Was sind die Folgen der Anschläge in Kabul?
Mindestens 85 Tote und 150 Verletzte - das ist die vorläufige Bilanz der verheerenden Terroranschläge in Kabul. Zu den Attacken bekannte sich die IS-Terrormiliz, die in Afghanistan unabhängig von den Taliban agiert und für eine noch extremere Auslegung des Islam eintritt. Welche Auswirkungen die Ereignisse auf die Evakuierungsmission haben und was sie über die Machtverhältnisse in Afghanistan aussagen, beschäftigt Europas Presse.
Auf diesen Ton können wir uns einstellen
Die Reaktionen der Taliban auf die Attentate lassen erahnen, wie ihre künftige Haltung in der internationalen Politik aussehen wird, interpretiert Corriere della Sera:
„Die neuen Herren von Kabul reagieren institutionell und giftig auf die Explosionen. Sie nutzen Twitter und sie tun es auf koordinierte Weise. ... Der Hauptsprecher lässt ahnen, womit wir von heute an rechnen müssen. Man erahnt die Grimasse der Verachtung unter dem dichten Bart. 'Die Attentate haben sich in einem Areal ereignet, auf dem die US-Streitkräfte für die Sicherheit verantwortlich sind.' Wir haben nichts damit zu tun. Die Schuld liegt, kurz gesagt, bei diesen Verlierern, den Amerikanern. Damit hat ein neues politisches Subjekt die Bühne der internationalen Politik betreten.“
Sieg Davids gegen Goliath zieht Islamisten an
Der Dschihadismus wird künftig in Afghanistan noch stärker werden, fürchtet Polityka:
„Der Triumph Davids (Taliban) über Goliath (Amerika) hat sich als hervorragendes Instrument für die Rekrutierung von Muslimen aus aller Welt für den Dschihad erwiesen. … Und die Freilassung Tausender von Extremisten, die von der entmachteten prowestlichen Regierung inhaftiert worden waren, hat Al-Qaida und die IS-Milizen mit einsatzbereiten Kämpfern versorgt. Beide Gruppen standen in Konflikt mit den Taliban, aber man geht davon aus, dass sie sich in der neuen Situation mit ihnen verständigen und zusammenarbeiten könnten.“
Schwere Niederlage für Biden
Joe Biden hat Vergeltung für die Terroranschläge angekündigt, bei denen auch 13 US-Soldaten ums Leben kamen. Doch retten kann er die Situation für sich nicht mehr, glaubt der US-Korrespondent des NRC Handelsblad, Bas Blokker:
„Für Biden zählte nur eins: Afghanistan darf kein einziges amerikanisches Leben mehr kosten. ... Eine Mehrheit unterstützte die Entscheidung, als Präsident Trump sie traf und sie unterstützt sie noch immer, jetzt wo Präsident Biden sie ausführt. Aber die Art und Weise, wie Biden sie ausführt, brachte ihm viel Kritik ein. ... Bis Donnerstag konnte Biden noch die Illusion haben, dass nach einer erfolgreich beendeten Evakuierung die Stimmung umschlagen würde. Jetzt aber kann er nie wieder behaupten, dass die Evakuierung erfolgreich verlaufen ist.“
Aus für Rettungsmission
Die Anschläge werden unmittelbare Folgen haben, vermutet die Frankfurter Allgemeine Zeitung:
„[D]ie Diskussion über eine Verlängerung der militärisch organisierten Rettungsmission [dürfte sich] erledigt haben. Diese Mission wird eher schneller enden als verlängert werden. Das ist bitter für all jene, die noch darauf hoffen, ausgeflogen zu werden. Wenn die westlichen Soldaten abgezogen sein werden, sind sie auf Gedeih und Verderb den Taliban ausgeliefert.“
Von einem sicheren Land kann keine Rede mehr sein
Wer immer nun aus Afghanistan flieht, hat Recht auf Asyl, findet El Periódico de Catalunya:
„Regierungen [in der EU] werden nicht mehr behaupten können, dass Afghanistan ein sicheres Land mit einem stabilen Regime ist, wie sie es noch bis vor wenigen Tagen taten, um Asylanträge aus Afghanistan abzulehnen. Die Logik sollte vorschreiben, dass sowohl die etwa hunderttausend Evakuierten als auch diejenigen, die möglicherweise noch gerettet werden, als Flüchtlinge betrachtet und nach internationalem Recht aufgenommen werden sollten.“