Landtagswahlen: Was heißt der Erfolg von AfD und BSW?

Die Ergebnisse der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen beschäftigen Europas Presse weiterhin: In Thüringen ist die AfD stärkste Kraft. Sie erhielt fast ein Drittel der Stimmen, Zweiter wurde die CDU. In Sachsen gewann die CDU knapp vor der AfD. In beiden Ländern stufen die Landesämter für Verfassungsschutz die AfD als rechtsextremistische Bestrebung ein. Das neu gegründete BSW konnte zweistellige Ergebnisse einfahren.

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Delo (SI) /

Schwer verdauliche Konvergenz von Links und Rechts

Die Journalistin Mojca Pišek schreibt in Delo:

„Für uns alle, die wir an die Notwendigkeit einer sozial fortschrittlichen linken Politik glauben, ist der Ausgang der deutschen Landtagswahlen eine bittere Pille, die im Hals stecken bleibt. Die deutsche Verschmelzung linker und rechter Politik, ihre Annäherung auf Kosten von Identitäts- und ethnischen Minderheiten zeigt, dass eine erfolgreiche linke Partei Partei heute zumindest eine gewisse Konvergenz mit der Rechten aufweisen muss. ... Deutschland bietet der europäischen Linken, auch der slowenischen, wichtige Lektionen. Erstens ist es wichtig, jene Themen zu erkennen, die echtes Mobilisierungspotenzial haben gegenüber anderen, die die Wählerschaft abschrecken. Zweitens und viel schwieriger ist das Thema charismatische Führungskräfte.“

Der Standard (AT) /

AfD-Politik ohne AfD

Die Debatte über Migration kippt immer weiter nach rechts, kritisiert Der Standard:

„Geflüchtete mit immer härteren Maßnahmen in die Perspektivlosigkeit zu drängen hilft nicht gegen Islamismus und Radikalisierung. Aber darum geht es ohnehin nicht mehr: Vielmehr wird Zuwanderung als Ursache allen Übels dargestellt. ... Es wirkt absurd, wenn die AfD im 'Brandmauer'-Stil von einer Regierung ausgeschlossen wird, ihre Forderungen aber immer mehr übernommen werden. Populistische und unrealistische Forderungen zu Abschiebungen, Pushbacks und Sozialleistungskürzungen tragen dazu bei, dass der ohnehin schon vergiftete Diskurs beim Thema Flucht und Migration weiter nach rechts kippt und noch mehr Menschenverachtendes sagbar wird.“

Observador (PT) /

Stabiles Bündnis mit Extremen schwierig

Der rechtskonservative Essayist Jaime Nogueira Pinto warnt in Observador:

„Die europäische Wirtschaftskrise, die politische Dekadenz, die Unterwerfung unter die Interessen der Biden-Administration, die Angst vor einer Eskalation des russisch-ukrainischen Konflikts – all das erklärt ein Votum der Ablehnung und des Protests, das zwei jungen Parteien, AfD und BSW, zusammen fast die Hälfte der Wählerstimmen beschert hat. ... Im Grunde sind sich Geist und Programm [dieser beiden Parteien] in wichtigen Fragen sehr ähnlich. Und in diesen wichtigen Fragen – Einwanderung, Krieg – ist das BSW auch sehr weit von den etablierten Parteien entfernt, so dass es nicht einfach sein wird, mit ihm eine stabile Regierung zu bilden.“

El Periódico de Catalunya (ES) /

Aus Unsicherheit setzen Bürger auf Extreme

El Periódico de Catalunya warnt vor einer allgemeinen Tendenz:

„Deutschland folgt Italien und Frankreich auf dem Weg, der von zwei ideologischen Extremen beschritten wird. Der politische Raum in der Mitte schrumpft, die traditionellen Parteien leiden unter einer schweren Glaubwürdigkeitskrise und die Ultra-Parteien (an beiden ideologischen Extremen) füllen die Lücken, die die großen Parteien hinterlassen haben, weil sie keine Antworten auf die brennendsten Fragen geben. ... Dieser anhaltende Paradigmenwechsel führt uns zu radikaleren, ängstlicheren und ungesünderen Gesellschaften. Vor die Wahl zwischen Sicherheit und Freiheit gestellt, wählen die Bürger stets die Sicherheit, und Unsicherheit schürt ihre Ängste. Deshalb tendieren sie zu Extremen, weil diese stärker wirken, auch wenn sie betrügerischer sind.“

