Zehn Jahre Neue Seidenstraße: Putin besucht Xi
China hat am Dienstag und Mittwoch in Peking das zehnjährige Jubiläum des Handelsprojekts Belt and Road (auf Deutsch meist Neue Seidenstraße) gefeiert. Unter den Gästen aus rund 140 Ländern befanden sich auch der russische Präsident Putin und Ungarns Premier Orbán. Europas Presse diskutiert die Bedeutung des Projekts - und die Motive der Teilnehmer.
Bündnis Peking-Moskau steht
Diena macht sich folgende Sorgen:
„Erstens weitet sich die Belt-and-Road-Initiative trotz aller Veränderungen und Probleme weiterhin aus, und ständig erhöht sich die Zahl der Länder auf der Welt, die offen oder heimlich den Einflussbereich des Westens verlassen. ... Natürlich gibt es auch solche Länder, die abwarten und auf zwei Stühlen sitzen wollen, aber der allgemeine Trend ist offensichtlich. ... Zweitens (im strategischen Sinne sogar erstens) wurde während des Forums - zwar nicht offiziell, aber durch klare Hinweise und Vereinbarungen - verkündet, dass der Westen keine Hoffnung hat, das informelle Bündnis zwischen China und Russland aufzulösen. ... Diese Tatsache ist wahrscheinlich die schlechteste Nachricht aus Peking.“
Machtverhältnisse verändern sich
Die Seidenstraße wirkt sich auf die globale Weltordnung aus, glaubt Keskisuomalainen:
„China hat seine Außenpolitik unter Xi stets mit dem Begriff Harmonie definiert. Selbst jetzt erklärte Xi seinen Gästen, dass China sich nicht auf 'ideologische Streitigkeiten, geopolitische Spiele oder Konfrontationen zwischen Blöcken' einlassen werde. Doch die Projekte der Seidenstraße stehen genau für all das. … Jetzt ist die Neue Seidenstraße zunehmend Teil des grünen Wandels, bei dem Solarenergie und Batteriefabriken für Elektroautos gefragt sind. Das Projekt verändert die Welt und das Gleichgewicht der Kräfte, wenn China seine Alternative insbesondere den Schwellen- und Entwicklungsländern als Teil eines ideologischen Kampfes gegen die USA und den Westen anbietet.“
Der Westen kann nur zusehen
Es gibt kaum etwas, das der Westen gegen die Zusammenarbeit Chinas und Russland unternehmen kann, kommentiert Polityka:
„Putin in Peking ist eine Demonstration der von den beiden Führern geschaffenen Ordnung. Und der Vision der von ihnen gewünschten Zukunft. Schon jetzt können sich China und seine Mitstreiter über die Regeln hinwegsetzen, die bisher in der internationalen Gemeinschaft herrschten. Und das ohne Konsequenzen, denn den Hütern der Regeln - vor allem die USA und der Rest des Westens - fehlen die Instrumente, um die Chinesen zu disziplinieren. Sie haben auch nicht den Willen dazu, denn das würde erhebliche wirtschaftliche Verluste, geplatzte Aufträge und Handelshemmnisse für den Export nach China bedeuten, verbunden mit geschlossenen Fabriken, entlassenen Arbeitnehmern und verärgerten Wählern.“
Putin klammert sich an China
Politologe Wladimir Pastuchow sieht in einem von Echo übernommenen Telegram-Post Putins Visite als Unterwerfungsgeste:
„Abstrahieren wir einmal von der aktuellen politischen Agenda. ... Und versuchen wir, das Wesentliche herauszuheben, was die aktuelle Epoche für Russland ausmacht. Als Essenz bleibt dann diese strategische zivilisatorische Wende von Europa nach China übrig. ... Das Hauptproblem besteht darin, dass diese Kehrtwende nicht im Interesse Russlands, sondern im Interesse seines herrschenden Clans vollzogen wird, der sich in einem selbst geschaffenen Knäuel unlösbarer Probleme verstrickt hat und keinen anderen Weg zum Machterhalt sieht, als sich selbst und das Land China zu überlassen.“
Russland hat nichts zu bieten
China schätzt Russland als Wirtschaftspartner nicht besonders, erklärt Ökonom Wladislaw Inosemzew auf Facebook:
„China hält sich zurück, um nicht in Energieabhängigkeit von einem Lieferanten zu geraten, und zeigt, wichtiger noch, keinerlei Lust, in Russland zu investieren - haben sich doch unsere westlichen 'Partner' daran die Finger verbrannt. ... Außer Rohstoffen hat Russland Peking nichts zu bieten, zumal sich China mit eben jener Seidenstraßen-Strategie den Zugang zu Rohstoffmärkten gesichert hat. Als Transitland ist Russland völlig diskreditiert, da an seinen Westgrenzen nun ein kräftiger Schlagbaum steht. ... Auch in Sachen Technologie ist die Zusammenarbeit schwierig, da eine breite Güterpalette nur halboffiziell geliefert werden kann.“
Auch im Handel droht ein Wandel
Das Projekt Seidenstraße mutiert mehr und mehr zu einem alternativen Weltmodell, stellt die Stuttgarter Zeitung fest:
„China, das größte aller Entwicklungsländer, bietet den Ländern, die auf der Schattenseite des Globus stehen, Rat, Tat und Hilfe. Natürlich, diese Sichtweise muss man nicht teilen – sie ist aber unter den betroffenen Staaten weit verbreitet. Anstelle eines globalen, einheitlichen Handels besteht nun die Gefahr, dass sich die Welt analog der militärischen und politischen Zusammenarbeit auch in Handelsblöcke aufteilen wird, die ihre Claims abstecken. Das EU-Projekt Global Gateway und die beim jüngsten G20-Gipfel beschlossene Kooperation zwischen Indien, Europa und den USA sind klare Konkurrenzansagen an China.“
Orbán hat es schwer
Die polnischen Wahlen und der israelische Konflikt sind für die Beziehungen Ungarns zum Osten nicht gerade hilfreich, beobachtet Hvg:
„Die China-Reise wurde durch die Situation in Israel und den Bedeutungsverlust Orbáns in Europa zusätzlich verkompliziert. ... Peking braucht ebenso wie Moskau einen Verbündeten, der die Brüsseler Einheit wirksam zerstören kann und am Tisch der EU ein erhebliches Gewicht hat. Nach den polnischen Wahlen sieht Orbán aus der Ferne wesentlich kleiner aus. ... Die ungarische Regierung, die zwischen den Blöcken ihr Unwesen treibt und nach Möglichkeiten sucht, einen verschwenderischen Staat zu finanzieren, wird es nun auf beiden Seiten der Erdkugel noch schwerer haben.“