Parteitag: Wie stehen die Chancen für Harris?
Am heutigen Donnerstagabend geht die Democratic National Convention in Chicago mit einer Rede von Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris zu Ende. Im Vorfeld des Parteitags hatte Harris die Eckpunkte ihrer Wirtschaftspolitik vorgestellt. Europas Presse versucht sich an einer ersten Zwischenbilanz, wo Harris und die Demokraten im Hinblick auf die Präsidentschaftswahl im November stehen.
Geheimwaffe Hoffnung
Harris' optimistischer Diskurs könnte Trump den Sieg kosten, beobachtet Libération:
„Er ist vor allem nicht in der Lage, dem von Harris geschaffenen positiven Elan etwas entgegenzusetzen, dessen Schlüsselwörter – Hoffnung, Freude, Zukunft – für ihn unbegreifbar zu sein scheinen. In den letzten Tagen scheint sich der republikanische Kandidat in eine alternative Realität verkrochen zu haben, in der Statistiken über Kriminalität, Einwanderung und Wirtschaft mal übertrieben und mal völlig erfunden sind. Das ist vielleicht kein Zufall: Für Trump kann jede Dynamik, die ihn daran hindern könnte, wieder an die Macht zu kommen, nur kriminell sein. ... Kamala Harris muss am Donnerstagabend beweisen, dass sie auf der Welle der Hoffnung reiten kann, die ihre Kandidatur bis zum Weißen Haus trägt – und Rassisten und Verschwörungstheoretiker draußen lässt.“
Trump den Freiheitsbegriff entrissen
El Periódico de Catalunya findet Harris' Slogan "We choose freedom" schlau:
„Kamala hätte Hillary Clinton nachahmen und sich als erste weibliche Präsidentin der USA inszenieren können, aber angesichts der Ergebnisse ihrer Vorgängerin hat sie sich dafür entschieden, ihre Kampagne auf die Wiederaneignung des Begriffs 'Freiheit' zu gründen, der bis jetzt in den Händen von Trump und seinen Nachahmern auf dem ganzen Planeten lag. Für sie ist Freiheit nicht das Recht, zu tun, was man will. Sie deutet Freiheit um: Der Staat und die Amerikaner sorgen für saubere Luft und sauberes Wasser, gewährleisten Sicherheit, treffen Entscheidungen über das Leben oder respektieren Entscheidungen anderer. So schafft sie einen besseren Rahmen für das Zusammenleben.“
Der Funke hat noch nicht gezündet
Keinen Harris-Effekt beobachtet Naftemporiki:
„Seit der Nominierung von Kamala Harris ist eine unglaubliche Kampagne im Gange, um aus einer Vizepräsidentin, die zuvor 'unfähig', 'farblos' und 'unsichtbar' war, eine Superfrau zu machen. Die Demokraten versuchen, dieses Image mithilfe der Medien und Umfragen in sein Gegenteil zu verkehren. Das spiegelt sich jedoch derzeit nicht bei der Wählerschaft wider. ... In den sozialen Medien bleibt der Parteitag in Chicago relativ unbeachtet. Die gemäßigte Wählerschaft, die schon immer die Wahlen entschieden hat, scheint sich im Moment nicht begeistern zu können.“
Besorgniserregende Anleihen beim Sozialismus
Trud fürchtet um marktwirtschaftliche Prinzipien:
„Harris' Vorschlag für Lebensmittelpreiskontrollen ist aberwitzig. Wie sie in der UdSSR, in Kuba und Venezuela praktiziert wurden und zu Hungersnöten, dem Verschwinden von Waren und zu Inflation führten. ... Diese Idee ist nicht realisierbar, denn wenn man den Preis eines Lebensmittels deckelt, haben die Unternehmer keinen Anreiz, es zu produzieren, also stellen sie es ein oder verlassen das Land. Infolgedessen sinken die Lebensmittelpreise nicht nur nicht, sondern es entsteht ein Mangel, ein Schwarzmarkt, und die Preise steigen mit der Inflation. Harris tritt grundlegende Prinzipien der Wirtschaft mit Füßen und bittet dann noch die Wähler um ihren Zuspruch.“
Keine Dienerin der Tech-Giganten
Harris bemüht sich um ein Gleichgewicht in der Technologiebranche, lobt hvg:
„Harris wurde zwar dafür kritisiert, dass sie als kalifornische Generalstaatsanwältin nicht alles Mögliche getan hat, um die Macht der Tech-Unternehmen einzuschränken, aber sie hat sich für die Regulierung dieser Großunternehmen eingesetzt. Vor vier Jahren (als sie sich bereits als Präsidentschaftskandidatin ins Spiel brachte) geriet sie in eine Debatte mit einem Rivalen, der die Aufspaltung von Amazon, Google und Facebook forderte. Stattdessen schlug Harris Regelungen vor, die die Privatsphäre der Amerikaner schützen sollten. Als Vizepräsidentin forderte sie im Einklang mit Präsident Biden eine Regulierung der künstlichen Intelligenz.“
