Militärputsch in Niger: Wie geht es nun weiter?
Am heutigen Donnerstag will die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas über ihr weiteres Vorgehen gegenüber Niger beraten. Die Putschisten weigern sich, den demokratisch gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum und die verfassungsgemäßen Institutionen wieder einzusetzen. Ecowas hatte ein Ultimatum gestellt und mit Eingreifen gedroht. Die Militärjunta reagierte aber nicht darauf. Europas Presse fragt sich, was der Westen tun kann.
Verkannter Partner nicht nur bei Rohstoffen
Avvenire ist besorgt:
„Viele [europäische Länder] haben nach dem Militärputsch entdeckt, dass Niger nicht nur ein strategischer Lieferant von etwa einem Drittel des Urans für französische Atomkraftwerke ist, sondern auch ein wichtiger Partner bei der Kontrolle des Transits von Migranten und Flüchtlingen in Westafrika. Seit September 2016 unterbindet das Land die Durchreise von Menschen unterschiedlicher Herkunft, die das Land durchqueren wollen, um nach Nordafrika zu gelangen. … Menschenströme, die zum Teil von der Absicht angetrieben werden, die Reise nach Europa fortzusetzen. Der verarmte Niger beherbergt auch rund 200.000 Flüchtlinge, die vor der Gewalt der Dschihadisten in Mali und Burkina Faso fliehen.“
Mehr als Entwicklungshilfe bieten
Der Westen muss für afrikanische Staaten wie Niger ein attraktiverer Partner werden, meint Adevărul:
„Das große Problem ist und bleibt die Politik des Westens - der USA, Frankreichs und Europas - gegenüber Afrika. Obwohl sie den Großteil an humanitärer Hilfe und an Entwicklungshilfe stellen, ist diese Art Politik für diese Länder eher unattraktiv und entspricht nicht den unmittelbaren Bedürfnissen und Erwartungen. Sicher spielt aktuell auch die sogenannte Rache der Kolonien eine wichtige Rolle, in diesem Fall an Frankreich. ... Doch die Probleme, die durch die Interventionen der Russen und Chinesen entstanden sind, müssen gelöst werden. ... Die Herangehensweise des Westens muss geändert und an die neuen Realitäten angepasst werden.“
Zweischneidige Maßnahmen
Sowohl die Sanktionen, als auch ein militärisches Eingreifen würden letztlich den Dschihadisten zugutekommen, gibt hvg zu bedenken:
„Die Frage ist, ob Paris und Washington sowie ihre Verbündeten in Afrika tatsächlich entschlossen sind, für Niger zu den Waffen zu greifen. Ein andauernder Krieg würde nur ein noch größeres Chaos verursachen. Die Sanktionen und Hilfskürzungen des Westens und Afrikas gegenüber Niger untergraben bereits die hart errungene relative Stabilität des Landes. Und all dies spielt vor allem den Dschihadisten in die Hände.“
Soldaten haben in der Politik nichts verloren
Ecowas muss der Militärjunta ein Ende setzen, fordert Der Standard:
„Soldaten gehören in Kasernen. Vielleicht noch auf einen Truppenübungsplatz. Aber in der Politik haben sie nichts zu suchen. ... Sollen die Ecowas-Präsidenten jetzt klein beigeben? Dann können sie ihren Staatenbund vergessen. Das soll kein Freibrief für säbelrasselnde Einsätze sein. Doch mit den Abenteuern westafrikanischer Offiziere muss endlich Schluss gemacht werden.“
Militärische Konfrontation vermeiden
Das Ultimatum von Ecowas hat die Situation um Niger noch explosiver gemacht, warnt De Volkskrant, hofft aber auf eine diplomatische Lösung:
„In erster Linie für die Bevölkerung im armen Niger. Aber auch wegen der zentralen Rolle dieses Landes als letztem Verbündeten des Westens in der Region im Kampf gegen den islamistischen Terror sowie beim Aufhalten von Migranten Richtung Europa. ... Hoffentlich nimmt Ecowas sich zusätzliche Zeit, um nach diplomatischen Lösungen zu suchen und mit passenden Sanktionen den Druck auf Niger zu erhöhen. Westliche Länder - allen voran Frankreich, das große wirtschaftliche Interessen in Niger hat -, tun gut daran, innezuhalten, um die antiwestlichen Gefühle in der Bevölkerung Nigers nicht weiter zu schüren.“
Nigeria muss um seine Stellung fürchten
Für Nigers Nachbarn Nigeria steht viel auf dem Spiel, erläutert Göktürk Tüysüzoğlu, Experte für Internationale Beziehungen, in Cumhuriyet:
„Mit dem Ziel, hohe Einnahmen aus seinen Öl- und Gasreserven zu erzielen, strebt Nigeria danach, mittelfristig zu einem der wichtigsten Akteure auf dem EU-Energiemarkt zu werden. Es gilt als das wichtigste Land im Afrika südlich der Sahara, aber nun scheint eine Welle des Wandels eingesetzt zu haben, die das Potenzial hat, diese Rolle, seine Beziehungen zu westlichen Akteuren und sogar seine eigene politische Struktur langfristig negativ zu beeinflussen. ... Die Tatsache, dass Nigerias Forderung nach einer Intervention in Niger nicht nur von Tschad und Algerien, sondern auch von Oppositionellen in Ghana abgelehnt wurde, zeigt die Richtung, in die sich der Prozess wahrscheinlich entwickeln wird.“
