US-Wahl: Kann Harris Trump schlagen?

Noch ist US-Vizepräsidentin Kamala Harris nach Joe Bidens Rückzug nicht offizielle Kandidatin der Demokraten zur Präsidentschaftswahl. Für viele ihrer prominenten Parteikollegen, Demokraten-Wähler und auch Europas Presse scheint das aber nur mehr Formsache zu sein: Ihre Chancen gegen Trump werden bereits eifrig diskutiert, insbesondere auch ihre Qualitäten als frühere Generalstaatsanwältin des Bundesstaats Kalifornien.

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El País (ES) /

Der Macht-oder-Gefängnis-Moment eines Populisten

El País kommentiert:

„Trump weiß noch nicht genau, was auf ihn zukommt. Angesichts einer heiteren, 20 Jahre jüngeren Frau indischer und karibischer Abstammung wird der grimmige Hassapostel, Prophet der amerikanischen Apokalypse und überführte Verbrecher neue Waffen finden müssen. ... Trump spricht die Sprache der Angst, aber er leidet auch unter ihr. Seit den Zeiten von Silvio Berlusconi gilt für alle populistischen Tycoons mit politischer Berufung, dass irgendwann der Zeitpunkt kommt, an dem die Alternative zur Macht das Gefängnis ist. ... Trump braucht jetzt wieder den präsidialen Zauberstab, um sich von all seinen Gerichtsverfahren zu befreien. ... Wie in einem Gerichtssaal wird die ihm gegenübersitzende erfahrene Staatsanwältin Trump nichts durchgehen lassen.“

Telegram (HR) /

Die Wahl zwischen Verbrecher und Staatsanwältin

Harris wird Trumps Schwachstellen viel gezielter angreifen als ihr Vorgänger, analysiert Telegram.hr:

„Biden legte den Schwerpunkt auf die Errungenschaften seiner Regierung und sprach eher am Rande über Trump. ... Das ist nun völlig anders. Kamala Harris zieht eine ihrer früheren Rollen als Register – die Rolle der Staatsanwältin. Es scheint, dass dies ihre wichtigste oder zumindest eine der führenden Angriffslinien gegen den republikanischen Kandidaten sein wird. ... Harris hat die Beziehung zu ihrem Gegner in eine wirkungsvolle Binärform gestellt: Ich bin Staatsanwältin, er ist ein Verbrecher; für wen werden Sie stimmen?“

Ukrajinska Prawda (UA) /

Generation Z im Visier

Durch den Wechsel könnten die Demokraten die Stimmen der U30-Jährigen gewinnen, meint Ukrajinska Prawda:

„Junge Menschen in den USA bevorzugen traditionell die Demokraten, aber sie gehen kaum zur Wahl. Harris könnte das ändern. Und das nicht nur, weil Harris' Alter auf junge Wähler nicht so 'abschreckend' wirkt. Harris' Anhänger arbeiten schon lange daran, sie möglichst 'Meme-tauglich' zu machen. Videoclips mit ihrem ausdrucksvollen Lachen und Sprüchen wie 'Glaubst du, du bist gerade von einer Kokospalme gefallen?' kursieren seit Wochen in den sozialen Medien, und nach Bidens Ankündigung sind TikTok, X und Instagram geradezu explodiert. Diese Memes und Videos zeigen Harris in der Regel in einem positiven Licht und könnten helfen, die 'Zoomer' zu erreichen.“

Diena (LV) /

Nicht glaubwürdiger als Biden

Diena ist der Ansicht, dass Harris keine Chancen hat:

„Der Hauptnachteil (obwohl die prodemokratische Presse begonnen hat, das Gegenteil zu behaupten) besteht darin, dass sich Harris in der Position der Vizepräsidentin in keiner Weise bewährt hat, sondern einige ihrer Pflichten offen vernachlässigt hat (zuallererst die Frage der mexikanischen Grenze). Als zweithöchste Amtsträgerin wird sie auch mit allen Versäumnissen Bidens und der Demokraten in Verbindung gebracht: Das Programm der Partei für diese Amtszeit blieb nicht nur unumgesetzt, meist hat sich die Situation sowohl in der Innen- als auch in der Außenpolitik verschlechtert. Daher sind die Chancen von Harris nicht besser als die von Biden.“

Magyar Nemzet (HU) /

Plötzlich die beste Kandidatin aller Zeiten

Für die regierungsnahe Magyar Nemzet ist Kamala Harris ein Produkt der Medien:

