Was konnten die drei EU-Premiers in Kyjiw bewirken?
Die Regierungschefs Polens, Tschechiens und Sloweniens waren am Dienstag in Kyjiw, um dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj bei einem Treffen Solidarität und Unterstützung zuzusagen. "Hier kämpft die Freiheit gegen die Welt der Tyrannei", äußerte der polnische Ministerpräsident Morawiecki. Für den Besuch gab es kein offizielles EU-Mandat, er soll jedoch mit Brüssel und den UN abgestimmt worden sein. Selenskyj sprach von einem starken Zeichen. Europas Presse sieht das unterschiedlich.
Putin Grenzen aufgezeigt
Zeit Online empfiehlt die Initiative der drei Osteuropäer zur Nachahmung:
„Warum sollte nicht eigentlich auch Olaf Scholz kommen? Oder, noch weiter gedacht: Warum sollten sich die Außenminister und Regierungschefs der westlichen Welt nicht in Kiew die Klinke in die Hand geben, um es für Putin noch riskanter zu machen, die Hauptstadt mit Flächenbombardements zu zermürben? Den vieren [mit Polens Vizepremier Kaczyński] ist jedenfalls ein erstaunlicher politischer Stunt gelungen. Ihr Besuch zeigt, wie eine konfrontative, öffentliche Politik gegenüber Putin auch unter den Bedingungen von Krieg und drohender atomarer Eskalation aussehen kann. Sie haben mit ihrer Anwesenheit nicht nur den Menschen in der Ukraine Mut gemacht, sondern auch Putin verdeutlicht, welche Grenzen seine Macht über das Land hat.“
Polen vorübergehend begnadigen
Sme würdigt vor allem den Einsatz Polens bei der Reise der drei Ministerpräsidenten nach Kyjiw:
„Wir wollen nicht pathetisch sein, aber inmitten des Schreckens der russischen Aggression hat sich Polen an die vorderste Verteidigungslinie für die westlichen Werte gestellt. ... Das sollte auch eine Mahnung an das Europäische Parlament sein, nicht ausgerechnet jetzt die EU-Kommission aufzufordern, Verfahren gegen das Land einzuleiten. ... Es mag Probleme mit der Rechtsstaatlichkeit haben. Aber Polen versorgt derzeit eineinhalb Millionen Flüchtlinge und ist zudem wichtigster Transferpunkt für Waffen in Richtung Ukraine. Das sollte Grund für eine zumindest vorübergehende Begnadigung sein.“
Orbán könnte seine polnischen Freunde verlieren
Der Krieg stellt das bisherige Bündnis zwischen der polnischen und ungarischen Regierung in Frage, beobachtet hvg:
„Dass Viktor Orbán bei dieser Reise nicht dabei war, dient als deutlicher Hinweis, auch wenn er aufgrund der Wahlkampagne und des Nationalfeiertages am 15. März sowieso nicht hätte verreisen können. Alle Zeichen deuten darauf hin, dass die Entscheidung über die zukünftigen polnisch-ungarischen Beziehungen dieses Mal nicht bei Viktor Orbán liegt. ... Falls die Russland-Frage weiterhin im Mittelpunkt der europäischen Politik steht und der Regierungschef Ungarns nicht von seiner zweigleisigen Politik abrückt, wird dieses Bündnis langfristig mit großer Wahrscheinlichkeit ins Wanken geraten.“
Der Ostflügel ergreift die Initiative
Echo24 freut sich über den Vorstoß:
„Der Krieg in der Ukraine ist für den östlichen Flügel der EU eine Chance, sich zu emanzipieren. Drei Ministerpräsidenten aus 'Ost'-Europa brachten eine Botschaft der Unterstützung nach Kyjiw. ... Sie zeigen, dass sich der Schwerpunkt der EU zumindest in diesen Tagen deutlich nach Osten verschoben hat. Das 'neue' Europa parasitiert nicht vom 'alten' Europa. In einer echten Krise kann man sich auf den Osten verlassen, der sogar initiativreich zu sein vermag.“
