Taiwan: Wie gefährlich sind Chinas Manöver?
Mit aggressiven Militärübungen rund um Taiwan reagiert China auf den als Provokation empfundenen Besuch der Insel von Nancy Pelosi. Dabei drang das chinesische Militär nicht nur in die Zwölf-Meilen-Zone Taiwans ein, Raketen trafen auch von Japan beanspruchte Gewässer. Europas Presse ist sich uneins, wie gefährlich diese Entwicklung ist.
Peking wird Destabilisierung nicht riskieren
China wird es beim Muskelspiel belassen, glaubt Corriere della Sera:
„Aus Vernunft, Menschlichkeit und wirtschaftlichen Interessen dürfte Xi Jinping einen militärischen Angriff ausschließen. China ist Taiwans größter Handelspartner - der geschätzte Wert des Handels belief sich im Jahr 2021 auf 328 Milliarden US-Dollar, und ein Krieg würde nur Trümmer hinterlassen. Außerdem würde die Volksrepublik, wenn nicht eine direkte Intervention der USA, so doch zumindest eine ähnliche Behandlung riskieren wie Wladimir Putins Russland: Isolation und Sanktionen. An diesem Punkt würde die gesamte globalisierte Welt in eine riesige Grauzone der Destabilisierung eintreten.“
Konfliktspirale in Gang gesetzt
Kommersant sieht ernsthafte wirtschaftliche Erschütterungen heraufziehen:
„Voraussichtlich werden die Manöver um Taiwan immer häufiger, größer und ernster. ... Nach dem Pelosi-Besuch ist dies der einfachste Weg für Peking, Washington seine ganze Wut zu zeigen. Die USA werden natürlich mit noch mehr Hilfe für die Insel antworten, was die Konfliktspirale nur weiterdreht. Die Verschärfung des diplomatischen Konflikts führt zu einem Wettrennen gegenseitiger wirtschaftlicher Beschränkungen.“
Nun müssen sich die Taiwanesen positionieren
China- und Taiwan-Experte Xulio Ríos ist in El País gespannt, wie sich der Besuch auf die taiwanesischen Kommunalwahlen im November auswirken wird:
„Taiwan muss nun, nachdem die taiwanesischen Behörden den Besuch von Pelosi gefeiert haben, eine Art aufgezwungene Krise bewältigen. ... Es bleibt abzuwarten, wie sich die vorhersehbare Verschärfung der Lage bei den Kommunalwahlen im November politisch und in Bezug auf die Wahlergebnisse niederschlagen wird. Und wie die Regierung in Taipeh die verärgerte Reaktion Chinas für sich nutzen kann, indem sie die innenpolitische Polarisierung mit einem wachsenden Ausdruck internationaler Solidarität verbindet.“
Pelosis Zusage ist keine Garantie
Niemand weiß, was passieren wird, wenn China beschließt, militärische Mittel einzusetzen, schreibt Phileleftheros:
„Werden die USA im Falle eines Konflikts nur wirtschaftliche und militärische Hilfe leisten, wie sie es in der Ukraine getan haben, oder werden sie amerikanische Truppen in den Kampf gegen die Chinesen schicken? Für die USA ist Taiwan sowohl wirtschaftlich als auch strategisch eindeutig wichtiger als die Ukraine. Das ist jedoch keine Garantie dafür, dass Taipeh nicht die gleiche Behandlung erfährt wie Kyjiw. Pelosi hat Unterstützung für Taiwan zugesagt, aber sie ist nicht diejenige, die die Entscheidungen trifft. Wenn ihre mutige Haltung keine Nachahmung findet, könnte Taiwan Gefahr laufen, ein weiterer David zu werden, der gegen einen Goliath antritt.“
Wie ein echter Cowboy
Delfi sieht nur Gutes im Taiwan-Besuch Pelosis:
„Es ist wie bei so einem Hollywood-Western, der am Ende Hoffnung gibt, dass alles gut wird. ... So eine Handlung, bloß nicht auf der Leinwand, sondern in der realen Welt, wurde uns diese Woche vorgeführt. In der Hauptrolle dieses politischen Duells: die 82-jährige Dame aus Washington - die Veteranin der Politik Nancy Pelosi. Anders als viele Politiker jenseits des Atlantiks erinnert sie sich noch an den Kalten Krieg. Mit der Landung in Taipeh hat die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses die ganze Welt daran erinnert: Echte Cowboys wissen, was man mit den Banditen machen muss. Egal aus welcher Richtung sie anreiten.“
Xi Jinping hat Angst vor Ansteckung
