Krieg in Nahost: Kontroverse über Rede von Guterres
UN-Generalsekretär Guterres hat mit einer Rede zum Nahost-Konflikt heftige Kritik auf sich gezogen. Guterres verurteilte zwar den Angriff der radikal-islamischen Hamas auf Israel als "entsetzlich", prangerte aber zugleich die "erdrückende Besatzung" palästinensischer Gebiete an. Die Angriffe hätten nicht im luftleeren Raum stattgefunden, sagte er. Empörung, aber auch Verständnis in den Kommentarspalten.
Das Maß verloren
Für die Süddeutsche Zeitung ist es verständlich, dass der israelische UN-Botschafter Gilad Erdan vor Entsetzen außer sich war:
„Guterres versteht sich in seiner Rolle als UN-Generalsekretär vor allem als Anwalt der Schwachen. Das ist ein nobler Ansatz, doch in diesem Fall hat er ihn in die Irre geführt. Wer als Chefdiplomat der Welt in einer solchen Situation nicht zunächst in deutlichsten Worten die Gräueltaten der Hamas verurteilt, hat das Maß verloren. Natürlich hat sich Guterres im Laufe seiner Ausführungen auch gegen die Gewalt der Terroristen ausgesprochen, doch das macht seine Relativierung der Attacke nicht ungeschehen.“
Seiner Verantwortung gerecht geworden
Guterres hat angemessene Worte gefunden, findet die taz:
„[Es ist] die Aufgabe des Generalsekretärs, sich in Konflikten dafür einzusetzen, dass alle Akteure, also auch Israel, die Zivilbevölkerung schützen. Angesichts der Lage in Gaza wäre Guterres andernfalls seiner Verantwortung nicht gerecht geworden. ... Guterres hat keineswegs Israel das Recht abgesprochen, sich gegen den schrecklichen Angriff der Hamas zu wehren und alles dafür zu tun, die rund 220 von den Terroristen nach Gaza verschleppten Geiseln zurückzuholen. ... Doch es verlangt Verhältnismäßigkeit, an die Guterres zu Recht erinnert hat.“
Israel stellt sich taub
Kritik sollte nicht generell als Unterstützung der Hamas abqualifiziert werden, findet The Irish Times:
„Es steht außer Frage, dass Israel das Recht hat, sich zu verteidigen, aber eben nicht ohne dabei Regeln zu folgen. Indem Israel ganz bewusst jegliche Kritik als Hamas-unterstützend brandmarkt, stellt es sich nicht nur gegenüber Nachbarn der Region und Friedensbefürwortern aus dem eigenen Land taub, sondern auch gegenüber seinen engsten Freunden und Verbündeten, wie den USA und der EU. Diese warnen davor, dass ein Angriff auf Gaza, so nachvollziehbar er auch sein mag, zutiefst kontraproduktiv sein könnte.“
Viele denken wie er
Guterres steht mit seiner Meinung nicht alleine da, klagt Corriere della Sera:
„Überall auf der Welt hat sich eine anti-israelische und zunehmend antisemitische Welle von besorgniserregendem Ausmaß aufgetürmt. Eine Welle, die sogar das Gipfeltreffen der Vereinten Nationen erreichte, wo Generalsekretär António Guterres - ohne sich in antijüdischen Stereotypen zu ergehen - den Anschlag vom 7. Oktober auf 'sechsundfünfzig Jahre erstickende israelische Besatzung' zurückführte. ... Eine Ungeheuerlichkeit. Worte mit einem unleugbaren rechtfertigenden Unterton. …. Guterres steht jedenfalls nicht alleine da. … Große Persönlichkeiten aus der ganzen Welt - auch dem Westens - folgen dem 'Guterres-Modell' und passen sich täglich mehr dieser erschreckenden Sichtweise auf die Geschehnisse in Israel an.“
Mutig gegen die Bedeutungslosigkeit
Der Politikberater Gonçalo Ribeiro Telles stellt sich in Público an die Seite von Guterres:
„Vielen wäre es lieber, Guterres würde eine inhaltsleere Rede halten und die Stimme der Uno in diesen Fragen bliebe wie nun schon jahrzehntelang bedeutungslos. Dagegen hat Guterres gekämpft, in den schwierigsten Situationen. Europa sollte sich an seine Seite stellen und sagen, dass, wenn Israel mit seiner Cancel-Politik versucht, den UN-Generalsekretär für seine klaren und mutigen Worte auszuschalten, es eine weitere rote Linie überschreitet.“