Trotz Kampfpause: Lage im Sudan bleibt angespannt
Nach Angaben der USA haben die Konfliktparteien im Sudan eine neue Waffenruhe vereinbart. Die Armee von De-Facto-Präsident Abdel Fattah al-Burhan und die paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) seines Stellvertreters Mohammed Hamdan Daglo, genannt Hemeti, haben sich auf eine dreitägige landesweite Kampfpause verständigt. Die europäische Presse ist entrüstet über die Situation.
Die Menschen brauchen Schutz
Die taz beklagt, dass es anders als für Menschen aus der Ukraine für Sudanesen keine sicheren Fluchtrouten gibt:
„Dabei werden sie beide mit denselben russischen Waffen umgebracht. Die Anerkennungsquote für asylsuchende Sudanesen liegt laut UNHCR in Deutschland und Frankreich bei mageren 40 Prozent – in Großbritannien, das wichtigste Aufnahmeland in Europa, sind es 95 Prozent, es geht also auch anders. Türen auf für bedrohte Menschen aus Sudan und endlich ein gesicherter Status für die vielen, die schon da sind – das wäre jetzt der richtige Schritt. Wenn man schon nichts für Frieden in Sudan tun kann – für Menschen kann man immer etwas tun.“
London lässt die eigenen Bürger im Stich
Dass die britischen Streitkräfte zwar Diplomaten aus dem Sudan in Sicherheit gebracht haben, aber nicht die dort lebenden rund 4.000 britischen Bürger, empört The Times:
„Warum konnte Großbritannien nicht zumindest einige Zivilisten gemeinsam mit seinen Diplomaten evakuieren? Warum sind keine Truppen geblieben, um die Zurückgebliebenen zu schützen und sichere Sammelplätze zu organisieren? Warum gibt es keine aktuelle Liste der britischen Staatsbürger im Sudan? ... Ranghohe Bürokraten des Außenministeriums argumentieren, dass sie verpflichtet seien, britische Diplomaten zu schützen und zu versorgen. Das beinhalte, diese aus der Gefahrenzone zu bringen. Doch es gibt eine umfassendere Verantwortung gegenüber allen britischen Bürgern im Ausland, die eindeutig vernachlässigt worden ist.“
Garanten für eine Eskalation
Beide Seiten wollen Kapital aus dem Konflikt schlagen, meint der Politologe Raul M. Braga Pires in TSF:
„Bereits zwei dreistündige Waffenstillstände, bei denen es lediglich darum ging, 'die Straßen zu fegen', wurden von den Paramilitärs der Rapid Support Forces nicht vollständig eingehalten, und der Konflikt hat sich auf gefährliche Weise (nach der bekannten Logik des Bürgerkriegs) auf Wohngebiete ausgeweitet, die weder militärisch noch strategisch von Interesse sind. ... Die Egos von General Burhan und dem 'Halbgeneral' Hemeti sind auch Garanten für eine Eskalation und die Ausnutzung der internationalen Hilfe, um regional und international aus dem Konflikt Kapital zu schlagen, der sich vor dem Hintergrund' einer 'dreifachen Bipolarität' (der Westen gegen Russland und China) ergibt.“
Es droht ein Stellvertreterkrieg
France Inter befürchtet eine baldige Einmischung von außen:
„Jeder General hat Rückhalt und internationale Netzwerke, sodass die große Gefahr besteht, dass dieser Krieg zu einem weiteren Stellvertreterkrieg wird. ... Ägypten auf der einen Seite, die Vereinigten Arabischen Emirate oder der libysche General Haftar auf der anderen Seite, und dann noch die russischen Wagner-Söldner, die nie weit weg sind, wenn irgendwo auf dem afrikanischen Kontinent ein strategisches Vakuum entsteht. In der aktuellen zerrissenen Welt, in der die Uno nicht in der Lage ist, ihre Aufgaben zu erfüllen, haben Unruhestifter freie Hand.“
Was der Kreml damit zu tun hat
Die russische Söldnertruppe Wagner baut ihren Einfluss in afrikanischen Staaten aus, das zeigen Details aus US-Geheimdienstdokumenten, aus denen die Washington Post zitiert. Wagner war vor Ausbruch der Kämpfe auch im Sudan aktiv. La Repubblica sieht Moskau als notorischen Krisentreiber in der Region:
„Früher haben sie 'Machtvakuen ausgenutzt' und sich dort eingeschlichen, wo es Bürgerkriege oder dschihadistische Terroristen gab. Jetzt aber sind sie es selbst, die 'Instabilität provozieren, Putsche und Revolutionen organisieren'. Das Ziel ist nach wie vor dasselbe: sich der Rohstoffe zu bemächtigen und eine Front von Ländern aufzubauen, die dem Westen feindlich gegenüberstehen, eine echte 'Föderation', die eng mit dem Kreml verbunden ist. “
Nun müssen Diplomaten auf den Kriegspfad
EU, Afrikanische Union und arabische Länder müssen gemeinsam die Initiative für einen Waffenstillstand ergreifen und Druck ausüben, fordert De Morgen:
„Wir müssen den Warlords deutlich machen, dass ihre Kriegshandlungen sehr genau vom Internationalen Strafgerichtshof verfolgt und ihre ausländischen Guthaben blockiert werden. Diese Botschaft macht am meisten Eindruck, wenn Unterhändler dabei beiden Seiten direkt in die Augen schauen. Diplomaten ohne Kriegserfahrung wurden zu Recht evakuiert, aber jetzt ist es vielleicht Zeit, um erfahrene Vermittler in Maßanzügen mit kugelsicheren Westen und bewaffneten Eskorten nach Afrika zu schicken. Ein Diplomat muss manchmal auch auf den Kriegspfad. ... Wenn wir das nicht wagen, dann kommen sie bald aus Moskau oder Peking.“
Der Konflikt könnte sich schnell ausbreiten
Le Monde warnt vor einem Domino-Effekt in der Region:
„Die Destabilisierung und die drohende Teilung des drittgrößten afrikanischen Landes lassen befürchten, dass es in der Region zu einer Ausbreitung des Konflikts und der Präsenz von Waffen und Milizen kommen könnte. Der Sudan ist strategisch günstig am Roten Meer gelegen, ein wichtiger Handelsknotenpunkt und er grenzt an sieben andere Länder. In mehreren von ihnen (Libyen, die Zentralafrikanische Republik, der Südsudan) ist die Situation bereits angespannt. Und Tschad, der Dreh- und Angelpunkt des französischen Einflusses in der Region, hat schon oft erlebt, dass seine Staatsspitze durch aus dem Sudan kommende Rebellen bedroht wurde.“
Der Westen hat die Falschen hofiert
Afrika-Korrespondent Johannes Dieterich macht in der Frankfurter Rundschau den Schmusekurs der westlichen Diplomatie verantwortlich:
„Sie hätte die sudanesische Soldateska mit allen nur erdenklichen Sanktionen belegen und politisch links liegen gelassen können: Passiert ist das genaue Gegenteil. Die Offiziere wurden inständig um eine Wiederaufnahme der Gespräche gebeten, Sanktionen wurden keine erlassen, die [oppositionellen] Straßenkomitees, deren Mitglieder ihr Leben wieder mit wöchentlichen Protesten riskierten, fühlten sich verraten. Derzeit wird im Westen wieder die Forderung nach Sanktionen laut – als ob das jetzt noch etwas nützen würde.“
Es geht um Gier und Bodenschätze
Immer wieder entspinnt sich im Sudan das gleiche Drama, stellt De Standaard bitter fest:
„Boden, Öl und Gold: Die Kontrolle über die Bodenschätze ist der blutrote Faden durch Jahrzehnte von Bürgerkrieg und Gewalt im Sudan. Die 50 Jahre Kämpfe zwischen dem katholischen Süden und dem islamistischen Norden entstanden unter anderem aus Landkonflikten zwischen nomadischen Viehaltern und Landbauern. Die Entdeckung von großen Ölfeldern im nördlichen Südsudan Ende der 70er Jahre war Öl ins Feuer. ... Al-Burhan und Daglo sind neue Spieler im immer gleichen Drama mit den gleichen Opfern, Warlords, die sich Reichtümer aneignen, die der gesamten Bevölkerung zugutekommen müssten.“
Bürgerkrieg ohne Bürger
Der Tages-Anzeiger blickt fassungslos auf die Eskalation:
„Dass eine Fraktion der Streitkräfte gegen eine andere rebelliert, das hat es schon in vielen Ländern gegeben. Dass aber wie im Sudan zwei Armeen aufeinander losgehen, ist fast ohne Präzedenz, es fehlen sogar die Begrifflichkeiten, es ist ein Bürgerkrieg ohne Bürger, ein Putsch im Putsch. … Beide dachten, sie könnten geschwächt werden. Ihnen geht es nur um sich, die Menschen sind ihnen egal. … Die Brutalität, mit der sie in den Kampf ziehen, sieht derzeit nach einem 'Alles oder nichts' aus. Am Ende könnte einer der beiden als Gewinner dastehen, der dann noch viel weniger Interesse daran hat, seine Macht zu teilen. Verloren hat in jedem Fall das Land.“