Moskau würde sich nicht mit den USA anlegen
Der Politologe Raul M. Braga Pires bezweifelt in TSF Russlands Einfluss auf den Putsch:
„Der jüngste Staatsstreich des 'Heißen Sommers' in Niger folgt den gleichen chaotischen sozialen Voraussetzungen wie in der restlichen Sahelzone. Die Probleme eines Maliers gleichen denen eines Nigrers, aber es ist ein Staatsstreich ohne russischen Einfluss. Denn die Russen hatten wegen der beiden US-Drohnenbasen in Niger eine rote Linie gezogen. Niger ist der wichtigste amerikanische Verbündete in der Sahelzone, das wissen die Russen. Und die Amerikaner wollen diesen 'Drohnenträger' im Herzen einer Region nicht verlieren, in der es von militanten Dschihadisten und deren Sympathisanten nur so wimmelt und deren Bewegungen vorrangig überwacht werden.“
Jetzt kommt es auf Nigeria an
La Repubblica erläutert:
„Die Militärintervention benötigt die grundlegende Unterstützung Nigerias, des Riesen in der Region mit 214 Millionen Einwohnern und einer großen Armee (und einer 1500-Kilometer-Grenze mit Niger). Präsident Bola Tinubu ist fest entschlossen, die Putschisten zu stoppen. Doch am Samstag hat der nigerianische Senat ein militärisches Eingreifen abgelehnt. ... Der Präsident kann sich über das Votum hinwegsetzen, und das hat er auch vor. Die Verfassung sieht vor, dass die Armee ohne Zustimmung des Senats im Ausland kämpfen kann, wenn eine 'unmittelbare Gefahr' besteht, was Tinubu in dem Staatsstreich in Niger sieht, der als 'ein Staatsstreich zu viel' angesehen wird, nachdem drei andere Länder in der Sahelzone (Mali, Burkina Faso und Guinea) in den letzten drei Jahren Putsche erlebten.“
Risiken eines Eingreifens wären zu hoch
Eine militärische Intervention wäre fatal, warnt die taz:
„Nigers Putsch ist ein Ergebnis innerer Probleme, die nicht von außen zu lösen sind, vor allem nicht vom großen Nachbarn Nigeria mit seiner eigenen Geschichte von Militärputschen. ... Im Fall einer nigerianischen Militärintervention in Niger würden zwei Armeen mit historisch schlechtem Ruf auf dem Rücken all dieser Menschen Krieg führen. Das menschliche Leid wäre immens, das Risiko nationalistischer Pogrome wäre hoch und könnte sich sehr schnell auf andere Länder Westafrikas ausbreiten.“
Raushalten ist keine Option
Frankreich muss handeln, meint Kolumnist Pierre d’Herbès in Causeur:
„Frankreich hat ein Interesse daran, schnell zu handeln, bevor seine strategischen Konkurrenten - Russland oder die USA - dies an seiner Stelle tun. Nach den vielen Niederlagen und unvorhergesehenen Ereignissen kann Frankreich es sich nicht leisten, nur zuzuschauen. Doch die Regierung scheint angesichts möglicher Kolonialismusvorwürfe wie gelähmt. ... Die antifranzösische Stimmung [im Niger] ist eine Realität, aber sie ist nicht repräsentativ für die gesamte Bevölkerung. ... Letztendlich ist ein militärisches Eingreifen Frankreichs an der Seite der Ecowas erforderlich, da es ansonsten, egal in welchem Szenario, als Verlierer dasteht.“
Der Westen muss seine Strategie ändern
Nach einem weiteren Putsch in West- und Mittelafrika sollte sich die internationale Staatengemeinschaft ihre Reaktion gut überlegen, mahnt Jutarnji list:
„Sie beobachtet die Lage im Niger mit Sorge, im Bewusstsein, dass die Folgen des Putsches weit über die Grenzen Westafrikas spürbar sein werden. ... Die wichtigste Frage ist, ob die westlichen Länder ihre Lektion lernen und ihren Ansatz ändern, sich in afrikanische Angelegenheiten einzumischen unter dem Vorwand von Frieden und Demokratie. Denn die afrikanischen Länder sind unzufrieden mit den internationalen Reaktionen auf Staatsstreiche, besonders wenn sie hören, dass ihre Partner die Sicherheit ihrer eigenen Länder in den Vordergrund stellen, statt diejenigen zur Verantwortung zu ziehen, die an Korruption, Kriminalität und Vetternwirtschaft schuld sind.“
Europa verliert weiteren wichtigen Verbündeten
Die EU kann sich einen Verlust von Einfluss in der Sahelzone nicht leisten, warnt De Volkskrant:
„Europa braucht den Sahel: Für Rohstoffe, um Migration unter Kontrolle zu bringen und im Kampf gegen die Dschihadisten. Mit dem Putsch in Niger verliert Europa erneut einen entscheidenden Verbündeten. ... Europa eroberte die Welt und verlor sie wieder mit der Dekolonisierung. In den 90er-Jahren verlor es sein Interesse an Afrika, das als verlorener Kontinent angesehen wurde. Aber in einer unsicheren Welt ist Afrika, und vor allem der Sahel, wieder eine entscheidende Schaltstelle geworden. Europa ist noch immer der größte Handelspartner und Investor in Afrika. Aber es ringt heute um seinen Einfluss in seinen einstigen 'Besitztümern'. Die koloniale Vergangenheit kommt wie ein Bumerang zurück. “