„Kamala Harris ist innerhalb etwa eines Tages zur besten, populärsten und talentiertesten amerikanischen Politikerin aller Zeiten geworden, wenn man den liberalen Medien glauben darf. ... [Vier Jahre lang] war es, als hätte Harris nicht existiert. Wenn sie in irgendeinem Artikel erwähnt wurde, wurde sie eher verspottet, von beiden Seiten. ... Kamala Harris ist keine Lösung, genauso wenig wie Biden eine war. Die beiden sollten als Symptom betrachtet werden. Die Demokraten konnten es vielleicht mit ihrem Einfluss, ihren Medien und ihrer Skrupellosigkeit schaffen, ihn fälschlicherweise als Genie darzustellen, aber keiner von den beiden hat je eine Vision gehabt.“

La Vanguardia (ES) /

Yes, we Kam

La Vanguardia sieht eine echte Herausforderung für Trump:

„Trump ist nervös und dieser Wechsel passt ihm nicht. ... Er ist sich bewusst, dass es für ihn schwieriger wird, mit einer Frau zu debattieren, die zudem schwarz und zwanzig Jahre jünger ist. Eine Kandidatin, die von der ersten Minute an prominente Gouverneure wie die von Illinois (J.B. Pritzker), Pennsylvania (Josh Shapiro) oder Kalifornien (Gavin Newsom) hinter sich hat; Bill und Hillary Clinton, und Führer verschiedener Parteilager, von der Veteranin Nancy Pelosi bis zur jungen Alexandria Ocasio-Cortez. ... Fast alles spricht für Trump, aber der Ex-Präsident wird seine Strategie ändern müssen. Die Kamalamanie hat begonnen: [Obamas] 'Yes, we can' wurde schon durch 'Yes, we Kam' ersetzt.“

Sydsvenskan (SE) /

Es geht um die Wirtschaft

Ökonomische Fragen werden eine zentrale Rolle spielen, bemerkt Sydsvenskan:

„Die entscheidende Herausforderung ist, die berechtigten Warnungen vor einer Aushöhlung der Demokratie im Fall eines Wahlsiegs von Trump mit dem Beweis zu kombinieren, dass Bidenomics, Joe Bidens ökonomische Agenda, Früchte getragen hat. Genau darauf hat Kamala Harris sich in den vergangenen Monaten auch fokussiert. Im Rahmen einer Tournee durch mehrere Bundesstaaten, bei der es um Investitionen, Unternehmertum und Wachstum ging, betonte sie, dass die Löhne stärker steigen als die Inflation, dass mehr Jobs in der Industrie entstanden sind, dass sich die Demokraten für die Tilgung von Studienschulden einsetzen.“

Tygodnik Powszechny (PL) /

Moskau setzt weiter auf Konflikt und Spaltung

Tygodnik Powszechny erklärt die Position des Kremls:

„Unmittelbar nachdem US-Präsident Joe Biden seinen Verzicht auf die Präsidentschaftswahlen bekannt gegeben hatte, wurde in den russischen Medien eine Kampagne zur Diskreditierung von Vizepräsidentin Kamala Harris gestartet. Der Favorit des Kremls ist nach wie vor Donald Trump, obwohl weder sicher ist, dass er gewinnen wird noch dass sein Sieg bedeuten würde, dass dieser unberechenbare Kandidat den 'russischen Traum' erfüllen wird. Das unveränderliche Ziel der russischen Regierung in Bezug auf die Vereinigten Staaten bleibt es, Spaltung und Chaos zu stiften, für Moskau ungünstige Projekte (vor allem die Unterstützung der Ukraine) zu vereiteln und Krisen zu provozieren, wo immer es geht.“

Kurier (AT) /

Antithese zu Trump

Der Kurier findet lobende Worte für Harris:

„Sie ist die Antithese zu Trump: Jung (also im Vergleich zu den Gerontos, sie wird im Oktober 60), weiblich, nicht weiß. Das sind auch ihre größten Trümpfe. ... Sie ist top ausgebildet und rhetorisch begabt – als Vizekandidatin von Biden hatte sie einst im TV-Duell Mike Pence argumentativ zertrümmert. Und sie ist nicht schuld an illegaler Migration, was ihr die Republikaner vorwerfen, weil sie nicht für Grenzschutz, sondern nur für diplomatische Beziehungen mit den Herkunftsländern zuständig war.“

Les Echos (FR) /

Schnellschuss aus Angst vor Risiko

Die Demokraten hatten nicht den Mut, über alternative Kandidaturen zu diskutieren, bedauert Les Echos:

