Treffen in Pjöngjang: Was haben Putin und Kim vor?
Der russische Präsident Wladimir Putin hat am Mittwoch den nordkoreanischen Machthaber Kim Jong-un besucht. In Pjöngjang unterzeichneten sie einen "Partnerschaftsvertrag" über enge Zusammenarbeit und gegenseitige militärische Beistandsverpflichtung. Unklar bleibt, inwieweit auch eine militärisch-technische Kooperation Teil der Abmachungen ist. Europas Presse ahnt jedenfalls nichts Gutes.
Putin riskiert Affront gegen Peking
Moskaus Bündnis mit Nordkorea ist ein gegen den Westen gerichteter Schritt mit hohem Risiko, erklärt der Politologe Wladimir Pastuchow in einem von Echo übernommenen Telegram-Post:
„Russland bewegt sich nicht mit einer eigenständigen strategischen Agenda nach Osten, sondern mit dem Ziel, dem Westen 'zu schaden'. Wenn Europa nicht entführt werden kann, dann kann man ihm im Osten 'zusetzen'. Die Schwachstelle dieser Strategie ist, dass der Osten eine heikle Angelegenheit ist. Nordkorea könnte zwei strategische Partner auf einmal nicht aushalten. Wenn Moskau sich an Pjöngjang zu sehr stärkt, könnte es versehentlich Peking auf die Füße treten, was in Putins Lage eine riskante Angelegenheit ist.“
Spott ist fehl am Platz
Diena weist auf den Ernst der Lage hin:
„Ironische Bemerkungen über die Träume zweier Diktatoren sind hier fehl am Platz. Nordkorea ist das wohl am stärksten militarisierte Land der Welt, sein militärisch-industrieller Komplex stellt Artillerie- und Raketensysteme (sowie Projektile und Raketen) selbst nach den Maßstäben der UdSSR in großem Stil her. Was aus dieser Produktion bereits nach Russland fließt und noch fließen wird, um dessen Aggression in der Ukraine zu unterstützen, wird natürlich niemand öffentlich verraten, aber es dürfte zweifellos eine Menge sein. ... Das Abkommen mit Pjöngjang macht Moskau offiziell zu einer bedeutenden Macht sowohl auf der koreanischen Halbinsel als auch in der gesamten Region.“
Achse des Bösen wird Realität
Für Politiken ist das Treffen eine schlechte Nachricht:
„Aus rein militärischer und geopolitischer Sicht gibt es allen Grund zur Sorge, wenn es um den Gipfel und die engeren Beziehungen zwischen Russland und Nordkorea geht. Ganz ähnlich wie die Art und Weise, wie Russland sich stärker an den Iran gebunden hat, der in großem Umfang Drohnen an Putin verkauft. Die Achse des Bösen, von der Präsident George W. Bush seinerzeit sprach, wird zur gefährlichen Realität. Sogar am Rande mit Hilfe eines zynischen Chinas, das alles unterstützt, was dem Westen schaden könnte.“
Unter aufmerksamer Beobachtung
Grund zur Sorge sieht Le Monde:
„Im Gegenzug für die Öffnung der Arsenale seines Kasernenlandes, hauptsächlich zur Lieferung von Granaten und ballistischen Raketen oder für die Bereitstellung von Arbeitskräften, die aufgrund der russischen Mobilisierungswellen langsam zu fehlen beginnen, könnte Kim Jong-un entscheidende Nahrungsmittelhilfe sowie die russische Expertise in Bezug auf Militärsatelliten erhalten. ... Die westlichen Länder sind nicht die einzigen, die die Reise von Wladimir Putin aufmerksam beobachten. ... [China] ist über die Zusammenarbeit nicht erfreut, die es Nordkorea ermöglicht, sich teilweise von seiner Abhängigkeit von Peking zu lösen und dadurch noch unberechenbarer zu werden.“
Es kann noch gefährlicher werden
Die Süddeutsche Zeitung warnt:
„Kim Jong-un wird die Waffen ... nicht zum Beweis seiner Freundschaft übergeben. Sein Interesse dürfte russischer Technologie gelten, konkret: der Raketentechnologie. Nordkorea hat gezeigt, dass es Atomsprengköpfe bauen kann. Nicht gezeigt hat es, ob es diese Sprengköpfe auch auf Interkontinentalraketen montieren und abschießen kann. Russland verfügt über diese Technologie. Würde es sie nun klammheimlich Nordkorea überlassen, entstünde eine gewaltige Bedrohung – auch für die Verbreitung von Atomwaffen. Keine Gefahr ist so groß, dass sie sich durch die kombinierte Fantasie zweier Diktatoren nicht noch steigern ließe.“
Russland wird gegenüber Nordkorea zum Bittsteller
Der Nordkorea-Besuch stellt für Putin eigentlich eine Erniedrigung dar, meint Sicherheitsexperte Rainer Saks in Postimees:
„Nordkorea und Russland haben die Rollen getauscht. Putin stellt die Situation auf extreme Weise dar und vereinfacht strategische Ziele, um den Eindruck zu erwecken, dass der Besuch in Nordkorea Teil einer größeren globalen Politik ist. Dieser Besuch wird jedoch nicht nur organisiert, um den Westen zu irritieren. Die Medienkampagne wurde inszeniert, um die für Russland demütigende Situation zu verschleiern, dass es den Handel mit Nordkorea für neue Lieferungen von Militärhilfe braucht.“
Isoliert und voller Chuch'e
Eine Nordkoreanisierung Russlands beobachtet der Historiker Andrej Subow auf Facebook:
„Russland wurde von uns allen heruntergeritten. Gorbatschow gab uns eine Chance. Jelzin hat uns nicht daran gehindert, Bürger zu werden, obwohl er dabei nicht sehr geholfen hat. Wir haben die Chance nicht genutzt. Und jetzt steckt unser Volk von Kopf bis Fuß in Chuch'e [der nordkoreanischen Staatsideologie]. ... Wir haben diesen Weg selbst gewählt, weil wir uns in den 90er und Nullerjahren nicht vom Sowjetischen befreien wollten. Ob wir das nach Putin wollen, hängt nur von uns ab. Aber der Preis für politische Gleichgültigkeit und bürgerliche Gefühlslosigkeit ist uns jetzt bekannt – nach außen Krieg mit der ganzen Welt und im Innern Chuch'e.“
Konkurrenz für Lukaschenka
Polityka schaut auf die andere Seite der russischen Grenze:
„Es gibt noch jemanden, der die Bilder aus Pjöngjang wahrscheinlich mit Besorgnis und einem Kloß im Hals verfolgt. Es handelt sich um Alexander Lukaschenka, den belarusischen Usurpator-Präsidenten, der an der Invasion in der Ukraine beteiligt ist und regelmäßig versucht, seine Verehrung für Putin unter Beweis zu stellen, indem er ihm fast alles gibt, was der Kreml-Herrscher sich wünscht. Es scheint, dass Lukaschenka auf der anderen Seite Russlands eine ernsthafte Konkurrenz erwachsen ist: Kims geheuchelte Speichelleckerei wird er nie übertreffen.“