Einheit ist jetzt das Wichtigste
Trotz propalästinensischer Proteste wird Harris sich in Chicago hüten, zum Nahost-Konflikt deutlich Stellung zu beziehen, schreibt der Politologe Bernardo Valente in Expresso:
„Der Palästina-Konflikt und die historische Unterstützung der USA für Israel sind der Elefant im Raum auf diesem Kongress der Demokraten. ... Es ist wahrscheinlich, dass wir während des gesamten Kongresses keine starke Positionierung zu diesem Thema erleben werden, da die Devise im Moment lautet: vereinigt euch, um zu herrschen und nicht umgekehrt. Kamala Harris weiß, dass sie sich eine sehr günstige Wahlposition erarbeitet hat und dass sie diese halten kann, ohne unbedingt eine Wahl treffen zu müssen. ... Ihr großer Sieg ist, dass sie weder Trump noch Biden ist. “
Die Staffelübergabe hat geklappt
In seiner neuen Rolle vermag Joe Biden wieder zu glänzen, beobachtet die Kleine Zeitung:
„Zu viele in der eigenen Partei hatten das Vertrauen verloren, dass sein Alter noch eine weitere Amtszeit zulässt. Das war nicht Bidens Plan und nicht sein Wunsch. Dennoch ließ er sich keine Bitterkeit oder Gram anmerken. Im Gegenteil: Ausgerechnet bei dieser Abschiedsrede zu später Stunde lief Biden zu Topform auf; er pries seine Erfolge als Präsident; kämpferisch und fast schon feurig griff er Trump für dessen Lügengeschichten an. Jetzt will Joe Biden für Kamala Harris 'der beste Wahlhelfer sein, den man je gesehen hat'. Der Übergang in die neue Ära der Demokraten scheint gelungen.“
Balanceakt zwischen Wandel und Kontinuität
The Guardian skizziert die Schlüsselaufgabe des Kongresses:
„Indem Biden seine Erfolge betont, während er den Staffelstab an Harris übergibt, zeichnet er sie als Kontinuitätskandidatin. Ihre Aufgabe besteht nun darin, Bidens Bilanz zu würdigen, aber dieses Kapitel abzuschließen und zur Kandidatin des Wandels zu werden. ... Biden war eine Schlüsselfigur der polarisierenden Politik des 21. Jahrhunderts, die aus der Reagan-Ära, dem 11. September, der Bankenkrise, dem Aufstieg Chinas und der Black-Lives-Matter-Bewegung hervorging. Er ist auch der Mann, der sein Land gerettet hat, indem er sich 2020 gegen Trump stellte. ... Harris muss diese Woche jedoch auch nutzen, um über die Zukunft Amerikas zu sprechen.“
Bisher ist Harris eine Katze im Sack
Der Kongress muss mehr bieten als eindrucksvolle Inszenierungen, betont Sydsvenskan:
„Am Donnerstag wird die Krönung stattfinden. Kamala Harris wird nun auch förmlich Kandidatin unter Pomp und Jubelklängen. ... Filmstars verleihen Harris Glanz, und die Stars der Partei halten Reden. ... Denn Harris ist nun die Hoffnungsträgerin. Doch hinter der schillernden Fassade türmen sich Fragen auf: Ist sie 'links'? Was will die Partei, und in welche Richtung bewegen sich die USA? Kamala Harris hat noch nicht einmal eine reguläre Pressekonferenz gegeben. Trump steht für Geschwafel und Oberflächlichkeit. Aber wenn die Demokraten besser sein wollen, müssen sie konkrete Politik präsentieren, zu Hause wie weltweit. Die Wähler haben mehr verdient als Stars und Ballons.“
Gaza ist eine der größten Herausforderungen
Harris steht vor einem schwierigen Balanceakt, analysiert Phileleftheros:
„Donald Trump kann sehr schmutzig spielen und tut dies bereits. ... Kamala Harris muss daher die Chance nutzen, die der Kongress bietet, und Führungsstärke zeigen. Sie wird aufgefordert werden zu erläutern, was sie in der Wirtschaftspolitik, bei der Einwanderung, im Gaza-Krieg und bei spaltenden Themen wie der Abtreibung erreichen will. ... Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Erfolg ist die Überwindung der Hürde Gaza. Das ist schwierig, da Zehntausende von pro-palästinensischen Demonstranten nach Illinois gefahren sind, um gegen die US-Unterstützung für Israel zu protestieren. Harris muss einen Weg finden, um zu zeigen, dass sie die Bedenken der Demonstranten teilt, aber gleichzeitig deutlich machen, dass sie eine überzeugte Verbündete Israels bleibt.“