Warum Taiwan für Peking ein wunder Punkt ist, hebt La Repubblica hervor:
„Wie im Fall der Ukraine, wo die wirkliche Angst von Wladimir Putin weder die militärische Bedrohung aus Kyjiw noch die Ausweitung der Nato war, sondern die Gefahr einer 'demokratischen Ansteckung', so stellt Taiwan für Xi Jinping das große Übel dar: die Möglichkeit eines freien, demokratischen Chinas mit Rechtstaatlichkeit. Die chinesische Muskelschau dieser Tage samt Panzerparade und Seeblockade, ist nur eine verschärfte Version der aggressiven chinesischen Politik gegenüber der demokratischen Insel Taiwan, die Xi Jinping in seiner möglichen dritten Amtszeit auf Biegen und Brechen mit dem Mutterland wiedervereinigen möchte.“
Ein Geschenk zur Krönung
Die Annexion Taiwans ist ein fest gesetztes Ziel der chinesischen Regierung, schreibt Público:
„Es ist bekannt, dass Xi die 'nationale Verjüngung' des Landes als moderne und geeinte Supermacht anstrebt und zu diesem Zweck eine Vereinigung mit Taiwan nicht ausschließt, die bis zum Jahr 2049 erfolgen soll. Es ist auch bekannt, dass er hofft, auf dem 20. Parteitag im Herbst für eine dritte Amtszeit als Vorsitzender der Kommunistischen Partei Chinas bestätigt zu werden. China ist geduldig und lässt sich durch nichts davon abbringen, die Insel einzunehmen. Was China mit Hongkong und Macau getan hat, will es mit Taiwan tun, und zwar so bald wie möglich, zur Krönung von Xi Jinping.“
China noch nicht für Duell bereit
Die Reise hat zumindest die aktuelle Machtbalance klargestellt, meint Politologe Petro Schewtschenko in lb.ua:
„Die USA haben demonstriert, dass sie keine Angst vor einem militärischen Zusammenstoß mit China haben. Pelosis Reise ermöglichte es den USA, eine Reihe geostrategischer, wirtschaftlicher und politischer Ziele zu erreichen. … Peking nahm die Pelosi–Reise sehr ernst, begann aber ganz pragmatisch keinen bewaffneten Konflikt, der die Weltwirtschaft, aber auch die chinesische Wirtschaft hätte zusammenbrechen lassen. ... Die Ereignisse haben gezeigt, dass China noch nicht bereit ist für den entscheidenden Marathon: eine wirtschaftliche und militärische Konfrontation mit den USA.“
Peking ist der größte Kapitalist
Die chinesische Regierung weiß ganz genau, dass Krieg und Welthandel nicht vereinbar sind, entwarnt 24 Chasa:
„Das kommunistische China existiert und lebt vom Welthandel, was zu pathologischem Rationalismus führt. Und Handel und Militäraktionen sind unvereinbar – das hat man auch in der Ukraine gesehen. Die Kommunistische Partei Chinas ist der größte Kapitalist der Welt. ... Abgesehen davon haben die anderen Länder in der Region einige der am besten bewaffneten Armeen der Welt. ... Es ist keineswegs klar, wer als Sieger hervorgehen würde, wenn es zu einem Zusammenstoß kommen sollte.“
Demokratien haben nur im Frieden den längeren Atem
Der Konflikt mit China erinnert Kristeligt Dagblad an den Kalten Krieg mit der Sowjetunion. Der Westen müsse auf eine friedliche Lösung bauen:
„Den Konflikt mit den Autokraten gewinnt der Westen auf Dauer, wenn er mit Überzeugung und friedlichen Mitteln ausgetragen werden kann – so wie die Sowjetunion relativ friedlich zusammenbrach, weil die Sowjetbürger und die wenigen Klugen der kommunistischen Parteiführer letztlich nicht weiter wollten oder konnten. Wenn es dagegen zu einem militärischen Konflikt kommt, ist nicht sicher, dass die freien Länder gewinnen werden. Das ist das große Dilemma unserer Zeit.“
Europa hängt sich verstärkt an USA an
Für das Streben der EU nach mehr eigenem internationalen Gewicht sieht die Wiener Zeitung einen Rückschlag:
„Indem sich nun der Wettstreit der Systeme auf die Zukunft des demokratischen Taiwans fixiert, bleibt der EU kaum eine Alternative, als sich hinter den taktgebenden USA zu versammeln. Viel spricht dafür, dass die USA und Europa ohnehin nur gemeinsam eine Chance haben, ihre Vorstellungen von einem gelingenden Zusammenleben hochzuhalten und gegen Angriffe, mögen sie seitens Russlands oder Chinas erfolgen, zu verteidigen. … Die Idee strategischer Souveränität bleibt also das erstrebenswerte Ziel, und sei es nur, um innerhalb des Westens über den Kurs mitbestimmen zu können.“