„Die Demokratische Partei hat sich für Geschwindigkeit und Pragmatismus entschieden. ... Die Lösung ist nicht perfekt: Kamala Harris wird das umstrittene Erbe von Biden übernehmen – die Verteidigung der Bidenomics hat nicht gegriffen –, sie selbst bleibt eine noch unbekannte Persönlichkeit und wird ziemlich kritisiert, auch vom linken Flügel der Partei. Ein neues Los hätte ein anderes Narrativ mit sich bringen können. Es scheint jedoch, als wolle sich niemand 100 Tage vor der Wahl diesem Risiko aussetzen.“

Dagens Nyheter (SE) /

Altbekanntes Vorgehen wird ihr zu schaffen machen

Ebenso wie einst Hillary Clinton dürfte es Kamala Harris als Frau im Wahlkampf besonders schwer haben, mutmaßt Dagens Nyheter:

„Bestimmte Vorwürfe hört man immer wieder. Frauen, die Macht anstreben, haben angeblich zu grelle Stimmen, sie werden als kalt und aggressiv beschrieben, man wirft ihnen vor, nicht authentisch zu sein. ... Wenn sie sich nicht liebevoll und mütterlich gegenüber im Prinzip allen in ihrer Umgebung verhalten, werden sie als harte, egoistische Karrieristinnen angesehen. Ganz sicher wird man gegen Harris die Tatsache ins Feld führen, dass sie keine eigenen biologischen Kinder hat. ... Es wird interessant sein, zu beobachten, wie einfach es im Jahr 2024 ist, diese seit Jahrzehnten bei der Zügelung vorlauter Frauen bewährten Werkzeuge zur Anwendung zu bringen.“

Postimees (EE) /

Ihr Charme bedarf zusätzlich noch Härte

Postimees sieht Nachteile und Vorteile:

„Harris hat im Wahlkampf einige Stärken und einige Schwächen. Erstens wäre sie die erste weibliche Präsidentin in der Geschichte der USA, und es ist für Donald Trump viel schwieriger, eine Präsidentschaftskandidatin im Wahlkampf anzugreifen. Zweitens ist sie bereits eine bekannte Marke der Demokraten und ein bekanntes Gesicht im Fernsehen. Andererseits besteht ihre Schwäche darin, dass es an Neuem mangelt und sie sich als Vizepräsidentin nicht durch etwas Außergewöhnliches hervorgetan hat, obwohl sie im Fernsehen unbestreitbar charmant ist. Wir werden bald sehen, ob dieser Charme von einer eisernen Härte begleitet wird, die Trumps Pläne durchkreuzen kann.“

Ilta-Sanomat (FI) /

Biden sollte zurücktreten

Die Republikaner haben Biden zum Rücktritt als Präsident aufgerufen. Die Demokraten sollten das aus taktischen Gründen erwägen, rät Ilta-Sanomat:

„Unter Berufung auf seine gesundheitlichen Probleme könnte Biden seinen Rücktritt bekannt geben, und die Vizepräsidentin würde sofort vereidigt werden. ... Die altbekannte Regel in der US-Politik besagt, dass ein amtierender Präsident bei einer Wahl schwer zu schlagen ist. Wenn Kamala Harris als Vizepräsidentin unpopulär und im Hintergrund war, hätte sie als Präsidentin die Möglichkeit, etwas zu ändern. Indem sie mit der Air Force One und dem Beast auf Wahlkampftour geht, hätte Madam President Zeit, sich ein neues Profil als Mutter der Nation zu geben. Sie hätte auch Zeit, durch ein paar Verordnungen zu zeigen, dass sie sich von Biden unterscheidet.“

Hospodářské noviny (CZ) /

Neue Umfragen abwarten

Die bisherigen Ergebnisse von Wählerbefragungen sind nur begrenzt aussagekräftig, analysiert Hospodářské noviny:

„Alle verfügbaren Umfragen zum Showdown zwischen Kamala Harris und Donald Trump waren bisher hypothetisch, zeigten jedoch, dass Donald Trump landesweit leicht vor der Vizepräsidentin liegt. Bei den Befragungen im Juli hatte Harris nahezu identische Zahlen wie Joe Biden. Deshalb sind auch ihre Gewinnwahrscheinlichkeiten sehr ähnlich und relativ gering. Allerdings hat Kamala Harris mehrere Vorteile gegenüber Bidens Kandidatur. Die bisher durchgeführten Umfragen waren hypothetisch, die künftigen könnten besser ausfallen. Gleichzeitig ist sie bei allem Respekt vor Biden besser in der Lage, einen sehr anspruchsvollen Wahlkampf zu führen.“