China: Wozu wird Xi seine Macht benutzen?
Nach dem Parteitag der KP Chinas in Peking ist klar: Xi Jinping wird das Land in einer dritten Amtszeit regieren. Die neue Führungsmannschaft besteht zudem ausschließlich aus Xi-Getreuen. Der ehemalige Staatschef Hu Jintao wurde zu Beginn der Abschlussveranstaltung aus dem Saal geführt - wohl gegen seinen Willen. Auf welche Ära sich nun In- und Ausland einstellen müssen, analysiert Europas Presse.
Alle Macht beim Kaiser
Mit der Alleinherrschaft Xis bricht eine neue gefährliche Ära an, befürchtet Fokus:
„Nachdem Hu Jintao, der ehemalige chinesische Staatschef (2004-2012), öffentlich aus dem Saal geführt worden war, ist eine Ära zu Ende, in der China von Clans regiert wurde, die in ernsthafter Opposition zueinander standen. Jetzt liegt die gesamte Macht in den Händen des aktuellen Kaisers Xi und seiner Freunde. All diejenigen, die selbst während der Herrschaft von Xi Einfluss hatten, sind entmachtet. ... Ein neues China ist am Horizont aufgetaucht. Und dieses China bringt der Welt nichts Gutes.“
Unter der Oberfläche gibt es eine kritische Masse
So unangefochten, wie Xi im Moment dasteht, muss er nicht bleiben, analysiert der Sinologe Jean-Philippe Béja in Libération:
„Obwohl die offiziellen Medien den Regierungschef in den Himmel loben, herrscht viel Unzufriedenheit. Ganz zu schweigen davon, dass in den höheren Rängen der Partei viele Politiker die Wiedereinführung einer kollektiven Führung begrüßen würden. … Weder innerhalb noch außerhalb der Partei ist heute jemand in der Lage, eine politische Kraft aufzubauen, die den neuen Steuermann bedrohen könnte - auch wenn nicht auszuschließen ist, dass mögliche Rivalen während einer dritten Amtszeit versuchen könnten, die Frustrationen in der Gesellschaft aufzugreifen, um ihn herauszufordern.“
Zentrale Herausforderung für die Zukunft
Die Beziehungen zu China werden künftig noch schwieriger, prognostiziert die Aargauer Zeitung:
„Ein Kompromiss zwischen dem Westen und China wird sich auch in den kommenden Jahren austarieren lassen - ja sogar müssen. Denn wirtschaftlich, aber auch klimapolitisch ist das Reich der Mitte zu wichtig, als dass es vollständig abgeschrieben werden kann. Der Drahtseilakt wird allerdings immer delikater: Zwischen Naivität und Dämonisierung einen fairen Balanceakt im Umgang mit China zu finden, dürfte eine der zentralen aussenpolitischen Herausforderungen der nächsten Jahre werden.“
Mit Xi durch Wellen und Stürme
Das Schlüsselwort von Xis Rede war Sicherheit, stellt La Repubblica fest:
„Xi Jinping wiederholt es ganze 83 Mal. Als Rechtfertigung nicht nur in der Außenpolitik, sondern auch in der Wirtschaft und im Gesundheitswesen. Er warnt, China müsse sich auf 'starken Wind, hohe Wellen und gefährliche Stürme' einstellen (ohne den Krieg in der Ukraine oder die Partnerschaft mit Putin zu erwähnen). Und dass es diesen 'kritischen Moment' nur überstehen kann, wenn es seinem Steuermann und der Partei, die er immer fester in den Händen hält, treu bleibt. ... Der Westen ist gewarnt. Auch zu Taiwan bekräftigte Xi seine Linie. Er nannte allerdings weder einen Fahr- noch einen Zeitplan. Das deutet im Vergleich zu den eher kriegerischen Äußerungen der Vergangenheit auf eine gewisse Zurückhaltung hin.“
Politik der Öffnung gefährdet
Für Rzeczpospolita steht China vor einer Grundsatzentscheidung:
„Wird sich das Reich der Mitte im Rahmen dieses 'neuen Kalten Krieges' und einer innenpolitischen 'neuen Ära' wieder nach außen verschließen, wie es manche in China vorschlagen? Oder wird es versuchen, seine Politik der Öffnung fortzusetzen? Letzteres wäre nicht einfach, denn eines der übergeordneten Ziele, die Xi Jinping für sich, die Partei und den Staat festgelegt hat, ist die Vereinigung der chinesischen Erde. Wladimir Putin ist seine Vereinigung der russischen Erde nicht ganz gelungen. Wie ergeht es den Chinesen mit ihrem analogen Ziel? Dies ist die größte äußere und innere Herausforderung, der sich Xi Jinping stellen muss.“
Nichts Gutes für die Bürger
Le Temps warnt vor den Folgen der Abschottungspolitik:
„Seit zwei Jahren hat Xi Jinping 1,4 Milliarden Chinesen im Namen des Kampfes gegen ein Virus zu Hause eingeschlossen. Dieser Hausarrest hat desaströse wirtschaftliche und soziale Folgen. Vor allem passt er zu einer Regierung, die nach einer Phase der Öffnung erneut auf Abschottung setzt. Die erneute große geistige Abriegelung, welche die Diktatur aufzwingt, verheißt nichts Gutes für die Chinesen. Denn hat die Geschichte nicht gezeigt, dass China Fortschritte macht, wenn es seine Mauern abbaut, und untergeht, wenn es das Ausland zurückweist?“
Von der Realität entfremdet
Die angebliche Bedrohung Chinas von außen, von der Xi sprach, geht an der Sache vorbei, schreibt die Süddeutsche Zeitung:
„Es ist die Partei selbst, die sich durch Verengung und Kontrolle das eigene Land zum Gegner macht. Schon jetzt wächst der Unmut über die Irrationalität der Null-Covid-Politik, schon jetzt raubt die Gängelei der Privatwirtschaft China die Innovation. Xi Jinping hat also keine große Rede gehalten - nur eine, die seine Entschlossenheit und seine Entfremdung von der Realität belegt. Der Generalsekretär führt sein Land in ein gewaltiges Gesellschaftsexperiment - und den Rest der Welt gleich mit.“
Auch an Washington gerichtet
Xi bereitet sein Land auch auf eine Konfrontation mit den USA vor, analysiert Večernji list:
„Die Welt wird sich mit einem noch autoritäreren und aggressiveren China auseinandersetzen müssen. Angesichts der Bereitschaft, die Taiwan-Frage auch militärisch lösen zu wollen, wie Xi gestern ankündigte, bereitet sich sein China offensichtlich auch auf einen Konflikt mit den USA vor, wobei es nicht nur um Taiwan gehen wird, sondern die Kontrolle über das gesamte Asien-Pazifik-Gebiet. Vom Ausgang dieses Konfliktes hängt die zukünftige Weltordnung ab. Auch Washington nutzt jede Möglichkeit, den Aufstieg Chinas zu bremsen - bisher lediglich politisch, diplomatisch, wirtschaftlich und technologisch, morgen jedoch vielleicht auch militärisch.“