Glaubwürdigkeit bewahren
Es ist richtig, dass Pelosi das Säbelrasseln aus China ignoriert, meint The Times:
„Die USA möchten sich im Zentrum einer Allianz positionieren, die China im Zaum hält. Sie würden an Glaubwürdigkeit bei Verbündeten wie Japan verlieren, wenn sie jedes Mal einen Rückzieher machen würden, sobald Xi Biden warnt, dass er mit dem Feuer spiele. ... Wenn Biden dem Mobbing von Xi Bedeutung schenken würde, würde er auch innerhalb der Nato an Ansehen verlieren. ... Pelosi, vielleicht durch die Aussicht ermutigt, dass sie nach den Zwischenwahlen in den Ruhestand gehen kann, hat keine Angst vor der Aussicht auf einen Krieg zwischen den USA und China. Der gesunde Menschenverstand sagt ihr, dass dies nicht passieren wird, zumindest nicht im nächsten Jahrzehnt und ganz sicher nicht diesen August.“
Opfer bringen auch für Taiwan
Expressen zieht beim Besuch Pelosis die Parallele zum Krieg in der Ukraine und fordert vom Westen Durchhaltevermögen ein:
„Dass die Ukraine so heldenhaft gekämpft und Russland so viel gekostet hat – mit Hilfe von Waffen und Unterstützung aus dem Westen – ist eine bittere Lehre. Gleiches gilt für US- und EU-Sanktionen gegen Russland. Es sollte China klar sein, dass der Westen tatsächlich bereit ist, Opfer zu bringen, um kriegerische Imperialisten zu bestrafen. Aber es ist wichtig, dass wir durchhalten. Russland und China denken in langen Zyklen und hoffen, aus der (demokratischen) Wankelmütigkeit der USA und der EU Kapital schlagen zu können. Wir müssen China und Taiwan zeigen, dass wir ausharren können.“
Schutzmembran nicht zerreißen lassen
Warum die Insel für die USA und Japan so eine große Bedeutung hat, analysiert fakti.bg:
„Taiwan ist Teil der ersten Inselkette, die von Japan und seinem Archipel ausgeht und über Taiwan bis Malaysia reicht. Sie dient als Barriere für die chinesische Expansion im Pazifik. … Tokio ist ebenfalls sehr daran interessiert, die Unabhängigkeit Taiwans zu bewahren, denn nach Ansicht japanischer Strategen wird es für Japan noch schwieriger, seine Inseln zu schützen, wenn Taipeh von China erobert wird. Sowohl die Amerikaner als auch die Japaner befürchten, dass, wenn Taiwan fällt, diese China zurückhaltende Inselmembran irreparabel zerreißen würde.“
Gefährliches Spiel mit dem Feuer
Irish Independent nimmt Bezug auf die Warnung des UN-Generalsekretärs António Guterres, man sei „nur eine Fehlkalkulation von der atomaren Vernichtung entfernt“ und ärgert sich deshalb über Pelosis riskantes Verhalten:
„[Der Besuch] wird nichts dazu beitragen, die sich verschlechternden Beziehungen zwischen Washington und Peking zu verbessern. Das Kalkül mag sein, dass mit einem erfolgreichen Besuch ein Konflikt in der Meerenge von Taiwan vermieden werden kann. Doch sollte der Schuss nach hinten losgehen, könnte dies der Auslöser für einen solchen Konflikt sein. ... Angesichts der vielen See- und Luftmanöver im Südchinesischen Meer ist kein Raum für Fehltritte. Es befinden sich weltweit 13.000 Atomwaffen in den Arsenalen.“
Noch einen Krieg würde Deutschland nicht verkraften
Večernji list analysiert die Abhängigkeit der deutschen Ökonomie von China und Taiwan:
„Ohne den chinesischen Markt und seine Rohstoffe könnte die deutsche Wirtschaft nicht überleben, vor allem nicht in diesen Zeiten von Inflation und Energiekrise. Auch könnte Europa nicht ohne Taiwan, vor allem im IT-Sektor. Sollte es einen Konflikt um Taiwan geben, bedeutet dies eine weitere Krise für die deutsche Wirtschaft, wegen dem Mangel an Halbleitern, beziehungsweise Chips, ganz zu schweigen von der Bedeutung des riesigen chinesischen Marktes für die deutsche Exportwirtschaft. Die deutschen Politiker denken im Falle Taiwans ziemlich nüchtern.“