Nord-Stream-Lecks: Was steckt dahinter?
Die beiden von Russland durch die Ostsee nach Deutschland führenden Gaspipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 sind aufgerissen und vorerst unbrauchbar. Als Ursache wurden Explosionen unter Wasser ausgemacht. Es wird verstärkt von einem Sabotageakt ausgegangen. Kommentatoren fragen nach möglichen Verantwortlichen und Motiven.
Ein Warnschuss für Polen
Rzeczpospolita glaubt nicht an einen Zufall:
„Die Explosionen ereigneten sich in der Nähe von Bornholm, nicht weit von der Baltic Pipe, der zur gleichen Zeit eingeweihten Gaspipeline, die Polen und Ostmitteleuropa weitgehend unabhängig von Lieferungen aus dem Osten machen soll. Die Botschaft ist klar: Der Versuch, sich von russischen Lieferungen zu befreien, ist eine gefährliche Angelegenheit.“
Ein Schuss in den Ofen
Der Politologe Sergej Medwedew sieht auf Facebook die Lecks im Kontext eines gescheiterten Energiekriegs des Kremls gegen den Westen:
„Ein schleichender Verzicht auf russische Energieträger hätte (im Rahmen der Energiewende) Jahrzehnte gedauert, denn niemand hatte es damit eilig. Aber jetzt braucht es dafür nur ein Jahr, bis Europa zu neuen Energieerzeugungs- und Versorgungssystemen übergeht. Russland hingegen steht vor einem Trümmerhaufen, da es seine Exportausfälle nicht durch Lieferungen nach Asien kompensieren kann. Die Folgen sind Hysterie im Kreml angesichts des im Winter anstehenden Ölembargos und ein Sabotageakt an drei Nordstream-Leitungen in der Hoffnung, dass die europäischen Regierungen dann klein beigeben oder stürzen. Tun sie aber nicht.“
Die Ostsee ist nicht sicher
Etelä-Suomen Sanomat spekuliert über mögliche Verantwortliche für die Pipeline-Lecks:
„Russland gilt als der wahrscheinlichste Schuldige. Durch die Sprengung der Gaspipelines könnte Russland versuchen, die europäische Einheit zu erschüttern. … Auch eine Verwicklung des Westens in den Pipeline-Anschlag ist nicht völlig auszuschließen. US-Präsident Joe Biden sagte Anfang Februar, dass die USA die Pipeline Nord Stream 2 stoppen werden, falls Russland die Ukraine angreift. … Wer auch immer hinter dem Pipeline-Anschlag steckt und was auch immer das Motiv ist, der Anschlag zeigt, dass die Ostseeregion während des Krieges in der Ukraine nicht vor Gewalt sicher ist.“
Russische Sabotage wäre ein Kriegsgrund
Die Beschädigung von Nord Stream könnte ein Umdenken in der Nato erzwingen, meint der ehemalige ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin in einem von gordonua.com übernommenen Facebook-Post:
„Wer würde davon [von einer Sabotage] profitieren? Nur Russland, das verhindern will, dass Europa ohne Komplikationen durch den Winter kommt. Und natürlich die negativen Reaktionen auf das Theater mit den Scheinreferenden abmildern will. Sollte die Sabotage bewiesen werden, kann und sollte sie als ein Akt der Aggression gegen die Nato und die Mitgliedsstaaten des Bündnisses betrachtet werden. Mit allen Konsequenzen und der Anwendung von Artikel 5 des Nato-Vertrags über kollektive Sicherheit. Es ist durchaus möglich, dass wir vor einem geopolitischen Fleischwolf stehen, der die Welt verändern wird.“
Russland sucht die Eskalation
Für The Spectator steht eigentlich fest, wer für die Lecks an der Pipeline verantwortlich zu machen ist:
„Wer außer Russland hätte die Ressourcen und auch ein Motiv, um Kommandotruppen und Taucher in die Tiefe der Ostsee zu schicken, um Pipelines zu verwüsten? Nackte Tatsache ist, dass Putin beständig versucht, gegenüber dem Westen den Einsatz zu erhöhen. Je schneller seine Ukraine-Pläne den Bach runtergehen, desto mehr erhöht er den Druck auf Europa in der Hoffnung, das atlantische Bündnis zu sprengen. Aber wenn Moskau tatsächlich diesen kriegerischen Akt begangen hat, dann war das ein weiterer grober Fehler. “
Europas empfindlichster Nerv liegt blank
La Repubblica stellt die Frage nach dem Zweck der Sabotage und hält ein mögliches Motiv für besonders erschreckend:
„Der Kreml will zeigen, dass er zu allem bereit ist und keine Angst vor einer Eskalation hat. Er erhöht das Level der Konfrontation, indem er auf den blank liegenden Nerv des Westens abzielt, auf die empfindlichste Arterie, die sein Leben in jeder Hinsicht speist: die Unterwasser-Infrastruktur. Wir sind gänzlich abhängig von den auf dem Meeresgrund errichteten Vernetzungen. Nicht nur für die Energieversorgung, sondern vor allem für die digitalen Verbindungen, über die 97 Prozent der Kommunikation laufen, seien es Daten oder Telefongespräche.“
Kritische Infrastruktur schützen
De Morgen zeigt sich alarmiert:
„Die Anschläge zeigen einmal mehr, wie gefährdet Europa ist, was die sogenannte hybride Kriegsführung wie zum Beispiel durch Sabotage angeht. ... Die Frage, die wir uns nun stellen sollten, ist, wie gut wir auf solche Aktionen vorbereitet sind. Was ist, wenn morgen zum Beispiel ein oder mehrere Unterwasser-Internetkabel in die EU und [damit] Belgien gesprengt oder gekappt werden? Haben wir dann genug Alternativen, um die lebenswichtigen Kommunikationsleitungen zu garantieren? ... Und ist die weitere kritische Infrastruktur - von den Häfen bis zu den LNG-Terminals und Atomkraftwerken - ausreichend geschützt gegen mögliche Sabotage?“
Abhängigkeiten dringend überprüfen
Einmal mehr wird klar, wie bedeutend die politischen Entscheidungen sind, von welchen Staaten man sich wirtschaftlich abhängig macht, meint Dagens Nyheter:
„Es ist schwierig für eine Wirtschaft, völlig unabhängig von allen Schurkenstaaten zu sein. Die Hauptproduzenten des Öls sind einige der Terrorregime der Welt. Auf China entfällt fast der gesamte Bedarf der EU an Seltenen Erden, die in vielen neuen Technologien verwendet werden. Aber was uns das Nord Stream-Fiasko lehrt, ist, dass wir viel kritischer darauf schauen müssen, von welchen Regimen wir abhängig sind.“
Bereit sein, notfalls direkt in den Krieg einzutreten
Da Russland wohl die Eskalation sucht, muss der Westen auf neue Schritte vorbereitet sein, mahnt Berlingske:
„Es ist entscheidend, Putin klar zu machen, dass ihm auch militärische Reaktionen völlig neuen Kalibers entgegenschlagen, wenn er eine Atombombe abwirft. Dies gilt nicht nur für Lieferungen von noch mehr Waffen mit größerer Reichweite. Das gilt letztlich auch für die Bereitschaft der Nato, direkt in den Krieg zur Befreiung der Ukraine einzutreten. Macht ist die einzige Sprache, die Putin versteht.“