Offizielle EU-Visite wäre angemessen gewesen
Rzeczpospolita ist skeptischer:
„Man denkt an Georgien 2008: Die Welt war eine andere. Russland war genauso gefährlich wie heute, auch wenn das nur wenige erkannten. Damals machte sich der polnische Präsident Lech Kaczyński in Begleitung der Staats- und Regierungschefs der Ukraine, Litauens, Estlands und Lettlands während der russischen Invasion auf den Weg nach Tbilisi. ... Die Reise nach Kyjiw ist ein Akt der Solidarität mit den Ukrainern, die mit großer Hingabe gegen einen Eindringling kämpfen, der sie töten, entmündigen und ihres Landes berauben will. Es stellt sich die Frage, warum nur die Regierungschefs dieser drei EU-Mitgliedstaaten sich dazu entschlossen haben.“
Prominenterer Besuch hätte auch nichts gebracht
Dnevnik sieht einen Symbolakt, der den Konflikt nicht lösen wird:
„Sie waren die ersten europäischen Premiers, die nach Kriegsbeginn in der fast vollständig belagerten Hauptstadt erschienen sind. Auch in Ljubljana, Zagreb oder Sarajevo hätte man sich zu Beginn des Krieges (im ehemaligen Jugoslawien) über einen internationalen Besuch gefreut. Doch sicher hätte Selenskyj lieber jemanden mit größerem politischen Gewicht in Kyjiw gesehen, wie den französischen Präsidenten Macron oder den deutschen Bundeskanzler Scholz. Allerdings kann man in Kyjiw die beiden nicht erwarten, da solche Besuche nicht helfen würden, eine Lösung zur Beendigung des Konflikts zu finden. Dazu hat auch der Besuch des Trios nicht beigetragen.“
Eiertanz befördert außenpolitische Spaltung
Die Länder Ostmitteleuropas sind außenpolitisch enorm gewachsen, beobachtet die taz:
„Aber wer würde auch die Lage der Ukrainer besser verstehen als die, die sie aus historischer Erfahrung kennen? Die Tschechen zum Beispiel erkennen im Minderheitenkampf im Donbas die Sudetenkrise von 1938 wieder und russische Panzer sind überall in der Region noch in lebhafter und leidvoller Erinnerung. ... Viel lieber würde Mitteleuropa eine härtere Linie fahren, von Waffenlieferungen bis Flugverbotszone. Die wird inzwischen ja schon von den baltischen Staaten gefordert und findet in den Visegrad-Staaten immer mehr Unterstützung. Aber wenn die EU ihren Eiertanz zwischen Slava Ukraina und Putin-Appeasement so weitermacht, könnte sich bald eine Spaltung der EU-Außenpolitik abzeichnen.“
Beleg für Putins Niederlage
La Repubblica ist rundweg angetan:
„Der Zug nach Kyjiw, in dem ein Stück Europa die Ukraine im Krieg durchquert und sich in ein menschliches Schutzschild gegen Putins Bomben verwandelt hat, hat viele Botschaften. Die erste ist nicht symbolisch, sondern sachlich. Nach fast drei Wochen Invasion und Tausenden von Toten haben die russischen Streitkräfte ihr Hauptziel, Kyjiw zu besetzen, um ein Marionettenregime zu installieren, verfehlt. ... Präsident Selenskyj ist auf seinem Posten, empfängt europäische Kollegen und versucht sogar, Pressekonferenzen abzuhalten, wenn auch unter Bomben. ... Die große weiße Stadt am Dnjepr ist von Kanonen und Panzern eingekesselt. Dennoch gelang es Putin nicht, den aus Lwiw kommenden Zug abzufangen. Oder, und das wäre vielleicht noch gravierender für den Ruf des Kreml-Machthabers, er wagte es nicht.“