Energiepreise: Muss jedes EU-Land selbst handeln?
Die Großhandelspreise für Erdgas haben sich binnen eines Jahres vervierfacht. Auch ein Treffen der EU-Energieminister brachte kein gemeinsames Vorgehen gegen die hohen Gas- und Strompreise. Unter anderem Spanien und Griechenland fordern Eingriffe in die Märkte, Deutschland, die Niederlande und das Baltikum wollen abwarten. Und für einige Kommentatoren ist der gemeinsame Markt und die gemeinschaftliche Energiepolitik sogar der Kern des Problems.
Windräder aufstellen reicht nicht
Die griechische Regierung ist dafür verantwortlich, dass die Preise im Land so stark ansteigen, schimpft Efimerida ton Syntakton:
„Ihre neoliberale Besessenheit und ihre Bereitschaft, sich direkt an die vorherrschende Logik der EU anzupassen, haben dazu geführt, dass sie die Energieerzeugung durch Braunkohle kurzerhand aufgegeben hat, ohne einen wirklichen und sicheren Übergang zu erneuerbaren Energiequellen gewährleistet zu haben - abgesehen davon, dass sie überall im Land Windräder aufstellt und die staatliche Stromgesellschaft in kürzester Zeit privatisiert hat.“
Franzosen werden um ihre Erträge gebracht
Frankreich kann trotz seiner Atomindustrie und umfangreichen Wasserstoffproduktion nicht autonom vom europäischen Markt agieren, klagt der Ökonom Christian Stoffaës in Les Echos:
„Im europäischen Markt nimmt Gas eine herausragende Stellung ein. Nach den Gesetzen des Marktes orientiert sich der Preis in der EU an den Grenzkosten der Produktionsmittel, in diesem Fall die Gaskraftwerke. Verantwortung trägt auch die EU-Klimapolitik mit dem spektakulären Ausbau erneuerbarer Energien angetrieben durch Subventionen und den brutalen Preisanstieg der CO2-Zertifikate. Die Franzosen können sich zu Recht fragen, warum Europa ihnen den Nutzen der gigantischen Investitionen vorenthält, denen sie zur Sicherung der Energieautonomie ihres Landes zugestimmt haben.“
Riskante Entwicklung für Orbán
Trotz der gedeckelten Energiepreise in Ungarn kann der allgemeine Preisanstieg Viktor Orbán gefährlich werden, meint hvg:
„Die aktuelle Preisexplosion stellt ein Risiko dar, dass die Illusion des Wohlstands, die die Regierung aufrecht erhält, zerstört wird. Die im Rahmen der [früheren] Gemeinkostenreduzierung festgelegten Energieversorgungstarife für Privatverbraucher gelten im Moment zweifellos als solide. Doch die steigenden Preise für Benzin und viele Produkte, die teils wegen der steigenden Energiekosten immer teurer werden, betreffen jeden Einzelnen.“
EU muss Gas-Abhängigkeit verringern
Die Süddeutsche Zeitung findet kurzfristige Maßnahmen ausreichend:
„Denn die Märkte funktionieren, auch wenn das Ergebnis den Verbrauchern und Politikern gerade nicht gefällt. Das Risiko wäre gewaltig, dass die EU etwas verschlimmbessert ... . Die Regierungen sollten sich daher vor blindem Aktionismus hüten. Lieber sollten sie den Grund der Krise bekämpfen: Die EU ist immer noch viel zu sehr auf Gasimporte angewiesen, und dieses Gas ist nun sehr teuer. Der Preis wird wieder sinken, aber die EU muss den Schock zum Anlass nehmen, ihre Abhängigkeit zu verringern - etwa durch mehr Investitionen in erneuerbare Energien.“
Noch nicht teuer genug
Menschen und Haushalten mit niedrigem Einkommen muss geholfen werden, aber bitte nicht, indem fossile Energie künstlich wieder billiger gemacht wird, warnt tagesschau.de:
„Sondern dadurch, dass man diesen bedürftigen Haushalten direkt unter die Arme greift, damit sie ihre Energierechnungen bezahlen können. Alles andere wäre nämlich das völlig falsche Signal. Was CO2 ausstößt, darf nicht mehr billiger werden, im Gegenteil: Es muss sich weiter verteuern. Und wenn dadurch mehr Menschen dazu gezwungen werden, im Alltag beispielsweise nicht mehr so oft das Auto, sondern stattdessen öfter mal das Fahrrad zu benutzen, dann ist das nicht schlimm, sondern gut. Die hohen Preise für fossile Energieträger sind das richtige Signal zur richtigen Zeit.“
Demagogie hat noch nie geholfen
Dass die spanische Regierung im Alleingang die Preise senken will, hält El Mundo für aussichtslos:
„Die jüngste Verzweiflungstat richtet sich gegen die EU, deren Preisgestaltungsmethode [Premier] Pedro Sánchez und [Ministerin] Teresa Ribera für die steigenden Kosten der Spanier verantwortlich machen. Die meisten unserer EU-Partner sehen keine Notwendigkeit, das Gas- und Stromsystem zu reformieren, da dies den grünen Übergang gefährden könnte. Angesichts dieser Weigerung hat Sánchez sogar damit gedroht, den Binnenmarkt auszuhebeln und auf eigene Faust zu handeln, indem er um die Erlaubnis bat, den Strompreis selbst festzulegen und damit sein demagogisches Versprechen einzulösen. Eine Anmaßung mit geringen Erfolgsaussichten.“