Es droht ein neues Libyen
Naftemporiki schreibt:
„Wie auch im Fall Libyens versuchen größere und kleinere Kräfte die Instabilität auszunutzen, um ihre regionalen Interessen zu fördern. ... Al-Burhan wird von Ägypten unterstützt, das einen großen Teil des militärisch-industriellen Komplexes im Sudan kontrolliert, Daglo von den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien. Daglo kontrolliert den Goldexport und hat enge Beziehungen zu Russland, wobei die russische Söldnerorganisation Wagner auch im Sudan und in der benachbarten Zentralafrikanischen Republik aktiv ist. Für Europa droht ein 'neues Libyen' und die strategische Lage des Sudan am Roten Meer und am Eingang zum Suezkanal ist Anlass zur Sorge, dass es zu Problemen bei der Ölversorgung und zu einer neuen Flüchtlingswelle kommen könnte.“
Westen darf nicht wegsehen
Dagens Nyheter sieht wenig Hoffnung auf eine Einigung der Parteien:
„Die beiden haben weder den Willen noch die Fähigkeit, sich mit der sudanesischen Wirtschaft auseinanderzusetzen: Das Wachstum ist eingebrochen, die Inflation liegt im dreistelligen Bereich, ein Drittel der Bevölkerung hat zu wenig Nahrung. Stattdessen kämpfen al-Burhan und Hamdan um Einfluss bei einem geplanten Zusammenschluss der Sicherheitskräfte. Es war dieser Kampf, der am Wochenende explodierte. ... Der Westen hat seine Augen auf die Ukraine und China gerichtet, aber das Horn von Afrika zu ignorieren darf keine Option sein. Aus strategischen wie auch moralischen Gründen.“
Auseinandersetzung ehemaliger Komplizen
Eine Abrechnung zwischen Kriminellen in Uniform sieht La Stampa
„zwischen schmutzigen Kleptokraten, die sich mit usurpierten Orden schmücken. General Abdel Fattah al-Burhan, Chef der Militärjunta, die den zerbrechlichen Versuch einer demokratischen Hoffnung im Jahr 2021 mit Maschinengewehren vernichtet hat, und [seinem Stellvertreter] Mohamed Hamdan Dagalo, bekannt als 'Hemeti', Chef der Todesschwadronen, die den Völkermord in Darfur verübten. ... Zwei Ex-Komplizen, die sich um die Beute streiten: den Sudan. ... Nach dem Putsch wurden die paramilitärischen Milizen als Rapid Support Forces, kurz RSF, in die Armee eingegliedert. Sie wurden auch mit der lukrativen Kontrolle der Grenzen und der Migranten betraut, mit finanzieller Unterstützung durch die Europäische Union.“
Zivilbevölkerung braucht eine Chance
Einen Sieg sollte man keiner Seite wünschen, kommentiert die Frankfurter Rundschau:
„Am besten wäre es, wenn sie sich so schwächen, dass endlich die Zivilbevölkerung eine Chance bekommt. Sie hält seit Jahren unverdrossen an ihren Forderungen fest: Gäbe es einen Nobelpreis für zivilen Widerstand, dann hätten ihn die Sudanesinnen und Sudanesen verdient. Leider ist die Geschichte selten gerecht. Wenn sich zwei Elefanten streiten, sagt ein afrikanisches Sprichwort, leidet das Gras darunter. Wenn sich zwei Teufel streiten, kommt es noch schlimmer.“
Russland destabilisiert Afrika
Russlands Präsident Putin trägt Mitschuld an der neuen Welle der Gewalt im Sudan, glaubt The Daily Telegraph:
.„Seine gescheiterte Invasion in der Ukraine hat die Wagner-Gruppe gestärkt, die nun diese Schlagkraft nutzt, um afrikanische Nationen auszuplündern und für Ärger zu sorgen. ... Der Sudan könnte der erste Staat sein, der unter russischem Einfluss zusammenbricht. Auch in der Zentralafrikanischen Republik, Mosambik, Libyen und Mali haben russische Söldner daran gearbeitet, bestehende Konflikte anzuheizen, despotische Regime zu stärken, demokratische Bemühungen zu unterdrücken, natürliche Ressourcen auszuplündern und Moskau strategische Vorteile zu verschaffen“