Spitzenjobs der EU: Wer macht das Rennen?
Beim Sondergipfel am Montag hat es keine Einigung über die Besetzung der EU-Spitzenjobs gegeben. Für eine zweite Amtszeit der Kommissionschefin von der Leyen gibt es Medienberichten zufolge relativ große Zustimmung. Auch für den Vorsitz des Europäischen Rates sowie für das Amt der Außenbeauftragten liegen Vorschläge auf dem Tisch, die Entscheidung wurde aber auf das Monatsende vertagt.
Egoistisches Geschacher
Das Aufhebens um die Postenverteilung ärgert Jutarnji list:
„Es stellt sich oft die Frage, ob den Politikern der EU ihre Posten so wichtig sind, dass sie sich nicht einmal in Kriegs- und Krisenzeiten schnell über die Verteilung der Schlüsselämter einigen können. Leider lautet die Antwort: Ja. Weder der Krieg in der Ukraine, noch die Krise in Nahost oder die globale Erwärmung sind dieser Tage solch ein wichtiges Thema in Brüssel wie die Verteilung der Top-Positionen der EU-Institutionen. Obwohl sie sagen, dass die EU und die Welt schon lange nicht mehr in solch einer Krise und vor solchen Herausforderungen waren, verringert das nicht die übertriebene Bedeutung, die den Entscheidungen beigemessen wird, wer in den nächsten fünf Jahren auf welchem Posten sitzt.“
Nicht weitermachen, als wenn nichts wäre
Zum Glück ist die übliche Vergabe der Posten unter den großen Parteien nicht reibungslos über die Bühne gegangen, freut sich Brüssel-Korrespondent Eric Bonse in der taz:
„Denn diese Aufteilung der Macht entspricht nicht mehr dem Wählerwillen. Die EU ist nach rechts gerückt, vor allem Grüne und Liberale wurden abgestraft. Auch von der Leyen hat nicht überzeugt; die meisten Deutschen sind laut Umfragen gegen eine zweite Amtszeit der CDU-Politikerin. ... Gefragt ist ein 'New Deal', der dem Wunsch der 27 EU-Staaten, aber auch dem Wählerwillen gerecht wird. Doch bisher spricht wenig dafür, dass dieser tatsächlich berücksichtigt wird. Statt nach den Ursachen des Rechtsrucks und des Wahlbebens zu fragen, geht es den EU-Chefs wieder einmal nur um Macht.“
Meloni sorgt für Spannungen
Avvenire gibt der italienischen Premierministerin, die keine klare Zustimmung für von der Leyen gegeben haben soll, die Schuld für die verzögerte Entscheidung:
„Am Vorabend des informellen Abendessens der Staats- und Regierungschefs schien die Bestätigung des EU-Gipfelpakets so gut wie abgeschlossen zu sein, und es bestand der Wille, schnell zu handeln. Die Staats- und Regierungschefs, die gestern Nachmittag zusammenkamen, um die EU-Spitzen zu besprechen, schienen darauf bedacht zu sein, Streitigkeiten und Chaos zu vermeiden. ... Stattdessen sorgte ein Vorbehalt von Giorgia Meloni gegenüber Ursula von der Leyen, der nach dem G7-Gipfel am Wochenende nicht absehbar war, für Spannungen bei dem, was eigentlich ein ruhiges Abendessen sein sollte, um den Weg für den Europäischen Rat am 27. und 28. Juni zu ebnen, der die offizielle Entscheidung treffen muss.“
Costa wäre genau der Richtige
Portugals Ex-Premier würde einen prima Ratspräsidenten abgeben, wirbt Visão:
„António Costa verfügt über einen Erfahrungsschatz, über den nur wenige verfügen. In den vergangenen acht Jahren hat er sich das Image eines selbstbewussten, erfahrenen und vor allem praktischen und effizienten Politikers erworben. ... Europa ist mit einer großen politischen Instabilität konfrontiert, mit dem Erstarken populistischer Parteien, und es steht unter Druck wegen der Hilfe für die Ukraine. ... Es braucht einen starken Ratspräsidenten und eine geeinte Kommission, die angesichts des Drucks aus Moskau nicht wanken dürfen. Es wird keine leichte Aufgabe sein, wer auch immer gewählt wird, aber António Costa weiß, wie man mit Krisen umgeht.“
Da hat man sich den Falschen ausgesucht
Dass die konservative portugiesische Regierung den sozialistischen Landsmann, der seine Minderheitsregierung von mehreren linken Parteien unterstützen ließ, nun für den hohen EU-Posten unterstützt, findet Politologe Pedro Gomes Sanches in Expresso unverständlich:
„Costa war der Mann, der einen jahrzehntelangen Grundkonsens der portugiesischen Politik erschütterte: diktaturliebende Extremisten von der Regierung fernzuhalten. … In einer Zeit des Krieges, in der die Union Mut (nicht Verwegenheit) und Führung (nicht Launenhaftigkeit) braucht, sagt dies vielleicht mehr über den Zustand der Europäischen Union aus als über die Tugenden von António Costa.“
Alle wünschen Kallas Erfolg
Kaja Kallas ist als neue EU-Außenbeauftragte im Gespräch und Eesti Päevaleht sieht darin viele Chancen:
„Es ist wahrscheinlich lange her, dass Estland Premierministerin Kaja Kallas so einhellig Erfolg gewünscht hat wie jetzt, wo sie zur Hohen Vertreterin der Europäischen Union für Außenpolitik ernannt werden könnte. ... Kallas ist es zu verdanken, dass Estland angesichts seiner geringen Größe einen unverhältnismäßig großen Einfluss auf die europäische Politik hat. Dies ist das Umfeld, in dem sich Kallas von ihrer besten Seite zeigen kann. Noch wichtiger für Estland ist, dass es eine Chance ist, den Stillstand in der Regierungspolitik zu beenden. Die Regierung ist seit einiger Zeit in ihren Bemühungen gelähmt, die Wirtschafts- und Sicherheitskrise zu bewältigen.“
Ein Posten ohne echten Einfluss
Rzeczpospolita fürchtet, dass auch Kaja Kallas wenig Handungsspielraum haben wird:
„Die estnische Premierministerin Kaja Kallas wird als Chefin der EU-Diplomatie gehandelt. Sie setzt sich mutig für die Ukraine ein und hat ein ausgezeichnetes Verständnis des russischen Autoritarismus. Aber wird man auf sie hören? Schon Frankreich und Deutschland können sich auf keine gemeinsame Außenpolitik einigen. Wie können wir also davon träumen, eine solche in der gesamten Europäischen Union zu schmieden? Es besteht also die ernste Gefahr, dass Kallas, wie ihr Vorgänger Josep Borrell, die Stimme des Gewissens in der EU sein wird. Aber nicht die Stimme des Handelns.“