Corona-Politik: Außer Lockdown kein Rezept?
Firmen am Rande des Ruins, Bürger am Rande der Erschöpfung: Die seit Monaten strengen Corona-Auflagen haben gravierende Folgen. Auch deshalb werden insbesondere dort, wo die Fallzahlen sinken, Forderungen nach Lockerungen laut. Doch die Politik zögert – und trifft Entscheidungen dabei oft hinter verschlossenen Türen. Nicht nur deshalb üben Journalisten Kritik.
Dauer-Ausnahmezustand höhlt Institutionen aus
Wenn Corona noch länger dauert, beschädigt das die Demokratie, warnt Contrepoints:
„Die Regierung setzt bürokratische und gesundheitspolitische Standards durch, die sich der Bewertung durch die üblichen demokratische Gremien entziehen. ... Letztere werden von denen, die aus der Gesundheitskrise eine moralische, politische und wirtschaftliche Krise gemacht haben, wie es sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gab, für generell inkompetent gehalten. All das ist vorübergehend, wird uns gesagt, aber was ist, wenn das Vorübergehende jahrelang anhält? Sollen sich die Franzosen damit abfinden, unter einem Ausnahmeregime zu leben, gebeutelt durch mal beruhigende, mal beängstigende Erklärungen des Staates, weil das Virus ja nicht verschwinde? Die Antwort der Regierung muss nicht nur eine gesundheitspolitische sein, sondern eine institutionelle. “
Ein Geschenk für die Leichtsinnigen
In Tschechien hat das Parlament einer Verlängerung des Notstands bis Mitte März eine Absage erteilt und sich damit gegen die Regierung gestellt. Lidové noviny bereitet dies Sorgen:
„Bürger, die mit den Beschränkungen unzufrieden sind, werden die Aufhebung des Ausnahmezustands auf ihre eigene Weise interpretieren. Die meisten staatlichen Maßnahmen waren unwirksam. Nun wählt womöglich jeder nach seinen eigenen Vorstellungen aus, welche er akzeptiert. Die meisten Maßnahmen-Gegner sind nicht bereit, die Vorbehalte der Oppositionsparteien im Detail zu prüfen und sich deren Forderung nach Beschränkungen zu Herzen zu nehmen.“
Es fehlen Churchills Mut und Ehrlichkeit
Rzeczpospolita vermisst Risikobereitschaft auf Seiten der Politik:
„Winston Churchill, ab 1940 britischer Premierminister, hat den Bürgern 'Blut, Mühe, Schweiß und Tränen' abverlangt, aber mit der Aussicht auf den Sieg über den Feind. Damals ging es um die Deutschen, jetzt geht es um das Virus. Wenn es jemanden von Churchills Format gäbe, müsste er etwas Ähnliches sagen. ... Doch kein Politiker wird im Namen des Gemeinwohls seine Macht oder seine Karriere riskieren. Und wenn jemand zu sagen versuchte, was Churchill einst sagte, würde ihn die eigene Partei sofort ersetzen. Daher rührt die Abneigung gegen jedes Risiko. Daher kommen die Ankündigungen des immer nächsten Lockdowns, - 'weil es jeder tut'.“
Neoliberale Regierungen sind fantasielos
Die Politik will wohl kein anderes Rezept kennen als Lock- und Shutdowns, kritisiert Haravgi:
„Es gab keine Anstrengung, die Gesundheitssysteme zu stärken, keinen Gedanken, die Gesundheitsausgaben zu erhöhen. Beides könnte die Wahrscheinlichkeit eines neuen Lockdowns verringern. … Was ist, wenn die Impfstoffe bei neuen Mutationen nicht wirken? Was ist, wenn ein weiteres Problem mit der Pharmaindustrie auftritt, die gezeigt hat, dass sie jede Gelegenheit zur Steigerung ihrer Gewinne voll ausnutzt? Die Antwort ist einfach und die gleiche wie im letzten März, vor fast einem Jahr: Lockdown! Für diese Virusbekämpfung entscheiden sich neoliberale Regierungen im Jahr 2021. Ja, es müssen Maßnahmen ergriffen werden. Aber doch nicht die gleichen wie vor einem Jahr, als wir über einen 'unsichtbaren und unbekannten' Erreger sprachen.“
Als Bürger meckert es sich leicht
In Dänemark werden angesichts sinkender Infektionszahlen die Rufe nach Öffnungsmaßnahmen lauter. Regierungschefin Mette Frederiksen muss schwierige Entscheidungen treffen, betont der Nordschleswiger:
„Es gibt 10.000 Gründe, die Gesellschaft wieder in den Normalzustand zu schalten. Aber einen, es nicht zu tun. Dieser eine Grund - das Coronavirus - macht die Entscheidung der Staatsministerin zu einem Balanceakt. ... Die Regierung setzt auf das Prinzip Vorsicht, kombiniert mit der Hoffnung darauf, dass die Richtwerte weiter sinken und die Zahl der Geimpften steigt. So lange werden wir uns noch gedulden müssen – und in der Zeit können wir uns fragen, wie wir selbst entschieden hätten, wenn wir die Verantwortung hätten – und nicht nur Meinungsfreiheit.“
Experten brauchen mehr Durchsetzungsvermögen
Der ehemalige Europa-Abgeordnete Miha Brejc mahnt in seiner Kolumne für Portal Plus ein besseres Zusammenspiel von Politik und Wissenschaft an:
„Die Politiker müssen die Vorschläge der Experten ernst nehmen, auch wenn diese unangenehm sind. Und wenn politische Entscheidungen unlogisch, manchmal sogar dumm sind, müssen sich die Experten entschlossen zu Wort melden. Bleiben sie still, müssen wir uns nicht wundern, dass die politischen Maßnahmen nicht funktionieren. Sehen die Menschen Politiker und Experten so handeln wie es aktuell der Fall ist, verlieren sie das Vertrauen in die Regierung und die Maßnahmen haben nicht die erwünschte Wirkung.“
Alarmstufe Winterferien
In Schweden freuen sich viele Skifahrer auf die kommende Woche beginnenden Winterferien. Aftonbladet betrachtet die Reiselust mit Sorge:
„Der Skitourismus hat bei der Verbreitung des Virus in Europa eine entscheidende Rolle gespielt. ... Nun könnten die diesjährigen Winterferien die dritte Welle auslösen. Menschen, die seit einem Jahr mit Einschränkungen leben, brauchen ihre Ferien, und die Tourismusindustrie braucht die Besucher. Doch wenn das bedeutet, dass sich das Virus unkontrolliert verbreiten kann, ist der Preis zu hoch. ... Die Regierung hat am Dienstag mitgeteilt, dass Busse und Bahnen ab dem Wochenende nur noch zur Hälfte belegt werden dürfen. Die Frage ist, ob das reicht, um die Ferien nicht zum Superspreader werden zu lassen.“