Streit um Corona-Ursprung: Was steckt dahinter?
Immer deutlicher werfen die USA China vor, über die Herkunft des Coronavirus zu lügen: Laut Außenminister Pompeo gebe es Belege, dass das Virus in einem Labor in Wuhan entstanden sei. Die Weltgesundheitsorganisation kritisiert Peking dafür, keine WHO-Mission ins Land zu lassen, hält die Vorwürfe aber für spekulativ. Kommentatoren werfen einen kritischen Blick auf die USA.
Scheinheiligkeit der USA
Die USA haben sich selbst an der Forschung zu Coronaviren in China beteiligt, schreiben die Sinologin Susanne Weigelin-Schwiedrzik und der Mediziner Hans Peter Schwarz in der Tageszeitung Die Presse:
„Das Institut in Wuhan ist ein in die internationale Forschung eingebundenes Institut, das laut 'Washington Post' regelmäßig Besuch von der US-Botschaft bekam. Die amerikanische Forschung zu Coronaviren wurde zwar durch das [2014 verhängte] Moratorium unterbunden, umso mehr investierte man in China aber auch dann noch, als bereits festgestellt wurde, dass die Sicherheit dieser Forschung in dem Wuhaner Labor offenbar nicht gewährleistet ist. ... Offenbar leben wir nicht nur davon, unseren Müll nach China ... zu verschicken, damit es bei uns sauberer ist. Die USA verlagern hochgefährliche Virenforschung lieber nach China, als das Risiko im eigenen Land einzugehen.“
Lügner verdrehen die Realität
Chinas englischsprachige Staatszeitung China Daily verurteilt die Vorwürfe der USA scharf:
„Je mehr sich die Covid-19-Krise in den Vereinigten Staaten verschärft, desto hemmungsloser wird deren Schmierenkampagne gegen China. Sie bezeichnen China als 'Ursprung des Coronavirus' und beschuldigen China, 'Informationen vertuscht' zu haben. Sie sind verzweifelt bemüht, China für die Pandemie zur Rechenschaft ziehen und damit 'Wiedergutmachung' für die von Covid-19 verursachten Verluste zu erpressen. ... Während der diesjährigen Pandemie hat sich Chinas Frühwarnsystem in vorbildhafter Weise bewährt; Chinas Erfahrungen sollten überall zum Lehrstoff werden, Chinas Opfer verdienen Respekt, und Chinas Beitrag [zur Bewältigung der Krise] verdient höchste Anerkennung. Lügnern sollte es niemals gestattet werden, die Realität zu verdrehen.“
Kooperation statt Konfrontation
Das Säbelrasseln zwischen China und den USA behindert den globalen Kampf gegen die Pandemie, klagt The Irish Independent:
„China zum Sündenbock zu stempeln, mag sich für Donald Trump aus innenpolitischer Sicht lohnen. Doch es wäre klüger, auf die Fakten zu warten. Die beiden größten Supermächte der Welt sollten nicht ständig mit dem Finger aufeinander zeigen, während alle auf diesem Planeten mehr denn je geeint vorgehen sollten. Es wäre unverzeihlich, die ohnehin geringen Aussichten auf internationale Solidarität zu untergraben und die Bemühungen, einen gemeinsamen Ansatz zur Bekämpfung der Pandemie zu finden, zum Scheitern zu bringen. ... Covid-19 hat bereits eine Welt voller Probleme geschaffen. Wir brauchen keine politischen 'Führer', die neue schaffen.“
Westen finanzierte Chinas Virenversuche mit
Es gibt offenbar tatsächlich Belege für eine "Virus-Connection" in Wuhan, bemerkt Il Manifesto:
„Es sind die Beweise für die millionenschwere Zusammenarbeit zwischen den Vereinigten Staaten, Frankreich und China in den Hochsicherheitslaboratorien von Wuhan zur Untersuchung von Tierviren. Obama hatte ein vierjähriges Moratorium für einige dieser Forschungen verhängt, die einige Zeit später mit der vorbehaltlosen Unterstützung von Anthony Fauci, seit 40 Jahren Boss der US-Epidemiologie, wieder aufgenommen wurden. Mit anderen Worten: Amerikaner und Franzosen finanzierten jahrelang in Wuhan durchgeführte Experimente mit Viren, auch solche, die sie zu Hause wohl nicht hätten durchführen können. … So ist China zu einer Supermacht geworden: mit unserer Komplizenschaft.“
Gutes Ablenkungsmanöver
Das Problem bei den Anschuldigungen ist, dass man der Regierung in Washington nicht trauen kann, schreibt die Tageszeitung Die Welt:
„Donald Trump hat vom ersten Tag im Amt gelogen, dass sich die Balken biegen, und seine Aussagen bei den täglichen Corona-Pressekonferenzen rangieren zwischen fantasievoll bis bizarr. Zudem schreitet die Politisierung der US-Geheimdienste stetig voran. ... US-Medien haben in den vergangenen Wochen von zunehmendem Druck des Weißen Hauses auf die Dienste berichtet, die Trumps Theorien über die chinesische Schuld für die Pandemie erhärten sollen. Denn Trump kann gut vom eigenen Versagen in der Coronakrise ablenken, wenn er China noch mehr Schuld zuschreibt als die bisher bekannten Vertuschungen und Verzögerungen Pekings.“
Klischees des Kalten Kriegs
Iswestija sieht einen Rückfall in die Zeit antikommunistischer Ressentiments:
„Das Tempo der konfrontativen Entwicklung nimmt zu. Es wird schwer sein, sie zu bremsen. Der Hauptantrieb ist der Wahlkampf in den USA. ... Die Anschuldigungen gegen China bekamen sofort eine klare ideologische Färbung. In fast allen Äußerungen und Dokumenten wird betont, dass China ein kommunistischer Staat ist. Der Konflikt wird sofort auf die Identitätsebene gehoben: 'Wir gegen die Anderen.' Wir sind die ehrliche, demokratische und offene Gesellschaft, die zum Opfer des für Kommunisten und autoritäre Regime üblichen Betrugs geworden ist. Das Klischee des Kalten Kriegs ist schnell reaktiviert. Nur steht jetzt an Stelle der UdSSR eben China.“
Licht ins Dunkel bringen
Peking sollte aus eigenem Interesse ein internationales Expertenteam ins Land lassen, rät Financial Times:
„China zweifelt berechtigterweise an der Vertrauenswürdigkeit von Donald Trump. Der US-Präsident bringt ständig Verschwörungstheorien ins Spiel und verbreitet Fake News. ... Doch es wäre nicht Trump, der die Bedingungen und Regeln festlegen würde, wenn China einer internationalen Untersuchung zustimmt. Andere, darunter die Uno und die EU, deren Kommissionspräsidentin ebenfalls eine Untersuchung gefordert hat, könnten dazu beitragen, die Objektivität des Prozesses sicherzustellen. Wenn es keine unabhängige Untersuchung gibt, werden die gegenseitigen Schuldzuweisungen zwischen den USA und China vermutlich eskalieren und die Situation wird gefährlicher werden.“
Peking in die Pflicht nehmen
Jetzt muss der Druck auf China erhöht werden, die Hintergründe des Pandemie-Ausbruchs offenzulegen, fordert Berlingske:
„Europas Botschaft an Chinas Präsidenten Xi Jinping muss glasklar sein: Man kann nicht alle Vorteile der Integration in den freien Welthandel genießen, wenn man sich nicht wie ein verantwortungsbewusstes Mitglied der Weltgemeinschaft benimmt. Die EU könnte folgenden kurzen Bescheid an Chinas führenden Politiker senden: Lieber Xi Jinping, stoppe die Propaganda und schließe dich einer internationalen Corona-Untersuchung an.“