Polityka (PL) /

In Polen kennt man das

Die Positionen der AfD kommen Polityka bekannt vor:

„In unserem Land hat die PiS acht Jahre lang die Demokratie auf ähnliche Weise ausgehöhlt: Sie säte Misstrauen in den seit 1989 aufgebauten Staat, in die Verfassung, die demokratische Opposition und die Zivilgesellschaft. Mit ähnlichen Ergebnissen: Zerfall des gesellschaftlichen Zusammenhalts, Misstrauen gegenüber nicht-PiS und nicht-rechten Eliten, Anfälligkeit für Verschwörungstheorien, Abneigung gegenüber der EU und dem Westen als Bedrohung für unsere Souveränität und Identität. In diesem Kampf gibt es plötzliche Wendepunkte: den Sieg der Demokraten in Polen, Frankreich und Großbritannien, und jetzt die Erfolge der extremen Rechten und der extremen Linken in zwei deutschen Bundesländern. Der Weg zum Sieg der Demokraten ist noch weit und verschlungen.“

Kleine Zeitung (AT) /

Ganz am Beginn einer Lernkurve

Ein Blick nach Österreich könnte weiterhelfen, schlägt die Kleine Zeitung vor:

„Manches, was heute in Deutschland diskutiert wird, hat Österreich schon in den 1990er-Jahren erlebt. Auch mit Blick auf die Lebenszyklen rechtspopulistischer Phänomene können wir zweckdienliche Hinweise liefern. Wenn in anderen Parteien nun der Schluss gezogen wird, dass man 'den Menschen' die eigene Politik eben besser erklären muss, wie in Reaktionen zu hören war, scheint man allerdings noch ganz am Beginn einer Lernkurve zu sein. Zu realisieren, dass man auf die falschen Inhalte setzt, und Themen, die für Wähler wenig Bedeutung haben, wäre mal ein Anfang.“

France Inter (FR) /

Deutsch-französischer Motor stottert

Ein ungünstiger Zeitpunkt, warnt Kolumnist Pierre Haski in France Inter:

„Das Problem ist, dass die Krise in Deutschland zur gleichen Zeit stattfindet wie die Krise in Frankreich, wo es an einer parlamentarischen Mehrheit fehlt. Es ist besorgniserregend, dass Deutschland und Frankreich im selben Moment auf die eigenen politischen Krisen konzentriert sind und weniger die globalen Herausforderungen im Blick haben, denn sie bilden den traditionellen Motor der EU. Mitten im Krieg in der Ukraine, wenige Wochen vor der entscheidenden US-Wahl und in einer ohnehin ziemlich instabilen Welt braucht Europa einen gut funktionierenden Motor. Die Folgen des Schocks werden lange anhalten.“

Berlingske (DK) /

Gefahr für die Ukraine wächst

Berlingske bangt:

„Für Dänemark und Europa steht unglaublich viel auf dem Spiel. Deutschland ist die größte und stärkste Macht in Europa. Wenn Deutschland politisch schwächelt, wirkt sich das auf ganz Europa aus, und im Moment bedroht es direkt die Chancen der Ukraine, den Krieg gegen Russland auf dem Schlachtfeld zu gewinnen. Sahra Wagenknecht versucht, die Ergebnisse der Landtagswahlen auf die Bundespolitik zu übertragen, wenn sie Friedensgespräche zwischen Russland und der Ukraine als Bedingung für die Aufnahme von Verhandlungen über die Regierungszusammenarbeit in den Bundesländern fordert.“

La Repubblica (IT) /

Politisches Erdbeben

La Repubblica fühlt sich an 1924 erinnert:

„Es ist ein Erdbeben, das die Geschichte verändert. Zum ersten Mal seit Kriegsende gewinnt eine rechtsextreme Partei eine Landtagswahl in Deutschland. 90 Jahre nach Hitlers Machtergreifung. Und das in einem Bundesland, Thüringen, das für die erste Unterstützung der Nazis bei einer Kommunalwahl im Jahr 1924 berüchtigt ist. Das ist genau ein Jahrhundert her. Björn Höcke ist einer der unbestrittenen Gewinner dieser Wahl: Der Vorsitzende der AfD in Thüringen erhält fast 33 Prozent. Die großen Verlierer sind die drei Parteien der zerstrittenen Ampel-Regierung.“

