Wahl in Spanien: Weiterer Rechtsruck in Europa?
Nach den spanischen Parlamentswahlen am Sonntag könnte es Umfragen zufolge zu einem Regierungswechsel kommen. Sollte die konservative Partido Popular (PP) des Oppositionsführers Alberto Núñez Feijóo stärkste Kraft werden, könnte sie mit Unterstützung der rechtspopulistischen Vox den sozialistischen Premier Pedro Sánchez und seine Linkskoalition ablösen. Kommentatoren spekulieren über die Auswirkungen dieses möglichen Rechtsrucks.
Es geht nicht um Sozial- und Wirtschaftspolitik
Vox ist es gelungen, die Wahlen zum Referendum über das Nationalgefühl der Spanier zu machen, befürchtet El País:
„Am 23. Juli wählen wir nicht den obersten öffentlichen Verwalter, sondern den Hohepriester des Vaterlandes. ... Um die Wahlen zu gewinnen, muss man sich als Anhänger der Nationalreligion präsentieren. ... Das genau ist das Problem der Progressiven: In einem Land, das mehrheitlich Mitte-Links wählt und die Sozial- und Wirtschaftspolitik der Regierung gut findet, besteht eine reelle Gefahr, dass diese verliert. Viele Wähler denken, die Regierung habe den 'gemeinsamen Glauben' nicht gegen die Forderungen der Separatisten verteidigt. Ein Irrtum? Vielleicht, aber die Regierung tut nichts, um diesen zu widerlegen.“
Drei unheilvolle Szenarien
Ein Einfluss der Rechtsextremen auf die Regierungspolitik hätte negative Folgen für die EU, sorgt sich Polityka:
„Drei Varianten sind möglich. Die erste, die italienische, besteht darin, dass die Radikalen in eine formale Koalition eintreten. Die zweite, siehe Griechenland, könnte Vox an den Rand drängen, allerdings um den Preis, dass sich die Regierungspartei weit nach rechts bewegt. Bei der dritten, der schwedischen Variante, würde sich Vox mit der PP ohne formale Koalitionsvereinbarung einigen, es entstünde also eine Minderheitsregierung mit Zugeständnissen an die extreme Rechte im Gegenzug für Unterstützung bei wichtigen Abstimmungen. Jedes dieser Szenarien würde die EU und das pro-ukrainische Bündnis in große Schwierigkeiten bringen - zumal Spanien den EU-Ratsvorsitz innehat.“
Nicht vor bösem Wind gefeit
Libération sieht Schlimmes herannahen:
„Spanien entkommt leider nicht dem unheildrohenden Wind, der über zahlreichen Demokratien in Europa und anderswo weht. Der Wind, der Trump und Bolsonaro in den USA und Brasilien an die Macht gebracht hat und dessen Böen man auch in Frankreich immer stärker spürt. Der Wind des Populismus eines Bündnisses aus Rechten und Rechtsextremen, dessen Waffen nunmehr bekannt sind: ausdrückliche Distanz zu Fakten, Verbreitung von Gerüchten beispielsweise zum ordnungsgemäßen Ablauf der Briefwahl, Manipulationen aller Art und Anstachelung des Nationalgefühls in einem Land, das noch nicht vollständig mit seiner frankistischen Vergangenheit abgeschlossen hat.“
Das könnte ganz Europa erschüttern
Es ist eine Wahl, die nicht nur für Spanien existenziell ist, mahnt Irish Examiner:
„Dieses Wochenende müssen die spanischen Wählerinnen und Wähler eine wichtige Entscheidung treffen und je nachdem, wie sie abstimmen, könnte zum ersten Mal seit Franco eine rechtsextreme Regierung an die Macht kommen. Das würde, wie schon bei anderen Wahlergebnissen auf dem europäischen Kontinent, die europäische Politik beeinflussen. Es könnte sich sogar bis nach Irland auswirken, wo sich ebenfalls ein Aufstieg rechtsextremer Politik abzeichnet. Es ist etwas, wogegen wir uns in der Vergangenheit standhaft gewehrt haben. Etwas, was wir hoffentlich auch in der Zukunft tun werden.“
Eher Rivalen als Verbündete
Corriere della Sera ist sich nicht sicher, wie wahrscheinlich eine Koalition aus Vox und Konservativen ist:
„Obwohl sie auf lokaler Ebene begonnen haben, gemeinsam zu regieren, scheinen PP und Vox nun eher Rivalen als Verbündete zu sein. [Vox-Vorsitzender] Abascal hat mit der Attitüde eines Stierkämpfers angekündigt, dass es nach den Wahlen zu einer harten Konfrontation kommen werde. ... Vox hat 'die ausgestreckte Hand' der PP gegenüber der PSOE nicht gefallen. Diese sah vor, es mit Hilfe eines Neutralitätspakts der Liste mit den meisten Stimmen zu erlauben zu regieren, 'ohne sich mit dem Extremismus verbünden zu müssen'. Es könnte also auch zu einer lähmenden Pattsituation ohne Regierungsbildung kommen.“