zurückzuholen, sondern darum, wie man ihn weiter fernhält. Und das ist das beste Geschenk für die Ukraine am Unabhängigkeitstag [am 24. August]. Je länger die politische Isolation Russlands und seines Führers andauert, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Ukraine nicht in einen neuen hybriden Konflikt mit dem Kreml verwickelt wird, neue Gebiete verliert und die Wiederherstellung der territorialen Integrität immer wahrscheinlicher wird.“
Wirksames Gegengewicht zu Populisten
Die G7 unter europäischer Führung haben gegenüber Populisten wie Trump oder auch Bolsonaro eine wichtige Aufgabe, urteilt Der Standard - und lobt Frankreichs Präsident:
„Macron hatte an sich vor Jahren schon einen guten Ansatz gefunden und erklärt, es gelte 'mit allen zu reden, aber Klartext zu sprechen'. Man stelle sich vor, wie frei sich Trump fühlen und wie unsicher er die Welt machen würde, wenn er nicht mehr in internationale Gremien wie die G7 eingebunden wäre. Umgekehrt lässt sich vermuten, dass Bolsonaro kooperativer wäre, wenn man sein Land in den Kreis der 'Großen' aufnähme - und mit ihm nachhaltig Klartext reden würde. Der Brasilianer scheint für handfeste westliche Argumente und Druckmittel empfänglich zu sein. Das sollte ausgenutzt werden.“
Westen muss sich gemeinsamer Interessen besinnen
Die G7 können ihre größten Probleme nur lösen, wenn sie kooperieren, mahnt Financial Times:
„Jetzt ist Konzentration auf die großen strategischen Fragen gefordert, die sich dem Westen stellen. So kann die Gruppe der Sieben am ehesten wieder relevant werden. Doch was sind diese Herausforderungen? Erstens müssen die EU und Großbritannien sich darauf einigen, wie sie einen No-Deal-Brexit abwickeln, falls sich ein neues Abkommen als nicht machbar erweist. Zweitens sollten sich Europa und die USA darauf verständigen, dass die stärker werdende chinesisch-russische Allianz eine Herausforderung darstellt, der man sich besser gemeinsam stellt. Drittens müssen Frankreich und Italien das Kriegsbeil begraben. Und die Eurozone kann nur dann für die nächste Wirtschaftskrise gestärkt und gesichert werden, wenn auch Deutschland eingebunden wird.“
Demonstranten setzen die Themen
Die Aktivisten und Kritiker des G7-Gipfels werden zwar räumlich von den Politikern abgeschottet, doch eigentlich sind sie diejenigen, die die Inhalte bestimmen, beobachtet Laurent Joffrin, Chefredakteur von Libération:
„Der Großteil der Protestler des Anti-G7, die sich im Baskenland zusammenfinden, haben höchst friedliche Absichten. Sie werden sich mit Debatten und Märschen zufriedengeben. Und vor allem waren diese alternativen Zusammenkünfte, die auf Distanz gehalten werden, historisch gesehen viel fruchtbarer als ihres offiziellen Pendants. Es war die Alternativkultur, die ab den 1990er Jahren die weltweiten Ungleichheiten, den Klimawandel und den notwendigen Schuldenerlass auf die Agenda geholt hat - alles Ideen, die in der Regel mit zehn Jahren Verspätung von den Staatschefs der folgenden Gipfel aufgegriffen wurden, manchmal mit der Aussicht auf greifbare Beschlüsse.“