The Times (GB) /

Das ist nicht Weimar 2.0

Der Erfolg der AfD sollte realpolitisch nicht überbewertet werden, rät The Times:

„Ja, Thüringen war der Ort, wo die Nazis ihren ersten Durchbruch auf regionaler Ebene hatten. Ja, mit ihrer Sperrminorität von einem Drittel der Sitze im Landtag wird die AfD in der Lage sein, ein gewisses Maß an Unheil anzurichten. Und ja, sie wird in Thüringen sporadisch mit dem BSW oder der CDU zusammenarbeiten. Doch solange die Tabus bestehen bleiben, wird sie nicht in die Regierung kommen. Die Herausforderung für die etablierten Parteien besteht darin, sich nicht mehr auf abgedroschene Nazi-Analogien als Krücke zu stützen, sondern diese politische Warnung mit der gebotenen Ernsthaftigkeit zu behandeln.“

Rzeczpospolita (PL) /

Die Brandmauer hält - noch

Bei diesen Wahlen ging es beileibe nicht nur um lokale Fragen, schreibt Rzeczpospolita:

„Der Osten zeigt seine Unzufriedenheit mit der Bundespolitik zum Krieg in der Ukraine und zur Zuwanderung. Denn es waren keineswegs regionale Themen, sondern die große internationale Politik, die in Thüringen und Sachsen im Mittelpunkt des Wahlkampfes stand. ... Es ist zu erwarten, dass der Cordon sanitaire um die AfD dieses Mal tatsächlich noch halten wird. Aber es kracht bereits gefährlich. Der unzufriedene Osten hat sein letztes Wort noch nicht gesprochen.“

Lidové noviny (CZ) /

Bizarre Koalitionen sind keine Lösung

Der jetzige Umgang mit der AfD kann nach Meinung von Lidové noviny keine Dauerlösung sein:

„Die AfD gewinnt Wahlen, schafft es dann aber nicht, funktionierende Mehrheiten und Regierungen zu bilden. Deshalb bilden sich bizarre Koalitionen. Deshalb ist die CDU auf ewig dazu verdammt, mit Linken zu regieren oder in der Opposition zu sein. Wäre es nicht besser, die AfD gerichtlich zu verbieten oder sie ins Spiel zu lassen? Wie lange kann der jetzige Zustand andauern?“

G4Media.ro (RO) /

Extremismus gibt es auch im Westen

Das Wahlergebnis ist trotz der niedrigen Bevölkerungszahl im Osten Deutschlands signifikant, schreibt G4Media.ro:

„In beiden Ländern haben die Parteien der Ampel-Koalition sehr schwache Ergebnisse erzielt. ... Währenddessen steht der Chef der Bundes-CDU Friedrich Merz unter dem Druck seines rechten Parteiflügels, seine Anti-Einwanderungs-Rhetorik zu verschärfen, was der AfD offenbar geholfen hat - nach dem Terrorangriff in Solingen. … Die drei Länder Sachsen, Thüringen und Brandenburg [wo am 22. September Wahl ist] machen zusammen nur zehn Prozent der bundesweiten Bevölkerung aus und weisen Eigenheiten des einstigen kommunistischen Ostens auf, doch der Aufstieg der extremistischen Parteien AfD und BSW ist kein isoliertes Phänomen mehr, sondern droht auf den Westen überzugreifen.“

Zeit Online (DE) /

Der Fortschrittsoptimismus ist weg

Für Zeit Online zeigt das Wahlergebnis den Verlust des Vertrauens,

„dass die etablierten Parteien, von der CDU bis zu den Grünen, noch in der Lage sind, jene Probleme zu lösen, die den Wählerinnen und Wählern auch in Sachsen und Thüringen wieder am wichtigsten waren, allem voran die Migration. ... Das größte Problem ist aber vielleicht, dass es kein Zutrauen mehr in die Version von Deutschland gibt, die es über viele Jahrzehnte zu sein schien - ein sehr stolzes, innovatives, fortschrittliches Land. Die Bahn fährt nicht, die Energiewende ist ein mittleres Desaster, Stahlkonzerne ziehen sich zurück. Es reicht nicht mehr, das nur so dahinzusagen. Dieses Wahlergebnis belegt es. Der Fortschrittsoptimismus ist weg.“